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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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so beweinenswerth sie sein mochte, doch als die eines einzelnen Menschenlebens
in und neben dem jammervollen Sturze verschwindet, den das Haus des Man¬
nes und sein ehedem so ruhmbedecktes Vaterland vier Tage darnach erlitt?
Wozu noch heute, wo. dem Himmel sei Dank, die Tage von Saalfeld und
Jena gesühnt sind, wo wir ihren Lehren gerecht wurden und ihrer zwar ernst,
aber ohne Kummer, als solcher gedenken, die nicht wiederkehren werden?

In der That kann eine solche Untersuchung nichts zu Tage fördern, was
die Ansicht von dem großen Schicksale des Jahres 1806 zu ändern vermöchte.
Aber von einem so ausschließlich persönlichen Belange, wie es auf den ersten
Blick scheinen mag, ist sie gleichwohl nicht. Denn steht fest, daß der Prinz den
Tod gesucht hat, so kann man der Vermuthung nicht wehren, daß er selbst die
Einleitung des Gefechtes als eine That des Leichtsinns angesehen habe, da ihn
der unverschuldete Verlust eines Vortrabgesechtes unmöglich bis zur Verzweiflung
deprimiren konnte und er seines Werthes für die Armee sich wohl bewußt war;
und dieser Umstand würde ein wichtiges Moment für die Beurtheilung des ganzen
Kampfes abgeben. Von noch schwererer Bedeutung wäre es, wenn der Prinz, wie
der Verfasser der "Gallerie preußischer Charaktere" zu verstehen giebt, in dem ve>
girrenden Kriege nur ein heroisches Ende für ein verfehltes Leben gesucht
haben sollte. Immer wird die Ansicht von dem Gefechte durch das Urtheil
über den Tod des Prinzen afficirt werden, wenn dieser als etwas anderes denn
als ein ungesuchtes und zufälliges Kriegsgeschick nachgewiesen würde. Hier,
offenbar. ve>flicht sich das Persönliche mit dem Allgemeinen, und erwägt man
andrerseits, wie sehr geeignet der Name eines nach eigener Wahl gefallenen
Heerführers für andere war, um eigene Sünden darauf abzuwälzen, so erkennt
man wohl, daß es durchaus^ nicht ohne sachlichen Werth ist, genau festzustellen,
ob hier von Verschuldung die Rede sein darf.

Von der höchsten Wichtigkeit aber ist dies jedenfalls für die Beurtheilung
des merkwürdigen Lebens selbst, um dessen Ende es sich hier handelt. Wie
viel ist der Prinz, der so sehr geliebt ward, auch getadelt und geschmäht worden!
Wie sehr ist namentlich die Thatsache seines Todes ausgebeutet, um rückwärts
die Wüstheit und die innere Zerrüttung seines Lebens zu beweisen! Man muß
ja gestehen, daß dieser Existenz, in der altes ungemein und ursprünglich zu sein
scheint und die sich in der menschlichsten und ungebundensten Darlebung über¬
gewaltiger Kräfte erfüllt, die rechte Zusammenfassung und Harmonie noch fehlt,
und daß sie zuweilen wie ein wildes Spiel zerstörender Mächte erscheinen will,
das auf ein schlimmes Ende deuten mag; aber wir kennen siesnoch keineswegs
in alten ihren Motiven und Aeußerungen, und so ist auch, was wir kennen,
noch immer der mannigfachsten Deutung sähig, wie alles Ursprüngliche, das
ohne Moderation auftritt und einer landläufigen Signatur noch entbehrt. Ist
es unter solchen Umständen gleichgiltig, ob die Mittheilungen, die noch aus


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so beweinenswerth sie sein mochte, doch als die eines einzelnen Menschenlebens
in und neben dem jammervollen Sturze verschwindet, den das Haus des Man¬
nes und sein ehedem so ruhmbedecktes Vaterland vier Tage darnach erlitt?
Wozu noch heute, wo. dem Himmel sei Dank, die Tage von Saalfeld und
Jena gesühnt sind, wo wir ihren Lehren gerecht wurden und ihrer zwar ernst,
aber ohne Kummer, als solcher gedenken, die nicht wiederkehren werden?

In der That kann eine solche Untersuchung nichts zu Tage fördern, was
die Ansicht von dem großen Schicksale des Jahres 1806 zu ändern vermöchte.
Aber von einem so ausschließlich persönlichen Belange, wie es auf den ersten
Blick scheinen mag, ist sie gleichwohl nicht. Denn steht fest, daß der Prinz den
Tod gesucht hat, so kann man der Vermuthung nicht wehren, daß er selbst die
Einleitung des Gefechtes als eine That des Leichtsinns angesehen habe, da ihn
der unverschuldete Verlust eines Vortrabgesechtes unmöglich bis zur Verzweiflung
deprimiren konnte und er seines Werthes für die Armee sich wohl bewußt war;
und dieser Umstand würde ein wichtiges Moment für die Beurtheilung des ganzen
Kampfes abgeben. Von noch schwererer Bedeutung wäre es, wenn der Prinz, wie
der Verfasser der „Gallerie preußischer Charaktere" zu verstehen giebt, in dem ve>
girrenden Kriege nur ein heroisches Ende für ein verfehltes Leben gesucht
haben sollte. Immer wird die Ansicht von dem Gefechte durch das Urtheil
über den Tod des Prinzen afficirt werden, wenn dieser als etwas anderes denn
als ein ungesuchtes und zufälliges Kriegsgeschick nachgewiesen würde. Hier,
offenbar. ve>flicht sich das Persönliche mit dem Allgemeinen, und erwägt man
andrerseits, wie sehr geeignet der Name eines nach eigener Wahl gefallenen
Heerführers für andere war, um eigene Sünden darauf abzuwälzen, so erkennt
man wohl, daß es durchaus^ nicht ohne sachlichen Werth ist, genau festzustellen,
ob hier von Verschuldung die Rede sein darf.

Von der höchsten Wichtigkeit aber ist dies jedenfalls für die Beurtheilung
des merkwürdigen Lebens selbst, um dessen Ende es sich hier handelt. Wie
viel ist der Prinz, der so sehr geliebt ward, auch getadelt und geschmäht worden!
Wie sehr ist namentlich die Thatsache seines Todes ausgebeutet, um rückwärts
die Wüstheit und die innere Zerrüttung seines Lebens zu beweisen! Man muß
ja gestehen, daß dieser Existenz, in der altes ungemein und ursprünglich zu sein
scheint und die sich in der menschlichsten und ungebundensten Darlebung über¬
gewaltiger Kräfte erfüllt, die rechte Zusammenfassung und Harmonie noch fehlt,
und daß sie zuweilen wie ein wildes Spiel zerstörender Mächte erscheinen will,
das auf ein schlimmes Ende deuten mag; aber wir kennen siesnoch keineswegs
in alten ihren Motiven und Aeußerungen, und so ist auch, was wir kennen,
noch immer der mannigfachsten Deutung sähig, wie alles Ursprüngliche, das
ohne Moderation auftritt und einer landläufigen Signatur noch entbehrt. Ist
es unter solchen Umständen gleichgiltig, ob die Mittheilungen, die noch aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/87>, abgerufen am 20.10.2024.