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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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sicher. Eine directe Verminderung des Stammvermögens auf dem Wege deo
Besteuerung hat außerdem ihre sehr bedenklichen Seiten. Längst ist man daher
einig darüber, daß das Einkommen, und nicht das rohe, sondern das reine
Einkommen als Maßstab für die Beitragsfähigkeit zu betrachten sei.

Dies Prinzip in seiner Allgemeinheit ausgesprochen, bedarf jedoch eines
Corrcctivs, was wieder am schlagendsten durch Umpfenbach nachgewiesen wurde,
der zuerst zwischen abstracter und concreter Beitragsfähigkeit unterschied.
Diese letztere wird gefunden, wenn man "dem Momente der Verwendungszwecke,
denen das Einkommen in der Sphäre der privativen Vedürfnißbefricdigung
anheimfällt, die geeignete Rücksichtnahme geschenkt hat." Es scheint nämlich,
als müßte z. B. ein Einkommen, das blos doppelt so groß ist, als ein anderes,
dennoch eine mehr als doppelt so große Steuerfähigkeit besitzen, da die aus demselben
gemachten Verwendungen offenbar in weit ausgedehnterem Maße auf die Be¬
friedigung relativ entbehrlicher Bedürfnisse gerichtet sein werden, als im ersteren Fall,
Eine in gleicher Proportion wie bei jenem durchgeführte Beschränkung dieser Ver¬
wendungen muß somit eine weit weniger dringende Opfercmpfindung verursachen.
Diese Wahrnehmung veranlaßte den Vorschlag, die Besteuerung des Einkom-
l'ommens in stärkerer als blos arithmetischer Progression wachsen zu lassen.
Doch stellt sich heraus, daß jede solche Progression bald an einem Punkte an¬
kommen müßte, wo sie zur Aufzehrung des ganzen Einkommens durch die
Steuer, also zur absoluten Absurdität führt. Befriedigend wird das Problem
allein gelöst durch die Steuerfreiheit des sog. Exist euz in i miauens , d. h.
die Nichtbcstcucrung desjenigen Einkommcntheiles, welcher zur Bestreitung der
zur Führung eines menschenwürdigen Daseins durchaus nothwendigen Be¬
dürfnisse erforderlich ist. Ein Einkommen, welches zur Erreichung dieses Zweckes
eben nothdürftig hinreicht, unbestcuert zu lassen, ist ein durchaus selbstverständ¬
liches Postulat der Humanität, aber es muß hinzugefügt werden, daß diese
Quote alsdann nirgend, auch nicht bei dem größten Einkommen belastet wer¬
den darf. Wird nun aber demgemäß ein bestimmter Betrag als Existenzmini¬
mum von dem Einkommen jedes Einzelnen in Abzug gebracht, so ergibt sich
von selbst, daß, je nachdem diese steuerfrei gelassene Partikel einen kleineren
oder größeren Theil der Gesamtsumme bildet, das Einkommen in stärkerem
oder schwächerem Grade belastet ist. (Bei einem Existenzminimum z. B. von
100 Thlr. wären steuerfrei von einem Einkommen von 100 Thlr. 100 Proc.,
von 200 Thlr. L0. von 1,000.000 Thlr. nur 0,01 Proc.)

Eine höchst eigenthümliche Ungleichheit in der concreten Beitragsfähigkeit
bleibt aber doch noch zu beachten. Sie entspringt aus der Verschiedenartigkeit
der drei überhaupt möglichen Productionsfactoren von Einkommen: Boden,
Capital, Arbeit. Offenbar ist der Empfänger eines Einkommens aus Grund¬
rente oder Capitalzins vor dem eines gleich großen Einkommens aus Arbeits-


sicher. Eine directe Verminderung des Stammvermögens auf dem Wege deo
Besteuerung hat außerdem ihre sehr bedenklichen Seiten. Längst ist man daher
einig darüber, daß das Einkommen, und nicht das rohe, sondern das reine
Einkommen als Maßstab für die Beitragsfähigkeit zu betrachten sei.

Dies Prinzip in seiner Allgemeinheit ausgesprochen, bedarf jedoch eines
Corrcctivs, was wieder am schlagendsten durch Umpfenbach nachgewiesen wurde,
der zuerst zwischen abstracter und concreter Beitragsfähigkeit unterschied.
Diese letztere wird gefunden, wenn man „dem Momente der Verwendungszwecke,
denen das Einkommen in der Sphäre der privativen Vedürfnißbefricdigung
anheimfällt, die geeignete Rücksichtnahme geschenkt hat." Es scheint nämlich,
als müßte z. B. ein Einkommen, das blos doppelt so groß ist, als ein anderes,
dennoch eine mehr als doppelt so große Steuerfähigkeit besitzen, da die aus demselben
gemachten Verwendungen offenbar in weit ausgedehnterem Maße auf die Be¬
friedigung relativ entbehrlicher Bedürfnisse gerichtet sein werden, als im ersteren Fall,
Eine in gleicher Proportion wie bei jenem durchgeführte Beschränkung dieser Ver¬
wendungen muß somit eine weit weniger dringende Opfercmpfindung verursachen.
Diese Wahrnehmung veranlaßte den Vorschlag, die Besteuerung des Einkom-
l'ommens in stärkerer als blos arithmetischer Progression wachsen zu lassen.
Doch stellt sich heraus, daß jede solche Progression bald an einem Punkte an¬
kommen müßte, wo sie zur Aufzehrung des ganzen Einkommens durch die
Steuer, also zur absoluten Absurdität führt. Befriedigend wird das Problem
allein gelöst durch die Steuerfreiheit des sog. Exist euz in i miauens , d. h.
die Nichtbcstcucrung desjenigen Einkommcntheiles, welcher zur Bestreitung der
zur Führung eines menschenwürdigen Daseins durchaus nothwendigen Be¬
dürfnisse erforderlich ist. Ein Einkommen, welches zur Erreichung dieses Zweckes
eben nothdürftig hinreicht, unbestcuert zu lassen, ist ein durchaus selbstverständ¬
liches Postulat der Humanität, aber es muß hinzugefügt werden, daß diese
Quote alsdann nirgend, auch nicht bei dem größten Einkommen belastet wer¬
den darf. Wird nun aber demgemäß ein bestimmter Betrag als Existenzmini¬
mum von dem Einkommen jedes Einzelnen in Abzug gebracht, so ergibt sich
von selbst, daß, je nachdem diese steuerfrei gelassene Partikel einen kleineren
oder größeren Theil der Gesamtsumme bildet, das Einkommen in stärkerem
oder schwächerem Grade belastet ist. (Bei einem Existenzminimum z. B. von
100 Thlr. wären steuerfrei von einem Einkommen von 100 Thlr. 100 Proc.,
von 200 Thlr. L0. von 1,000.000 Thlr. nur 0,01 Proc.)

Eine höchst eigenthümliche Ungleichheit in der concreten Beitragsfähigkeit
bleibt aber doch noch zu beachten. Sie entspringt aus der Verschiedenartigkeit
der drei überhaupt möglichen Productionsfactoren von Einkommen: Boden,
Capital, Arbeit. Offenbar ist der Empfänger eines Einkommens aus Grund¬
rente oder Capitalzins vor dem eines gleich großen Einkommens aus Arbeits-


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[0496] sicher. Eine directe Verminderung des Stammvermögens auf dem Wege deo Besteuerung hat außerdem ihre sehr bedenklichen Seiten. Längst ist man daher einig darüber, daß das Einkommen, und nicht das rohe, sondern das reine Einkommen als Maßstab für die Beitragsfähigkeit zu betrachten sei. Dies Prinzip in seiner Allgemeinheit ausgesprochen, bedarf jedoch eines Corrcctivs, was wieder am schlagendsten durch Umpfenbach nachgewiesen wurde, der zuerst zwischen abstracter und concreter Beitragsfähigkeit unterschied. Diese letztere wird gefunden, wenn man „dem Momente der Verwendungszwecke, denen das Einkommen in der Sphäre der privativen Vedürfnißbefricdigung anheimfällt, die geeignete Rücksichtnahme geschenkt hat." Es scheint nämlich, als müßte z. B. ein Einkommen, das blos doppelt so groß ist, als ein anderes, dennoch eine mehr als doppelt so große Steuerfähigkeit besitzen, da die aus demselben gemachten Verwendungen offenbar in weit ausgedehnterem Maße auf die Be¬ friedigung relativ entbehrlicher Bedürfnisse gerichtet sein werden, als im ersteren Fall, Eine in gleicher Proportion wie bei jenem durchgeführte Beschränkung dieser Ver¬ wendungen muß somit eine weit weniger dringende Opfercmpfindung verursachen. Diese Wahrnehmung veranlaßte den Vorschlag, die Besteuerung des Einkom- l'ommens in stärkerer als blos arithmetischer Progression wachsen zu lassen. Doch stellt sich heraus, daß jede solche Progression bald an einem Punkte an¬ kommen müßte, wo sie zur Aufzehrung des ganzen Einkommens durch die Steuer, also zur absoluten Absurdität führt. Befriedigend wird das Problem allein gelöst durch die Steuerfreiheit des sog. Exist euz in i miauens , d. h. die Nichtbcstcucrung desjenigen Einkommcntheiles, welcher zur Bestreitung der zur Führung eines menschenwürdigen Daseins durchaus nothwendigen Be¬ dürfnisse erforderlich ist. Ein Einkommen, welches zur Erreichung dieses Zweckes eben nothdürftig hinreicht, unbestcuert zu lassen, ist ein durchaus selbstverständ¬ liches Postulat der Humanität, aber es muß hinzugefügt werden, daß diese Quote alsdann nirgend, auch nicht bei dem größten Einkommen belastet wer¬ den darf. Wird nun aber demgemäß ein bestimmter Betrag als Existenzmini¬ mum von dem Einkommen jedes Einzelnen in Abzug gebracht, so ergibt sich von selbst, daß, je nachdem diese steuerfrei gelassene Partikel einen kleineren oder größeren Theil der Gesamtsumme bildet, das Einkommen in stärkerem oder schwächerem Grade belastet ist. (Bei einem Existenzminimum z. B. von 100 Thlr. wären steuerfrei von einem Einkommen von 100 Thlr. 100 Proc., von 200 Thlr. L0. von 1,000.000 Thlr. nur 0,01 Proc.) Eine höchst eigenthümliche Ungleichheit in der concreten Beitragsfähigkeit bleibt aber doch noch zu beachten. Sie entspringt aus der Verschiedenartigkeit der drei überhaupt möglichen Productionsfactoren von Einkommen: Boden, Capital, Arbeit. Offenbar ist der Empfänger eines Einkommens aus Grund¬ rente oder Capitalzins vor dem eines gleich großen Einkommens aus Arbeits-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/496>, abgerufen am 27.09.2024.