Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

fremdet werden. Vielmehr ist es nöthig, daß der Bürger sie um ein Geringes
in Anspruch nehmen könne, um nicht von ihrem Gebrauche abgeschreckt zu
werden. -- Das Hauptinteresse der Finanzwirthschaft wird sich also an die
Steuern heften.

Damit berühren wir das wichtigste und zugleich schwierigste Gebiet unserer
Wissenschaft. Die Regeln, welche über Besteuerung aufgestellt werden, greifen
unmittelbar in die kleinsten Verhältnisse hinein. Außer aller Frage steht das
Recht des Staats, selbst mit Anwendung von Zwangsmitteln die Deckung
seines nothwendigen Bedarfs von der Gesammtheit seiner Angehörigen zu er¬
wirken, nur handelt es sich darum: nach welchem Maßstabe ist jeder Einzelne
heranzuziehen? Daß an eine Bestreitung des Staatsaufwandcs durch Erlegung
der in jedem einzelnen Falle entstandenen Kosten nicht zu denken ist, wurde
bereits erwähnt; nur wenn der Staat wirklich die bloße arithmetische Summe
von Einzelnen und nicht ein selbständig lebender Organismus wäre, könnte von
solcher Möglichkeit die Rede sein. In der Praxis befolgte man längst den
Sah: "Ein jeder wird besteuert nach Vermögen", aber es galt noch, ihn theo¬
retisch zu begründen. Lange klammerte man sich an das Prinzip, daß die
größere oder kleinere Summe der durch den Staat genossenen Vortheile den
Besteuerungsmaßstab abzugeben habe, und man wußte sich dies Axiom geschickt
genug dienstbar zu machen, indem man schloß: je größer das Vermögen, um
so größer der durch die Staatsanstalt gewährte Schutz, um so größer also auch
die Verpflichtung zur Tragung der Staatskosten. Der erste scharfe Blick auf
diesen Beweis überzeugt von dessen vollständiger UnHaltbarkeit. Wäre über¬
haupt ein Beitrag nach diesem Grundsatz möglich, so würde er unter den im
Vorstehenden erläuterten Begriff der Gebühren fallen, und der überwiegend
größere Theil des Staatsbedarfs wäre wieder nach anderm Prinzip aufzu¬
bringen. Der wirkliche Sachverhalt vielmehr ist dieser. Der Staat besteht für
alle Einzelnen ohne Unterschied, er hat daher auch das Recht, seinen nothwen¬
digen Aufwand aus den Leistungen aller Einzelnen ohne Unterschied bezahlt zu
machen -- Allgemeinheit der Besteuerung. Jeder Einzelne aber wird solche
Leistung als eine Schmälerung der Mittel, welche ihm zur Befriedigung seiner
Bedürfnisse zu Gebote stehen, d.h. als ein Opfer empfinden. Will der Staat
also seine Lasten gerecht vertheilen, so muß er darauf ausgehn, daß alle Ein¬
zelnen durch die Besteuerung das Gefühl eines gleich großen Opfers empfinden
Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Wo aber liegt der richtige Maßstab
für die Empfindung des Opfers? Offenbar in der Fähigkeit des Einzelnen,
zu steuern. Und diese Fähigkeit, wonach wird sie sich bemessen? -- Die alte
Schule antwortete: nach dem Vermögen. Der Begriff Vermögen jedoch, als
lediglich den materiellen Besitz bezeichnend, ist für den vorliegenden Zweck zu
eng, die persönliche Erwerbsfähigkeit mit in sich begreifend, ist er dagegen zu un-


fremdet werden. Vielmehr ist es nöthig, daß der Bürger sie um ein Geringes
in Anspruch nehmen könne, um nicht von ihrem Gebrauche abgeschreckt zu
werden. — Das Hauptinteresse der Finanzwirthschaft wird sich also an die
Steuern heften.

Damit berühren wir das wichtigste und zugleich schwierigste Gebiet unserer
Wissenschaft. Die Regeln, welche über Besteuerung aufgestellt werden, greifen
unmittelbar in die kleinsten Verhältnisse hinein. Außer aller Frage steht das
Recht des Staats, selbst mit Anwendung von Zwangsmitteln die Deckung
seines nothwendigen Bedarfs von der Gesammtheit seiner Angehörigen zu er¬
wirken, nur handelt es sich darum: nach welchem Maßstabe ist jeder Einzelne
heranzuziehen? Daß an eine Bestreitung des Staatsaufwandcs durch Erlegung
der in jedem einzelnen Falle entstandenen Kosten nicht zu denken ist, wurde
bereits erwähnt; nur wenn der Staat wirklich die bloße arithmetische Summe
von Einzelnen und nicht ein selbständig lebender Organismus wäre, könnte von
solcher Möglichkeit die Rede sein. In der Praxis befolgte man längst den
Sah: „Ein jeder wird besteuert nach Vermögen", aber es galt noch, ihn theo¬
retisch zu begründen. Lange klammerte man sich an das Prinzip, daß die
größere oder kleinere Summe der durch den Staat genossenen Vortheile den
Besteuerungsmaßstab abzugeben habe, und man wußte sich dies Axiom geschickt
genug dienstbar zu machen, indem man schloß: je größer das Vermögen, um
so größer der durch die Staatsanstalt gewährte Schutz, um so größer also auch
die Verpflichtung zur Tragung der Staatskosten. Der erste scharfe Blick auf
diesen Beweis überzeugt von dessen vollständiger UnHaltbarkeit. Wäre über¬
haupt ein Beitrag nach diesem Grundsatz möglich, so würde er unter den im
Vorstehenden erläuterten Begriff der Gebühren fallen, und der überwiegend
größere Theil des Staatsbedarfs wäre wieder nach anderm Prinzip aufzu¬
bringen. Der wirkliche Sachverhalt vielmehr ist dieser. Der Staat besteht für
alle Einzelnen ohne Unterschied, er hat daher auch das Recht, seinen nothwen¬
digen Aufwand aus den Leistungen aller Einzelnen ohne Unterschied bezahlt zu
machen — Allgemeinheit der Besteuerung. Jeder Einzelne aber wird solche
Leistung als eine Schmälerung der Mittel, welche ihm zur Befriedigung seiner
Bedürfnisse zu Gebote stehen, d.h. als ein Opfer empfinden. Will der Staat
also seine Lasten gerecht vertheilen, so muß er darauf ausgehn, daß alle Ein¬
zelnen durch die Besteuerung das Gefühl eines gleich großen Opfers empfinden
Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Wo aber liegt der richtige Maßstab
für die Empfindung des Opfers? Offenbar in der Fähigkeit des Einzelnen,
zu steuern. Und diese Fähigkeit, wonach wird sie sich bemessen? — Die alte
Schule antwortete: nach dem Vermögen. Der Begriff Vermögen jedoch, als
lediglich den materiellen Besitz bezeichnend, ist für den vorliegenden Zweck zu
eng, die persönliche Erwerbsfähigkeit mit in sich begreifend, ist er dagegen zu un-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0495" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192256"/>
          <p xml:id="ID_1366" prev="#ID_1365"> fremdet werden. Vielmehr ist es nöthig, daß der Bürger sie um ein Geringes<lb/>
in Anspruch nehmen könne, um nicht von ihrem Gebrauche abgeschreckt zu<lb/>
werden. &#x2014; Das Hauptinteresse der Finanzwirthschaft wird sich also an die<lb/>
Steuern heften.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1367" next="#ID_1368"> Damit berühren wir das wichtigste und zugleich schwierigste Gebiet unserer<lb/>
Wissenschaft. Die Regeln, welche über Besteuerung aufgestellt werden, greifen<lb/>
unmittelbar in die kleinsten Verhältnisse hinein. Außer aller Frage steht das<lb/>
Recht des Staats, selbst mit Anwendung von Zwangsmitteln die Deckung<lb/>
seines nothwendigen Bedarfs von der Gesammtheit seiner Angehörigen zu er¬<lb/>
wirken, nur handelt es sich darum: nach welchem Maßstabe ist jeder Einzelne<lb/>
heranzuziehen? Daß an eine Bestreitung des Staatsaufwandcs durch Erlegung<lb/>
der in jedem einzelnen Falle entstandenen Kosten nicht zu denken ist, wurde<lb/>
bereits erwähnt; nur wenn der Staat wirklich die bloße arithmetische Summe<lb/>
von Einzelnen und nicht ein selbständig lebender Organismus wäre, könnte von<lb/>
solcher Möglichkeit die Rede sein. In der Praxis befolgte man längst den<lb/>
Sah: &#x201E;Ein jeder wird besteuert nach Vermögen", aber es galt noch, ihn theo¬<lb/>
retisch zu begründen. Lange klammerte man sich an das Prinzip, daß die<lb/>
größere oder kleinere Summe der durch den Staat genossenen Vortheile den<lb/>
Besteuerungsmaßstab abzugeben habe, und man wußte sich dies Axiom geschickt<lb/>
genug dienstbar zu machen, indem man schloß: je größer das Vermögen, um<lb/>
so größer der durch die Staatsanstalt gewährte Schutz, um so größer also auch<lb/>
die Verpflichtung zur Tragung der Staatskosten. Der erste scharfe Blick auf<lb/>
diesen Beweis überzeugt von dessen vollständiger UnHaltbarkeit. Wäre über¬<lb/>
haupt ein Beitrag nach diesem Grundsatz möglich, so würde er unter den im<lb/>
Vorstehenden erläuterten Begriff der Gebühren fallen, und der überwiegend<lb/>
größere Theil des Staatsbedarfs wäre wieder nach anderm Prinzip aufzu¬<lb/>
bringen. Der wirkliche Sachverhalt vielmehr ist dieser. Der Staat besteht für<lb/>
alle Einzelnen ohne Unterschied, er hat daher auch das Recht, seinen nothwen¬<lb/>
digen Aufwand aus den Leistungen aller Einzelnen ohne Unterschied bezahlt zu<lb/>
machen &#x2014; Allgemeinheit der Besteuerung. Jeder Einzelne aber wird solche<lb/>
Leistung als eine Schmälerung der Mittel, welche ihm zur Befriedigung seiner<lb/>
Bedürfnisse zu Gebote stehen, d.h. als ein Opfer empfinden. Will der Staat<lb/>
also seine Lasten gerecht vertheilen, so muß er darauf ausgehn, daß alle Ein¬<lb/>
zelnen durch die Besteuerung das Gefühl eines gleich großen Opfers empfinden<lb/>
Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Wo aber liegt der richtige Maßstab<lb/>
für die Empfindung des Opfers? Offenbar in der Fähigkeit des Einzelnen,<lb/>
zu steuern. Und diese Fähigkeit, wonach wird sie sich bemessen? &#x2014; Die alte<lb/>
Schule antwortete: nach dem Vermögen. Der Begriff Vermögen jedoch, als<lb/>
lediglich den materiellen Besitz bezeichnend, ist für den vorliegenden Zweck zu<lb/>
eng, die persönliche Erwerbsfähigkeit mit in sich begreifend, ist er dagegen zu un-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0495] fremdet werden. Vielmehr ist es nöthig, daß der Bürger sie um ein Geringes in Anspruch nehmen könne, um nicht von ihrem Gebrauche abgeschreckt zu werden. — Das Hauptinteresse der Finanzwirthschaft wird sich also an die Steuern heften. Damit berühren wir das wichtigste und zugleich schwierigste Gebiet unserer Wissenschaft. Die Regeln, welche über Besteuerung aufgestellt werden, greifen unmittelbar in die kleinsten Verhältnisse hinein. Außer aller Frage steht das Recht des Staats, selbst mit Anwendung von Zwangsmitteln die Deckung seines nothwendigen Bedarfs von der Gesammtheit seiner Angehörigen zu er¬ wirken, nur handelt es sich darum: nach welchem Maßstabe ist jeder Einzelne heranzuziehen? Daß an eine Bestreitung des Staatsaufwandcs durch Erlegung der in jedem einzelnen Falle entstandenen Kosten nicht zu denken ist, wurde bereits erwähnt; nur wenn der Staat wirklich die bloße arithmetische Summe von Einzelnen und nicht ein selbständig lebender Organismus wäre, könnte von solcher Möglichkeit die Rede sein. In der Praxis befolgte man längst den Sah: „Ein jeder wird besteuert nach Vermögen", aber es galt noch, ihn theo¬ retisch zu begründen. Lange klammerte man sich an das Prinzip, daß die größere oder kleinere Summe der durch den Staat genossenen Vortheile den Besteuerungsmaßstab abzugeben habe, und man wußte sich dies Axiom geschickt genug dienstbar zu machen, indem man schloß: je größer das Vermögen, um so größer der durch die Staatsanstalt gewährte Schutz, um so größer also auch die Verpflichtung zur Tragung der Staatskosten. Der erste scharfe Blick auf diesen Beweis überzeugt von dessen vollständiger UnHaltbarkeit. Wäre über¬ haupt ein Beitrag nach diesem Grundsatz möglich, so würde er unter den im Vorstehenden erläuterten Begriff der Gebühren fallen, und der überwiegend größere Theil des Staatsbedarfs wäre wieder nach anderm Prinzip aufzu¬ bringen. Der wirkliche Sachverhalt vielmehr ist dieser. Der Staat besteht für alle Einzelnen ohne Unterschied, er hat daher auch das Recht, seinen nothwen¬ digen Aufwand aus den Leistungen aller Einzelnen ohne Unterschied bezahlt zu machen — Allgemeinheit der Besteuerung. Jeder Einzelne aber wird solche Leistung als eine Schmälerung der Mittel, welche ihm zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zu Gebote stehen, d.h. als ein Opfer empfinden. Will der Staat also seine Lasten gerecht vertheilen, so muß er darauf ausgehn, daß alle Ein¬ zelnen durch die Besteuerung das Gefühl eines gleich großen Opfers empfinden Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Wo aber liegt der richtige Maßstab für die Empfindung des Opfers? Offenbar in der Fähigkeit des Einzelnen, zu steuern. Und diese Fähigkeit, wonach wird sie sich bemessen? — Die alte Schule antwortete: nach dem Vermögen. Der Begriff Vermögen jedoch, als lediglich den materiellen Besitz bezeichnend, ist für den vorliegenden Zweck zu eng, die persönliche Erwerbsfähigkeit mit in sich begreifend, ist er dagegen zu un-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/495
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/495>, abgerufen am 20.10.2024.