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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Die Schilderung dieser Jahre der Zubereitung zu dem Beruf, für den
man Winckelmann von erster Regung an bestimmt glauben müßte, wüßte man
nicht, wie er ihn scheinbar unversehens in der Reife des Alters erfaßt, ist
der Glanzpunkt der Biographie. Hier kommt auch die Art der Darstellung zu
ihrer größten Geltung. Das Plaidoyer für das "augusteische Sachsen", die
Feinheit der Empfindung, mit der alle Phänomene dieser geistreich-barocken
Zeit auf ihre guten Kräfte angeredet werden, ehren Geist und Herz zugleich;
sie lassen uns erkennen, wie auch auf dieser Welt etwas von der Weihe haften
mag, die ein großer Mensch der Stätte mittheilt, wo er geweilt hat. Wenn
sie sich für diese Liebe des Genius auch in ihrer Weise tückisch wettgemacht hat
durch die Nöthigung zur Conversion, die sie dem Gaste auferlegte, er hat
mia't abgelassen, er bewahrte die dankbare Erinnerung. Und die Folie des be¬
zaubernden Bildes, das er im Herzen behielt, war seine finstere märkische Heimath,
aus der nicht lange nach seinem Weggang der Krieg herschritt, um die glänzende
Sybaritengcsellschaft Dresdens auseinander zu scheuchen.

Jetzt an seinem 130. Geburtstag, für welchen Justis Buch ein würdiges
Weihgeschenk bildet, schmücken dankbare Verehrer seine Colossalbüste zu Rom
und sein Standbild zu Stendal, an beiden Orten aber geschieht es unter dem¬
selben Zeichen, unter Preußens Schutz, welcher auch die Mark deutscher Wissen¬
N. ^. schaft in der heiligen Stadt umfaßt.




Wir können uns nicht versagen, hier einen Brief Winckelmanns anzufügen,
dessen Justi S. 128 erwähnt. Als ein schönes Denkmal seines Freundesherzens
ist er der Aufbewahrung werth.


Allerliebster Freund
Sehr werthgeschätzter Herr College

Ich kan Nöthnitz oder vielmehr den zärtlichsten der Freunde, den ich ver¬
lassen, nicht vergessen. Die Sehnsucht zurück zu kehren, wurde bereits ehe ich
hier ankam, bey mir rege. Ich genieße alle das Gute, was mein Freund und
unser Landhaus mir zu verschaffen vermag. Allein ich bin von der übrigen ge¬
sunden Welt gleichsam abgeschnitten. Ich bin daher entschlossen, bevorstehenden
Frühling wiederum in meine Arbeit einzutreten, und habe es Sr. Lxeellenev
unserem gnädigen Herrn gemeldet.

Die Freundschaft hat ein großes Theil an diesem Entschluß, und die Sehn
sucht nach abwesende Freunde machet einen unendlichen stärkern Eindruck bey
mir als der Genuß des gegenwärtigen. Allein ich komme unter keiner andern
Bedingung zurück, als einen Freund zu finden, der mir allgenugsam ist, und


Die Schilderung dieser Jahre der Zubereitung zu dem Beruf, für den
man Winckelmann von erster Regung an bestimmt glauben müßte, wüßte man
nicht, wie er ihn scheinbar unversehens in der Reife des Alters erfaßt, ist
der Glanzpunkt der Biographie. Hier kommt auch die Art der Darstellung zu
ihrer größten Geltung. Das Plaidoyer für das „augusteische Sachsen", die
Feinheit der Empfindung, mit der alle Phänomene dieser geistreich-barocken
Zeit auf ihre guten Kräfte angeredet werden, ehren Geist und Herz zugleich;
sie lassen uns erkennen, wie auch auf dieser Welt etwas von der Weihe haften
mag, die ein großer Mensch der Stätte mittheilt, wo er geweilt hat. Wenn
sie sich für diese Liebe des Genius auch in ihrer Weise tückisch wettgemacht hat
durch die Nöthigung zur Conversion, die sie dem Gaste auferlegte, er hat
mia't abgelassen, er bewahrte die dankbare Erinnerung. Und die Folie des be¬
zaubernden Bildes, das er im Herzen behielt, war seine finstere märkische Heimath,
aus der nicht lange nach seinem Weggang der Krieg herschritt, um die glänzende
Sybaritengcsellschaft Dresdens auseinander zu scheuchen.

Jetzt an seinem 130. Geburtstag, für welchen Justis Buch ein würdiges
Weihgeschenk bildet, schmücken dankbare Verehrer seine Colossalbüste zu Rom
und sein Standbild zu Stendal, an beiden Orten aber geschieht es unter dem¬
selben Zeichen, unter Preußens Schutz, welcher auch die Mark deutscher Wissen¬
N. ^. schaft in der heiligen Stadt umfaßt.




Wir können uns nicht versagen, hier einen Brief Winckelmanns anzufügen,
dessen Justi S. 128 erwähnt. Als ein schönes Denkmal seines Freundesherzens
ist er der Aufbewahrung werth.


Allerliebster Freund
Sehr werthgeschätzter Herr College

Ich kan Nöthnitz oder vielmehr den zärtlichsten der Freunde, den ich ver¬
lassen, nicht vergessen. Die Sehnsucht zurück zu kehren, wurde bereits ehe ich
hier ankam, bey mir rege. Ich genieße alle das Gute, was mein Freund und
unser Landhaus mir zu verschaffen vermag. Allein ich bin von der übrigen ge¬
sunden Welt gleichsam abgeschnitten. Ich bin daher entschlossen, bevorstehenden
Frühling wiederum in meine Arbeit einzutreten, und habe es Sr. Lxeellenev
unserem gnädigen Herrn gemeldet.

Die Freundschaft hat ein großes Theil an diesem Entschluß, und die Sehn
sucht nach abwesende Freunde machet einen unendlichen stärkern Eindruck bey
mir als der Genuß des gegenwärtigen. Allein ich komme unter keiner andern
Bedingung zurück, als einen Freund zu finden, der mir allgenugsam ist, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/446>, abgerufen am 19.10.2024.