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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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so leicht entmuthigen und blieb bei seiner philhellenischen Richtung, ja ging
soweit, daß er im Anfang 1867 zur Cession nicht blos von Candia, sondern
sogar von Thessalien und Epirus rieth. Er verfehlte aber seinen Zweck, Ru߬
land damit zu gewinnen, vollständig, diesem waren vielmehr derartige Vor¬
schläge nur compromittirend, denn sie gaben den türkischen Staatsmännern
Recht, welche nichts von der Abtretung Candias hatten hören wollen, weil
ein solcher Schritt zu weitern Forderungen führen müßte, außerdem geht
Rußlands Vorliebe für Griechenland keineswegs soweit, es bis zur Macht
eines wirklich unabhängigen Staates zu vergrößern. Alles dies konnte nun
bei den fortwährend genauen Beziehungen zwischen Rußland und Preußen dem
Grafen Bismarck keineswegs ein Geheimniß bleiben und dieser operirte unge¬
mein geschickt, indem er in Constantinopel unbedingt mit Frankreich ging, kein
Vorschlag von Paris, war ihm zu weitgehend, noch kurz vor der Eröffnung
des Lorps I6sislg.til wurde Graf Goltz ausdrücklich beauftragt, zu erklären,
daß Preußen ganz bereit sei, die Abtretung auch von Thessalien und Epirus
zu befürworten. Diese Haltung war Napoleon begreiflich sehr unbequem und
er suchte sie möglichst zu ignoriren, um so mehr ließ Bismarck sie natürlich
öffentlich betonen. Es trat nun die Luxemburger Episode ein, welche Creta
für einige Wochen vergessen machte, nach derselben begannen die Fürsten
gen Paris zu pilgern. Der Kaiser Alexander hatte sich nur schwer entschlossen,
die französische Einladung anzunehmen, denn die national-russische Partei
sah in einer solchen Reise nach den Drouin de Lhuys'schen Noten über Polen
eine Demüthigung; nachdem Fürst Gortschakow, dessen Eitelkeit hoffte, daß
eine diplomatische Ueberlegenheit in Paris nicht ohne Erfolge bleiben könne,
eine Zustimmung erreicht, hatte der Kaiser sich mit seinem Onkel, dem
Könige von Preußen verabredet, den Besuch an der Seine gemeinsam zu
machen; aber dies paßte Napoleon nicht, welcher den Czaaren allein zu haben
wünschte. Er ließ also Graf Goltz kommen und sagte, er würde bedauern,
wenn der König mit dem Kaiser zusammenkomme, da er ihn mit allen Ehren
zu empfangen wünsche und es doch nicht vermeiden könne, seinem Neffen den
Vortritt zu geben. Die Antwort aus diese Mittheilung war sehr über¬
raschend für die Tuilerien, denn sie kam nicht, wie man erwartet, von Berlin,
sondern von Petersburg, wohin König Wilhelm die Botschaft befördert, der
Czaar instruirte Baron Budberg telegraphisch, zu sagen, daß er den Kaiser
nicht in Etiketteverlegenheit setzen wolle und es unter diesen Umständen für
besser halte, die Reise ganz auszugeben. Napoleon beeilte sich nun, Erklärun¬
gen zu geben, sein einziger Wunsch sei gewesen, seine Gäste gebührend zu
ehren, er werde nur zu glücklich sein, sie ganz so zu empfangen, wie es ihnen
genehm sei. So ward es denn arrangirt, daß der Kaiser von Rußland zuerst
und allein in Paris eintreffen, der König von Preußen ihm einige Tage


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so leicht entmuthigen und blieb bei seiner philhellenischen Richtung, ja ging
soweit, daß er im Anfang 1867 zur Cession nicht blos von Candia, sondern
sogar von Thessalien und Epirus rieth. Er verfehlte aber seinen Zweck, Ru߬
land damit zu gewinnen, vollständig, diesem waren vielmehr derartige Vor¬
schläge nur compromittirend, denn sie gaben den türkischen Staatsmännern
Recht, welche nichts von der Abtretung Candias hatten hören wollen, weil
ein solcher Schritt zu weitern Forderungen führen müßte, außerdem geht
Rußlands Vorliebe für Griechenland keineswegs soweit, es bis zur Macht
eines wirklich unabhängigen Staates zu vergrößern. Alles dies konnte nun
bei den fortwährend genauen Beziehungen zwischen Rußland und Preußen dem
Grafen Bismarck keineswegs ein Geheimniß bleiben und dieser operirte unge¬
mein geschickt, indem er in Constantinopel unbedingt mit Frankreich ging, kein
Vorschlag von Paris, war ihm zu weitgehend, noch kurz vor der Eröffnung
des Lorps I6sislg.til wurde Graf Goltz ausdrücklich beauftragt, zu erklären,
daß Preußen ganz bereit sei, die Abtretung auch von Thessalien und Epirus
zu befürworten. Diese Haltung war Napoleon begreiflich sehr unbequem und
er suchte sie möglichst zu ignoriren, um so mehr ließ Bismarck sie natürlich
öffentlich betonen. Es trat nun die Luxemburger Episode ein, welche Creta
für einige Wochen vergessen machte, nach derselben begannen die Fürsten
gen Paris zu pilgern. Der Kaiser Alexander hatte sich nur schwer entschlossen,
die französische Einladung anzunehmen, denn die national-russische Partei
sah in einer solchen Reise nach den Drouin de Lhuys'schen Noten über Polen
eine Demüthigung; nachdem Fürst Gortschakow, dessen Eitelkeit hoffte, daß
eine diplomatische Ueberlegenheit in Paris nicht ohne Erfolge bleiben könne,
eine Zustimmung erreicht, hatte der Kaiser sich mit seinem Onkel, dem
Könige von Preußen verabredet, den Besuch an der Seine gemeinsam zu
machen; aber dies paßte Napoleon nicht, welcher den Czaaren allein zu haben
wünschte. Er ließ also Graf Goltz kommen und sagte, er würde bedauern,
wenn der König mit dem Kaiser zusammenkomme, da er ihn mit allen Ehren
zu empfangen wünsche und es doch nicht vermeiden könne, seinem Neffen den
Vortritt zu geben. Die Antwort aus diese Mittheilung war sehr über¬
raschend für die Tuilerien, denn sie kam nicht, wie man erwartet, von Berlin,
sondern von Petersburg, wohin König Wilhelm die Botschaft befördert, der
Czaar instruirte Baron Budberg telegraphisch, zu sagen, daß er den Kaiser
nicht in Etiketteverlegenheit setzen wolle und es unter diesen Umständen für
besser halte, die Reise ganz auszugeben. Napoleon beeilte sich nun, Erklärun¬
gen zu geben, sein einziger Wunsch sei gewesen, seine Gäste gebührend zu
ehren, er werde nur zu glücklich sein, sie ganz so zu empfangen, wie es ihnen
genehm sei. So ward es denn arrangirt, daß der Kaiser von Rußland zuerst
und allein in Paris eintreffen, der König von Preußen ihm einige Tage


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/107>, abgerufen am 22.07.2024.