Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wir durchaus in der Ordnung finden, wenn deutsche Hausfrauen bei jedem
geselligen Vergnügen ihrer adligen Freundin den besten Sophaplatz und die
erste Schale Kaffee anbieten. Wir halten allerdings für kein Glück, wenn
einzelnen unserer Adligen die Phantasie begehrlich auf Zuständen der Ver¬
gangenheit haftet, wo die Privilegien des Adels zahlreicher, seine Herren¬
stellung im Volke unzweifelhaft war, aber wenn solche Vorliebe für abge¬
storbene Rechte hier und da das Urtheil unserer Mitbürger über die Bedürf¬
nisse des modernen Staates beschränkt, so werden wir auf gesetzlichem Kampf¬
platz, in der Presse und in parlamentarischen Körperschaften, eine freiere und
größere Auffassung ihrer Pflichten ihnen gegenüber geltend machen. Zuletzt
wiederholen wir freudig die Anerkennung, daß viele Namen unsers Adels
mit unsern theuersten Erinnerungen, mit großen Erfolgen auf Schlachtfeldern,
in Wissenschaft und Kunst eng verbunden sind, und daß die Nachkommen alter
Landbeschädiger durch loyale Hingabe an die besten Interessen des Staates
mehr als einmal das Unrecht der Väter in ausgezeichneter Weise gesühnt
haben. Nirgend so sehr und so ruhmvoll als in Preußen.

Aber eine andere Frage ist, ob eine fortwährende Vermehrung unserer
Adelsfamilien durch modernen Briefadel für die Geadelten selbst, für die
Regenten, welche den Adel ertheilen, und für die Nation nützlich, gleich-
giltig oder schädlich ist. Unleugbar neigt die große Majorität der Zeit¬
genossen zu der letzten dieser drei Ansichten.

In den despotischen Staaten, welche die deutschen Fürsten mit ihren
Beamten auf den Trümmerhaufen des 30jährigen Krieges neu ordneten und
welche bis zu dem französischen Wetterswrm im Aufgange dieses Jahrhun¬
derts bestanden, war die Nation nach den Traditionen früherer Zeit in
Stande gegliedert, die Familienhäupter des hohen Adels waren die Regen¬
ten , den ersten Stand ihres Landes bildete der niedere Adel. Seine Standes¬
rechte waren damals groß und für einen aufstrebenden Mann in Wahrheit
begehrenswerth. Denn es hatte der landsässige Adel, das heißt diejenigen
Familien, welche seit alter Zeit als adelig in der Landschaft begütert waren,
fast allein durch Geburt das Recht des Domanialbesitzes auf dem Lande --
die zahlreichen Ausnahmen zu Gunsten einzelner Städte, Bürger und Cor-
porationen beruhten nicht immer, aber in der Regel ebenfalls auf Privilegien.
-- Der Adlige mit acht und mehr Ahnen besaß das nicht weniger werthvolle
Vorrecht, seine Söhne und Töchter in einer großen Anzahl geistlicher Stifter
versorgen zu können, er allein hatte mit seinen Frauen die Hosfähigkeit, das
heißt das Vorrecht, seinen Landesherrn in Gesellschaft und höherem Hofdienst
zu umgeben. Der Adel war nicht ausschließlich im Besitz der Offizierstellen
und der höheren Staatsämter, aber er wurde bei diesen Carriuren in so aus¬
gezeichneter Weise begünstigt, daß er allerdings befugt war, diese Stellen


wir durchaus in der Ordnung finden, wenn deutsche Hausfrauen bei jedem
geselligen Vergnügen ihrer adligen Freundin den besten Sophaplatz und die
erste Schale Kaffee anbieten. Wir halten allerdings für kein Glück, wenn
einzelnen unserer Adligen die Phantasie begehrlich auf Zuständen der Ver¬
gangenheit haftet, wo die Privilegien des Adels zahlreicher, seine Herren¬
stellung im Volke unzweifelhaft war, aber wenn solche Vorliebe für abge¬
storbene Rechte hier und da das Urtheil unserer Mitbürger über die Bedürf¬
nisse des modernen Staates beschränkt, so werden wir auf gesetzlichem Kampf¬
platz, in der Presse und in parlamentarischen Körperschaften, eine freiere und
größere Auffassung ihrer Pflichten ihnen gegenüber geltend machen. Zuletzt
wiederholen wir freudig die Anerkennung, daß viele Namen unsers Adels
mit unsern theuersten Erinnerungen, mit großen Erfolgen auf Schlachtfeldern,
in Wissenschaft und Kunst eng verbunden sind, und daß die Nachkommen alter
Landbeschädiger durch loyale Hingabe an die besten Interessen des Staates
mehr als einmal das Unrecht der Väter in ausgezeichneter Weise gesühnt
haben. Nirgend so sehr und so ruhmvoll als in Preußen.

Aber eine andere Frage ist, ob eine fortwährende Vermehrung unserer
Adelsfamilien durch modernen Briefadel für die Geadelten selbst, für die
Regenten, welche den Adel ertheilen, und für die Nation nützlich, gleich-
giltig oder schädlich ist. Unleugbar neigt die große Majorität der Zeit¬
genossen zu der letzten dieser drei Ansichten.

In den despotischen Staaten, welche die deutschen Fürsten mit ihren
Beamten auf den Trümmerhaufen des 30jährigen Krieges neu ordneten und
welche bis zu dem französischen Wetterswrm im Aufgange dieses Jahrhun¬
derts bestanden, war die Nation nach den Traditionen früherer Zeit in
Stande gegliedert, die Familienhäupter des hohen Adels waren die Regen¬
ten , den ersten Stand ihres Landes bildete der niedere Adel. Seine Standes¬
rechte waren damals groß und für einen aufstrebenden Mann in Wahrheit
begehrenswerth. Denn es hatte der landsässige Adel, das heißt diejenigen
Familien, welche seit alter Zeit als adelig in der Landschaft begütert waren,
fast allein durch Geburt das Recht des Domanialbesitzes auf dem Lande —
die zahlreichen Ausnahmen zu Gunsten einzelner Städte, Bürger und Cor-
porationen beruhten nicht immer, aber in der Regel ebenfalls auf Privilegien.
— Der Adlige mit acht und mehr Ahnen besaß das nicht weniger werthvolle
Vorrecht, seine Söhne und Töchter in einer großen Anzahl geistlicher Stifter
versorgen zu können, er allein hatte mit seinen Frauen die Hosfähigkeit, das
heißt das Vorrecht, seinen Landesherrn in Gesellschaft und höherem Hofdienst
zu umgeben. Der Adel war nicht ausschließlich im Besitz der Offizierstellen
und der höheren Staatsämter, aber er wurde bei diesen Carriuren in so aus¬
gezeichneter Weise begünstigt, daß er allerdings befugt war, diese Stellen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117016"/>
          <p xml:id="ID_10" prev="#ID_9"> wir durchaus in der Ordnung finden, wenn deutsche Hausfrauen bei jedem<lb/>
geselligen Vergnügen ihrer adligen Freundin den besten Sophaplatz und die<lb/>
erste Schale Kaffee anbieten. Wir halten allerdings für kein Glück, wenn<lb/>
einzelnen unserer Adligen die Phantasie begehrlich auf Zuständen der Ver¬<lb/>
gangenheit haftet, wo die Privilegien des Adels zahlreicher, seine Herren¬<lb/>
stellung im Volke unzweifelhaft war, aber wenn solche Vorliebe für abge¬<lb/>
storbene Rechte hier und da das Urtheil unserer Mitbürger über die Bedürf¬<lb/>
nisse des modernen Staates beschränkt, so werden wir auf gesetzlichem Kampf¬<lb/>
platz, in der Presse und in parlamentarischen Körperschaften, eine freiere und<lb/>
größere Auffassung ihrer Pflichten ihnen gegenüber geltend machen. Zuletzt<lb/>
wiederholen wir freudig die Anerkennung, daß viele Namen unsers Adels<lb/>
mit unsern theuersten Erinnerungen, mit großen Erfolgen auf Schlachtfeldern,<lb/>
in Wissenschaft und Kunst eng verbunden sind, und daß die Nachkommen alter<lb/>
Landbeschädiger durch loyale Hingabe an die besten Interessen des Staates<lb/>
mehr als einmal das Unrecht der Väter in ausgezeichneter Weise gesühnt<lb/>
haben. Nirgend so sehr und so ruhmvoll als in Preußen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_11"> Aber eine andere Frage ist, ob eine fortwährende Vermehrung unserer<lb/>
Adelsfamilien durch modernen Briefadel für die Geadelten selbst, für die<lb/>
Regenten, welche den Adel ertheilen, und für die Nation nützlich, gleich-<lb/>
giltig oder schädlich ist. Unleugbar neigt die große Majorität der Zeit¬<lb/>
genossen zu der letzten dieser drei Ansichten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_12" next="#ID_13"> In den despotischen Staaten, welche die deutschen Fürsten mit ihren<lb/>
Beamten auf den Trümmerhaufen des 30jährigen Krieges neu ordneten und<lb/>
welche bis zu dem französischen Wetterswrm im Aufgange dieses Jahrhun¬<lb/>
derts bestanden, war die Nation nach den Traditionen früherer Zeit in<lb/>
Stande gegliedert, die Familienhäupter des hohen Adels waren die Regen¬<lb/>
ten , den ersten Stand ihres Landes bildete der niedere Adel. Seine Standes¬<lb/>
rechte waren damals groß und für einen aufstrebenden Mann in Wahrheit<lb/>
begehrenswerth. Denn es hatte der landsässige Adel, das heißt diejenigen<lb/>
Familien, welche seit alter Zeit als adelig in der Landschaft begütert waren,<lb/>
fast allein durch Geburt das Recht des Domanialbesitzes auf dem Lande &#x2014;<lb/>
die zahlreichen Ausnahmen zu Gunsten einzelner Städte, Bürger und Cor-<lb/>
porationen beruhten nicht immer, aber in der Regel ebenfalls auf Privilegien.<lb/>
&#x2014; Der Adlige mit acht und mehr Ahnen besaß das nicht weniger werthvolle<lb/>
Vorrecht, seine Söhne und Töchter in einer großen Anzahl geistlicher Stifter<lb/>
versorgen zu können, er allein hatte mit seinen Frauen die Hosfähigkeit, das<lb/>
heißt das Vorrecht, seinen Landesherrn in Gesellschaft und höherem Hofdienst<lb/>
zu umgeben. Der Adel war nicht ausschließlich im Besitz der Offizierstellen<lb/>
und der höheren Staatsämter, aber er wurde bei diesen Carriuren in so aus¬<lb/>
gezeichneter Weise begünstigt, daß er allerdings befugt war, diese Stellen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0010] wir durchaus in der Ordnung finden, wenn deutsche Hausfrauen bei jedem geselligen Vergnügen ihrer adligen Freundin den besten Sophaplatz und die erste Schale Kaffee anbieten. Wir halten allerdings für kein Glück, wenn einzelnen unserer Adligen die Phantasie begehrlich auf Zuständen der Ver¬ gangenheit haftet, wo die Privilegien des Adels zahlreicher, seine Herren¬ stellung im Volke unzweifelhaft war, aber wenn solche Vorliebe für abge¬ storbene Rechte hier und da das Urtheil unserer Mitbürger über die Bedürf¬ nisse des modernen Staates beschränkt, so werden wir auf gesetzlichem Kampf¬ platz, in der Presse und in parlamentarischen Körperschaften, eine freiere und größere Auffassung ihrer Pflichten ihnen gegenüber geltend machen. Zuletzt wiederholen wir freudig die Anerkennung, daß viele Namen unsers Adels mit unsern theuersten Erinnerungen, mit großen Erfolgen auf Schlachtfeldern, in Wissenschaft und Kunst eng verbunden sind, und daß die Nachkommen alter Landbeschädiger durch loyale Hingabe an die besten Interessen des Staates mehr als einmal das Unrecht der Väter in ausgezeichneter Weise gesühnt haben. Nirgend so sehr und so ruhmvoll als in Preußen. Aber eine andere Frage ist, ob eine fortwährende Vermehrung unserer Adelsfamilien durch modernen Briefadel für die Geadelten selbst, für die Regenten, welche den Adel ertheilen, und für die Nation nützlich, gleich- giltig oder schädlich ist. Unleugbar neigt die große Majorität der Zeit¬ genossen zu der letzten dieser drei Ansichten. In den despotischen Staaten, welche die deutschen Fürsten mit ihren Beamten auf den Trümmerhaufen des 30jährigen Krieges neu ordneten und welche bis zu dem französischen Wetterswrm im Aufgange dieses Jahrhun¬ derts bestanden, war die Nation nach den Traditionen früherer Zeit in Stande gegliedert, die Familienhäupter des hohen Adels waren die Regen¬ ten , den ersten Stand ihres Landes bildete der niedere Adel. Seine Standes¬ rechte waren damals groß und für einen aufstrebenden Mann in Wahrheit begehrenswerth. Denn es hatte der landsässige Adel, das heißt diejenigen Familien, welche seit alter Zeit als adelig in der Landschaft begütert waren, fast allein durch Geburt das Recht des Domanialbesitzes auf dem Lande — die zahlreichen Ausnahmen zu Gunsten einzelner Städte, Bürger und Cor- porationen beruhten nicht immer, aber in der Regel ebenfalls auf Privilegien. — Der Adlige mit acht und mehr Ahnen besaß das nicht weniger werthvolle Vorrecht, seine Söhne und Töchter in einer großen Anzahl geistlicher Stifter versorgen zu können, er allein hatte mit seinen Frauen die Hosfähigkeit, das heißt das Vorrecht, seinen Landesherrn in Gesellschaft und höherem Hofdienst zu umgeben. Der Adel war nicht ausschließlich im Besitz der Offizierstellen und der höheren Staatsämter, aber er wurde bei diesen Carriuren in so aus¬ gezeichneter Weise begünstigt, daß er allerdings befugt war, diese Stellen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/10
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/10>, abgerufen am 28.09.2024.