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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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später folgen, aber ihn dort noch finden sollte. Die ersten Tage des Aufent¬
haltes des Czaaren benutzte nun sein Wirth, um seine Überredungskünste
zu üben und ihn von Preußen zu trennen, aber der Kaiser lehnte nicht nur
alles ab, sondern war überhaupt kühl und verschlossen; die Rufe, mit denen
ihn die Vorstadt Se. Antoine begrüßte, mochten ihn schon unangenehm be¬
rührt haben, nun kam noch der Empfang im Justizpalast und schließlich das
Attentat BerezowsM. Der Besuch ungern unternommen, endete peinlich,
Fürst Gortschakow, der sich vorher vermessen, Candia von Paris mitzubrin¬
gen , sah sich heftigen Vorwürfen ausgesetzt und die Beziehungen zwischen
Frankreich und Nußland wurden sehr kühl. So.konnte es Baron Beust
nicht schwer werden, Napoleon in Salzburg für seine orientalische Politik zu
gewinnen und diese war die Metternichische, türkenfreundliche und antirussi¬
sche. Allerdings hatte Beust bald nach seinem Eintritte in den östreichischen
Dienst, ehe er sich noch hinreichend orientirt, den Versuch gemacht, Nußland
zu gewinnen, indem er eine Revision des Vertrages von 1856 in Aussicht
stellte, allein er fand damit keinen Anklang, denn Fürst Gortschakow geht
davon aus, daß der pariser Vertrag überhaupt hinfällig geworden, seit die
Pforte gegen dessen Wortlaut der Vereinigung der Donaufürstenthümer unter
einem fremden Fürsten zugestimmt. Der russische Kanzler hat dies zwar noch
niemals mit dürren Worten öffentlich gesagt, aber es ist, wenn man es
nicht schon anderweitig wüßte, zwischen den Zeilen bereits deutlich in seiner
kürzlich veröffentlichten Depesche an Baron Budberg vom Anfang 1866 zu
lesen. In derselben erklärte er in Betreff der Donaufürstenthümer nach der
herkömmlichen Betheuerung, Rußland wünsche nur, die Verträge zu er¬
halten, daß, wenn die andern Mächte Abweichungen von denselben, welche
den wirklichen Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerungen entsprächen,
zulassen wollten, Rußland sich dem nicht widersetzen werde, im Gegentheil
sei dann seine Aufgabe, dies Präeedenz auf alle christlichen Nationali¬
täten des Orients auszudehnen, d. h. also die Türkei in faktisch sou¬
veräne Staaten wie die Donaufürstenthümer aufzulösen. Nach diesem erfolg¬
losen Versuch ging Beust auf die traditionelle östreichische Politik zurück,
welche darin besteht, den Le^tus ano in der Türkei möglichst zu erhalten und
dem russischen Einfluß beharrlich entgegenzuarbeiten, wofür er in seinem
Botschafter in Constantinopel, Baron Prokesch, welcher das unbedingte Ver¬
trauen der Pforte genießt, ein besonders geeignetes Organ hat. Derselbe,
der den größten Theil seines Lebens im Orient zugebracht hat, hatte bereits
1846 eine actenmäßige Geschichte des griechischen Freiheitskampfes vollendet,
aber Fürst Metternich widersetzte sich der Veröffentlichung derselben, weil sie
die russische Regierung zu sehr compromittiren würde, und seitdem lag das
Manuscript in der Staatskanzlei; jetzt ertheilte Beust das Imprimatur und


später folgen, aber ihn dort noch finden sollte. Die ersten Tage des Aufent¬
haltes des Czaaren benutzte nun sein Wirth, um seine Überredungskünste
zu üben und ihn von Preußen zu trennen, aber der Kaiser lehnte nicht nur
alles ab, sondern war überhaupt kühl und verschlossen; die Rufe, mit denen
ihn die Vorstadt Se. Antoine begrüßte, mochten ihn schon unangenehm be¬
rührt haben, nun kam noch der Empfang im Justizpalast und schließlich das
Attentat BerezowsM. Der Besuch ungern unternommen, endete peinlich,
Fürst Gortschakow, der sich vorher vermessen, Candia von Paris mitzubrin¬
gen , sah sich heftigen Vorwürfen ausgesetzt und die Beziehungen zwischen
Frankreich und Nußland wurden sehr kühl. So.konnte es Baron Beust
nicht schwer werden, Napoleon in Salzburg für seine orientalische Politik zu
gewinnen und diese war die Metternichische, türkenfreundliche und antirussi¬
sche. Allerdings hatte Beust bald nach seinem Eintritte in den östreichischen
Dienst, ehe er sich noch hinreichend orientirt, den Versuch gemacht, Nußland
zu gewinnen, indem er eine Revision des Vertrages von 1856 in Aussicht
stellte, allein er fand damit keinen Anklang, denn Fürst Gortschakow geht
davon aus, daß der pariser Vertrag überhaupt hinfällig geworden, seit die
Pforte gegen dessen Wortlaut der Vereinigung der Donaufürstenthümer unter
einem fremden Fürsten zugestimmt. Der russische Kanzler hat dies zwar noch
niemals mit dürren Worten öffentlich gesagt, aber es ist, wenn man es
nicht schon anderweitig wüßte, zwischen den Zeilen bereits deutlich in seiner
kürzlich veröffentlichten Depesche an Baron Budberg vom Anfang 1866 zu
lesen. In derselben erklärte er in Betreff der Donaufürstenthümer nach der
herkömmlichen Betheuerung, Rußland wünsche nur, die Verträge zu er¬
halten, daß, wenn die andern Mächte Abweichungen von denselben, welche
den wirklichen Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerungen entsprächen,
zulassen wollten, Rußland sich dem nicht widersetzen werde, im Gegentheil
sei dann seine Aufgabe, dies Präeedenz auf alle christlichen Nationali¬
täten des Orients auszudehnen, d. h. also die Türkei in faktisch sou¬
veräne Staaten wie die Donaufürstenthümer aufzulösen. Nach diesem erfolg¬
losen Versuch ging Beust auf die traditionelle östreichische Politik zurück,
welche darin besteht, den Le^tus ano in der Türkei möglichst zu erhalten und
dem russischen Einfluß beharrlich entgegenzuarbeiten, wofür er in seinem
Botschafter in Constantinopel, Baron Prokesch, welcher das unbedingte Ver¬
trauen der Pforte genießt, ein besonders geeignetes Organ hat. Derselbe,
der den größten Theil seines Lebens im Orient zugebracht hat, hatte bereits
1846 eine actenmäßige Geschichte des griechischen Freiheitskampfes vollendet,
aber Fürst Metternich widersetzte sich der Veröffentlichung derselben, weil sie
die russische Regierung zu sehr compromittiren würde, und seitdem lag das
Manuscript in der Staatskanzlei; jetzt ertheilte Beust das Imprimatur und


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[0108] später folgen, aber ihn dort noch finden sollte. Die ersten Tage des Aufent¬ haltes des Czaaren benutzte nun sein Wirth, um seine Überredungskünste zu üben und ihn von Preußen zu trennen, aber der Kaiser lehnte nicht nur alles ab, sondern war überhaupt kühl und verschlossen; die Rufe, mit denen ihn die Vorstadt Se. Antoine begrüßte, mochten ihn schon unangenehm be¬ rührt haben, nun kam noch der Empfang im Justizpalast und schließlich das Attentat BerezowsM. Der Besuch ungern unternommen, endete peinlich, Fürst Gortschakow, der sich vorher vermessen, Candia von Paris mitzubrin¬ gen , sah sich heftigen Vorwürfen ausgesetzt und die Beziehungen zwischen Frankreich und Nußland wurden sehr kühl. So.konnte es Baron Beust nicht schwer werden, Napoleon in Salzburg für seine orientalische Politik zu gewinnen und diese war die Metternichische, türkenfreundliche und antirussi¬ sche. Allerdings hatte Beust bald nach seinem Eintritte in den östreichischen Dienst, ehe er sich noch hinreichend orientirt, den Versuch gemacht, Nußland zu gewinnen, indem er eine Revision des Vertrages von 1856 in Aussicht stellte, allein er fand damit keinen Anklang, denn Fürst Gortschakow geht davon aus, daß der pariser Vertrag überhaupt hinfällig geworden, seit die Pforte gegen dessen Wortlaut der Vereinigung der Donaufürstenthümer unter einem fremden Fürsten zugestimmt. Der russische Kanzler hat dies zwar noch niemals mit dürren Worten öffentlich gesagt, aber es ist, wenn man es nicht schon anderweitig wüßte, zwischen den Zeilen bereits deutlich in seiner kürzlich veröffentlichten Depesche an Baron Budberg vom Anfang 1866 zu lesen. In derselben erklärte er in Betreff der Donaufürstenthümer nach der herkömmlichen Betheuerung, Rußland wünsche nur, die Verträge zu er¬ halten, daß, wenn die andern Mächte Abweichungen von denselben, welche den wirklichen Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerungen entsprächen, zulassen wollten, Rußland sich dem nicht widersetzen werde, im Gegentheil sei dann seine Aufgabe, dies Präeedenz auf alle christlichen Nationali¬ täten des Orients auszudehnen, d. h. also die Türkei in faktisch sou¬ veräne Staaten wie die Donaufürstenthümer aufzulösen. Nach diesem erfolg¬ losen Versuch ging Beust auf die traditionelle östreichische Politik zurück, welche darin besteht, den Le^tus ano in der Türkei möglichst zu erhalten und dem russischen Einfluß beharrlich entgegenzuarbeiten, wofür er in seinem Botschafter in Constantinopel, Baron Prokesch, welcher das unbedingte Ver¬ trauen der Pforte genießt, ein besonders geeignetes Organ hat. Derselbe, der den größten Theil seines Lebens im Orient zugebracht hat, hatte bereits 1846 eine actenmäßige Geschichte des griechischen Freiheitskampfes vollendet, aber Fürst Metternich widersetzte sich der Veröffentlichung derselben, weil sie die russische Regierung zu sehr compromittiren würde, und seitdem lag das Manuscript in der Staatskanzlei; jetzt ertheilte Beust das Imprimatur und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/108>, abgerufen am 22.07.2024.