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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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als einen Standesbesitz zu betrachten, und daß jedes Herauskommen eines
Bürgerlichen als eine grobe Unregelmäßigkeit erschien. Das Interesse des
fürstlichen Staates machte aber schon damals das Eintreten neuer Menschen¬
kraft in ritterlichen Grundbesitz, Offiziers- und Beamtenstellen nothwendig, und
den Nichtadeligen wurden Adelsbriefe gegen Geld und aus Gnade reichlich
ertheilt. Wer sich heraufbringen wollte als Gutsbesitzer, Offizier, Beamter,
kaufte einen Brief. Alle größern Landesherren ertheilten die Briefe, welche
in ihrem Lande den Adel verliehen, aber für den in ganz Deutschland gil¬
tigen Adelstand galt nur der kaiserliche Hof als der vollberechtigte Spender,
andere deutsche Fürsten, die Preußen und Sachsen erst, seit sie als Souve¬
räne eine Königskrone außerhalb des Reiches trugen. Ein Adelsbrief gab
aber durchaus nicht alle Vorrechte des Adels, zwar Offizieren und Beamten
galt er als genügend, weil hier die persönliche Tüchtigkeit doch eine Haupt¬
sache blieb; für Erwerbung des rittermäßigen Grundbesitzes mußte in vielen
Territorien, vor allen in den kaiserlichen Erbländer, außer dem Diplom,
welches zum "Edeln" machte, ein zweiter Ritterbrief gekauft werden, und
auch dieser öffnete dem Neuling nicht sofort die Aufnahme' in die Corpora¬
tion des landsässigen Adels. Der Zutritt zu adeligen Stiftern aber und die
Hvsfähigkeit wurden durch Brief nicht erworben, vollends nicht für Frauen
und Töchter der Geadelten.

In dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts rüttelte die Aufklärung
ein wenig an diesen Verhältnissen; die Landesherren, welche das Bedürfniß
fühlten, sich mit der neuen Bildung des Bürgerthums in Verbindung zu setzen,
nahmen sich die Freiheit, die alte Ordnung ihres Hofes gering zu,achten,
und es war nicht unnatürlich, daß dieser Despect an einzelnen Höfen Mode
ward. Die freiere Ansicht von Menschenwerth, welche vielen der bessern
Fürsten gekommen war, wirkte nach jeder Richtung wohlthätig auf die Be¬
setzung der Staatsstellen, zuweilen auch auf den persönlichen Verkehr und
dadurch auf Ansichten und Bildung des Landesherrn, aber als Regel bestand
bis über die französische Revolution in ganz Deutschland das alte Adelsrecht,
und wenn Goethe, Schiller und Andere von ihren Herren wohlwollend mit des
Kaisers Brief beschenkt wurden, so geschah dies immer mit der Empfindung,
daß sie erst durch solche Gnade für den Verkehr mit ihrem Landesherrn legi-
timirt und in den Rang der Vollfreien Deutschlands erhoben würden. Und
diese Ansicht lebte nicht nur an den Höfen, auch im Volke, trotz den bereits
zahlreichen Opponenten, welche das Ideal eines neuen Staates, der noch
nicht eristirte, in ihrer Seele trugen.

Seit Napoleon das römische Reich zerbrach und durch die Erhebung der
norddeutschen Stämme zerbrochen wurde, constituirten sich auf ganz neuer Grund¬
lage die deutschen Staaten. Seit dem Jahre 1813 kam für den Adel, vor


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als einen Standesbesitz zu betrachten, und daß jedes Herauskommen eines
Bürgerlichen als eine grobe Unregelmäßigkeit erschien. Das Interesse des
fürstlichen Staates machte aber schon damals das Eintreten neuer Menschen¬
kraft in ritterlichen Grundbesitz, Offiziers- und Beamtenstellen nothwendig, und
den Nichtadeligen wurden Adelsbriefe gegen Geld und aus Gnade reichlich
ertheilt. Wer sich heraufbringen wollte als Gutsbesitzer, Offizier, Beamter,
kaufte einen Brief. Alle größern Landesherren ertheilten die Briefe, welche
in ihrem Lande den Adel verliehen, aber für den in ganz Deutschland gil¬
tigen Adelstand galt nur der kaiserliche Hof als der vollberechtigte Spender,
andere deutsche Fürsten, die Preußen und Sachsen erst, seit sie als Souve¬
räne eine Königskrone außerhalb des Reiches trugen. Ein Adelsbrief gab
aber durchaus nicht alle Vorrechte des Adels, zwar Offizieren und Beamten
galt er als genügend, weil hier die persönliche Tüchtigkeit doch eine Haupt¬
sache blieb; für Erwerbung des rittermäßigen Grundbesitzes mußte in vielen
Territorien, vor allen in den kaiserlichen Erbländer, außer dem Diplom,
welches zum „Edeln" machte, ein zweiter Ritterbrief gekauft werden, und
auch dieser öffnete dem Neuling nicht sofort die Aufnahme' in die Corpora¬
tion des landsässigen Adels. Der Zutritt zu adeligen Stiftern aber und die
Hvsfähigkeit wurden durch Brief nicht erworben, vollends nicht für Frauen
und Töchter der Geadelten.

In dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts rüttelte die Aufklärung
ein wenig an diesen Verhältnissen; die Landesherren, welche das Bedürfniß
fühlten, sich mit der neuen Bildung des Bürgerthums in Verbindung zu setzen,
nahmen sich die Freiheit, die alte Ordnung ihres Hofes gering zu,achten,
und es war nicht unnatürlich, daß dieser Despect an einzelnen Höfen Mode
ward. Die freiere Ansicht von Menschenwerth, welche vielen der bessern
Fürsten gekommen war, wirkte nach jeder Richtung wohlthätig auf die Be¬
setzung der Staatsstellen, zuweilen auch auf den persönlichen Verkehr und
dadurch auf Ansichten und Bildung des Landesherrn, aber als Regel bestand
bis über die französische Revolution in ganz Deutschland das alte Adelsrecht,
und wenn Goethe, Schiller und Andere von ihren Herren wohlwollend mit des
Kaisers Brief beschenkt wurden, so geschah dies immer mit der Empfindung,
daß sie erst durch solche Gnade für den Verkehr mit ihrem Landesherrn legi-
timirt und in den Rang der Vollfreien Deutschlands erhoben würden. Und
diese Ansicht lebte nicht nur an den Höfen, auch im Volke, trotz den bereits
zahlreichen Opponenten, welche das Ideal eines neuen Staates, der noch
nicht eristirte, in ihrer Seele trugen.

Seit Napoleon das römische Reich zerbrach und durch die Erhebung der
norddeutschen Stämme zerbrochen wurde, constituirten sich auf ganz neuer Grund¬
lage die deutschen Staaten. Seit dem Jahre 1813 kam für den Adel, vor


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/11>, abgerufen am 24.08.2024.