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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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beschränkt blicke, unter allen Umständen eine Trübung der immerhin erträglichen
Beziehungen Preußens zum russischen Cabinet zur Folge haben würde. Sie
würde außerdem die Schwierigkeiten, welche Einmischungen in die inneren Verhält¬
nisse eines fremden Staats immer bereiten, im Gefolge haben; sie würde endlich,
wenn sie zu ernsteren Verwickelungen führte, in Deutschland selbst mehr Gegner
als Freunde finden. Seit Preußen in die Reihe der mächtigsten Staaten Eu¬
ropas getreten ist, verlangt seine Würde, daß die Regierung, wenn sie eine
diplomatische Action überhaupt aufgenommen, dieselbe rücksichtslos zu Ende
führe und keine andere als die Sprache des "entweder oder" rede. Etwas anders
ist es freilich, wenn eine befreundete Regierung der andern in vertraulicher Weise
ihre Wünsche und Ansichten über die Jnconvenicnz einzelner Maßnahmen mittheilt;
solche Einwirkung würde durch öffentliche Besprechung in diesem Falle aber nicht
gefördert werden. Den Argwohn Rußlands zu reizen und das Mißtrauen der
moskauer Nationalpart-i gegen die Loyalität der Liv-, Est- und Kurländer
wachzurufen, würde aber zu allen Zeiten ein Unrecht involviren.

Gerade weil es der Machtzuwachs Preußens gewesen ist, der die Besorg¬
nisse der moskauer Demokraten für den Besitz des Ostscelandes wachgerufen
hat, wird die deutsche Presse klug handeln, wenn sie auf die nationale russische
Empfindlichkeit Rücksicht nimmt und ihre berechtigte Theilnahme für das Ge¬
schick der gefährdeten Stcuumesgcnossen von dem Charakter politischer Drohung
frei hält Die Wickung eines in Deutschland zu Gunsten der Ostseeprovinzen
gesprochenen Wortes wird um so größer und nachhaltiger sein, wenn dieses Wort
sich auf das in der Gegenwart Erreichbare beschränkt.

Die schlimmste Folge all zu eifriger Forderungen an die Thätigkeit der
preußischen Regierung ist aber die, daß dieselbe zu einer Unterschätzung des
deutschen Elements in Liv-, Est- und Kurland verleitet wird, welche in Ru߬
land ein tausendfaches Echo findet und denen, die man zu unterstützen wünschte,
den größten Schaden bringt. Das hat sich bei Gelegenheit der Kammerdcbatte
über das Budget für das Ministerium des Auswärtigen in peinlicher Weise
gezeigt*) und zu Erörterungen geführt, welche im Interesse der preußischen Re¬
gierung wie in dem der baltischen Protestanten besser unterblieben wären. Wir
fürchten, die Antwort, welche der Ministerpräsident auf die indirekte Jnterpella-



") Nach den Berichten über die Kammerverhandlungen vom 11. Dec, soll Greif Bismarck
gesagt habe", daß auf je 1000 Letten und Ehlen in Liv-, Est- und Kurland 1 Deutscher
komme. Nach den statistischen Erhebungen von 18<!1 kamen aber aus 1,000,000 Letten und Ehlen
150.000 Deutsche, Das Verhältniß' der deutschen Nationalität zu der keltisch-chemischen ist
somit nicht wie 1: el" 1000, sondern wie 100:1000 resp, wie 1:10. Außerdem ist in Betracht
zu ziehen, daß tausende geborener Letten und Ehlen nach Sprache und Bildung längst Deut"
sehe geworden, und daß aller Bewohner jener Provinzen (die Letten und Ehlen ebenso
wie die Deutschen) Protestanten sind.

beschränkt blicke, unter allen Umständen eine Trübung der immerhin erträglichen
Beziehungen Preußens zum russischen Cabinet zur Folge haben würde. Sie
würde außerdem die Schwierigkeiten, welche Einmischungen in die inneren Verhält¬
nisse eines fremden Staats immer bereiten, im Gefolge haben; sie würde endlich,
wenn sie zu ernsteren Verwickelungen führte, in Deutschland selbst mehr Gegner
als Freunde finden. Seit Preußen in die Reihe der mächtigsten Staaten Eu¬
ropas getreten ist, verlangt seine Würde, daß die Regierung, wenn sie eine
diplomatische Action überhaupt aufgenommen, dieselbe rücksichtslos zu Ende
führe und keine andere als die Sprache des „entweder oder" rede. Etwas anders
ist es freilich, wenn eine befreundete Regierung der andern in vertraulicher Weise
ihre Wünsche und Ansichten über die Jnconvenicnz einzelner Maßnahmen mittheilt;
solche Einwirkung würde durch öffentliche Besprechung in diesem Falle aber nicht
gefördert werden. Den Argwohn Rußlands zu reizen und das Mißtrauen der
moskauer Nationalpart-i gegen die Loyalität der Liv-, Est- und Kurländer
wachzurufen, würde aber zu allen Zeiten ein Unrecht involviren.

Gerade weil es der Machtzuwachs Preußens gewesen ist, der die Besorg¬
nisse der moskauer Demokraten für den Besitz des Ostscelandes wachgerufen
hat, wird die deutsche Presse klug handeln, wenn sie auf die nationale russische
Empfindlichkeit Rücksicht nimmt und ihre berechtigte Theilnahme für das Ge¬
schick der gefährdeten Stcuumesgcnossen von dem Charakter politischer Drohung
frei hält Die Wickung eines in Deutschland zu Gunsten der Ostseeprovinzen
gesprochenen Wortes wird um so größer und nachhaltiger sein, wenn dieses Wort
sich auf das in der Gegenwart Erreichbare beschränkt.

Die schlimmste Folge all zu eifriger Forderungen an die Thätigkeit der
preußischen Regierung ist aber die, daß dieselbe zu einer Unterschätzung des
deutschen Elements in Liv-, Est- und Kurland verleitet wird, welche in Ru߬
land ein tausendfaches Echo findet und denen, die man zu unterstützen wünschte,
den größten Schaden bringt. Das hat sich bei Gelegenheit der Kammerdcbatte
über das Budget für das Ministerium des Auswärtigen in peinlicher Weise
gezeigt*) und zu Erörterungen geführt, welche im Interesse der preußischen Re¬
gierung wie in dem der baltischen Protestanten besser unterblieben wären. Wir
fürchten, die Antwort, welche der Ministerpräsident auf die indirekte Jnterpella-



") Nach den Berichten über die Kammerverhandlungen vom 11. Dec, soll Greif Bismarck
gesagt habe», daß auf je 1000 Letten und Ehlen in Liv-, Est- und Kurland 1 Deutscher
komme. Nach den statistischen Erhebungen von 18<!1 kamen aber aus 1,000,000 Letten und Ehlen
150.000 Deutsche, Das Verhältniß' der deutschen Nationalität zu der keltisch-chemischen ist
somit nicht wie 1: el» 1000, sondern wie 100:1000 resp, wie 1:10. Außerdem ist in Betracht
zu ziehen, daß tausende geborener Letten und Ehlen nach Sprache und Bildung längst Deut«
sehe geworden, und daß aller Bewohner jener Provinzen (die Letten und Ehlen ebenso
wie die Deutschen) Protestanten sind.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/490>, abgerufen am 19.10.2024.