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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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bürgern dieRcichsburg zum Abbrüche überließ, die im vierzehnten Jahrhundert
durch ein Erdbeben beschädigt und deren Kapelle auf Wenzels Befehl um 1400
wiederhergestellt worden war. Indeß mit alle dem begnügte sich Töpler noch
nicht. Er dachte auch an eine weitere Ausdehnung der städtischen Anlage
selbst. Schon waren 1404 an der Nordseite der Stadtmauer zwei Thürme als
Schul) für die Neubauten errichtet, und ein Graben ward zwischen ihnen ge¬
zogen, als jener Neid gegen das Ungemeine, der in Republiken so leicht den
Hervorragenden trifft, auch dem Schöpfer der Große Notenburgs jähen Sturz
bereitete. Von einem Ritt nach Onolzbach unerwartet zurückberufen, wurde
Töpler vor den Rath gestellt, der sich ohne sein Wissen versammelt hatte, und
die "Ehrbaren" kannten die Art und Weise, wie dafür gesorgt werden könne,
daß der Genosse ihrer Macht, der über sie hinausgewachsen war, das Rathhaus
nicht mehr lebend verließ. Natürlich hat sich die Sage des lockenden Stoffes
bemächtigt. Töpler soll, ohne es zu wissen, sich selbst das Todesurtheil ge¬
sprochen haben, als er auf die Frage, was dem Hochverräther zukomme, ant¬
wortete: daß er verhungere; und die Sage fügt noch hinzu, zu spät sei das
treue Weib des Mannes durch einen unterirdischen Gang, den sie aus einem
nahen Keller in den schauerlichen Rathhauskerker trieb, zu der furchtbaren Stätte
seines Todes gelangt.

In dieser finstern Weise beginnt für Rotenburg die Geschichte des fünfzehnten
Jahrhunderts, dessen größter Theil durch furchtbar blutige und erbitterte Kämpfe
mit den benachbarten Herren erfüllt wurde. Vornehmlich war die Stadt an den
Städtekriegen der Jahre 1449- und 1430 in hervorragender Weise bethei¬
ligt. Der wilde Markgraf Albrecht Achilles, welcher fand: "der Prant zyre den
Krieg, als das Magnificat die Vesper", war auf langen Strecken ihr Grenz¬
nachbar, und dies läßt schließen, mit welchen Mitteln die gegenseitigen Gebiete
verwüstet wurden. Und dazu noch wurde in denselben Jahren zu Rotenburg ein
innerer Streit durchgefochten. Denn 14S0 machten die vom Regiment ausge¬
schlossenen Theile der Bürgerschaft den gewaltsamen Versuch, eine Zunftverfassung
einzuführen, und fünf Jahre später wurde schriftlich festgesetzt, daß zwar keine
politischen Zünfte bestehen, den Handwerkern aber eine Anzahl Rathsstellen
eingeräumt werden sollte. Allein ti/ Geschlechter wußten sich im Allein¬
besitz der Macht zu erhalten. Die Konstitution trat in Vergessenheit zurück,
und nur noch einmal sollten die Herren vorübergehend, aber um so ernsthafter
daran erinnert werden, daß sie eigentlich nicht mit Recht das Gemeinwesen allein
beherrschten.

Unterdeß hatte die Stadt in diesem Jahrhundert die Vorstadt, welche an
der Südseite um das neue Spital erwachsen war, in die Ringmauern geschlossen
und dadurch den bis heut nicht von ihr überschrittenen Umfang erreicht. Auch
der Kirchenbau schritt fort. Die Notenburger begannen drei Jahre nach dem


bürgern dieRcichsburg zum Abbrüche überließ, die im vierzehnten Jahrhundert
durch ein Erdbeben beschädigt und deren Kapelle auf Wenzels Befehl um 1400
wiederhergestellt worden war. Indeß mit alle dem begnügte sich Töpler noch
nicht. Er dachte auch an eine weitere Ausdehnung der städtischen Anlage
selbst. Schon waren 1404 an der Nordseite der Stadtmauer zwei Thürme als
Schul) für die Neubauten errichtet, und ein Graben ward zwischen ihnen ge¬
zogen, als jener Neid gegen das Ungemeine, der in Republiken so leicht den
Hervorragenden trifft, auch dem Schöpfer der Große Notenburgs jähen Sturz
bereitete. Von einem Ritt nach Onolzbach unerwartet zurückberufen, wurde
Töpler vor den Rath gestellt, der sich ohne sein Wissen versammelt hatte, und
die „Ehrbaren" kannten die Art und Weise, wie dafür gesorgt werden könne,
daß der Genosse ihrer Macht, der über sie hinausgewachsen war, das Rathhaus
nicht mehr lebend verließ. Natürlich hat sich die Sage des lockenden Stoffes
bemächtigt. Töpler soll, ohne es zu wissen, sich selbst das Todesurtheil ge¬
sprochen haben, als er auf die Frage, was dem Hochverräther zukomme, ant¬
wortete: daß er verhungere; und die Sage fügt noch hinzu, zu spät sei das
treue Weib des Mannes durch einen unterirdischen Gang, den sie aus einem
nahen Keller in den schauerlichen Rathhauskerker trieb, zu der furchtbaren Stätte
seines Todes gelangt.

In dieser finstern Weise beginnt für Rotenburg die Geschichte des fünfzehnten
Jahrhunderts, dessen größter Theil durch furchtbar blutige und erbitterte Kämpfe
mit den benachbarten Herren erfüllt wurde. Vornehmlich war die Stadt an den
Städtekriegen der Jahre 1449- und 1430 in hervorragender Weise bethei¬
ligt. Der wilde Markgraf Albrecht Achilles, welcher fand: „der Prant zyre den
Krieg, als das Magnificat die Vesper", war auf langen Strecken ihr Grenz¬
nachbar, und dies läßt schließen, mit welchen Mitteln die gegenseitigen Gebiete
verwüstet wurden. Und dazu noch wurde in denselben Jahren zu Rotenburg ein
innerer Streit durchgefochten. Denn 14S0 machten die vom Regiment ausge¬
schlossenen Theile der Bürgerschaft den gewaltsamen Versuch, eine Zunftverfassung
einzuführen, und fünf Jahre später wurde schriftlich festgesetzt, daß zwar keine
politischen Zünfte bestehen, den Handwerkern aber eine Anzahl Rathsstellen
eingeräumt werden sollte. Allein ti/ Geschlechter wußten sich im Allein¬
besitz der Macht zu erhalten. Die Konstitution trat in Vergessenheit zurück,
und nur noch einmal sollten die Herren vorübergehend, aber um so ernsthafter
daran erinnert werden, daß sie eigentlich nicht mit Recht das Gemeinwesen allein
beherrschten.

Unterdeß hatte die Stadt in diesem Jahrhundert die Vorstadt, welche an
der Südseite um das neue Spital erwachsen war, in die Ringmauern geschlossen
und dadurch den bis heut nicht von ihr überschrittenen Umfang erreicht. Auch
der Kirchenbau schritt fort. Die Notenburger begannen drei Jahre nach dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/60>, abgerufen am 29.09.2024.