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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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socialen Frage einnehme, begeben und der liberalen Theorie dem Unterschiede
zwischen Staat und Gesellschaft energisch widersprochen habe. Ausfälle
dieser Art und Connivenzen an die Lassallesche Auffassung der Arbeiterfrage
kehren in dem officiösen berliner Organ periodisch wieder und verdienten es
wohl, von den Vertretern des liberalen Oekonomismus aufmerksamer als bis¬
her berücksichtigt zu werden. Schon gelegentlich der Wahlen zu dem letzten
Reichstag haben wir darauf aufmerksam gemacht, daß eigentlich alle Parteien
in gleich incorrecter Weise mit den Socialisten Geschäfte gemacht haben, an-
geblich um dieselben zu ihren Zwecken zu benutzen. Geschäfte dieser Art schla¬
gen nicht selten wider Vermuthen aus. Die Erfahrungen, welche Frankreich
in den vierziger Jahren mit den Socialisten gemacht hat, die die Demokratie
zu ihren Zwecken auszubeuten glaubte, um schließlich von denselben über-
wuchert zu werden, sie sind ernst genug gewesen, um unsern Parteien das
Gewissen zu schärfen und ein für alle Mal zur Warnung vor gefährlichem Spiel
zu dienen. Reactionäre aller Gattungen und Arten haben ihre Blicke seit
Jahren auf die sociale Frage gerichtet und die Abhandlungen, welche die Historisch-
Politischen Blätter von Zeit zu Zeit über dieselbe veröffentlichen (das neueste
Heft enthält einen interessanten Artikel über die sociale Frage auf dem pariser
Congreß) könnten ebenso gut in einem der gouvernementalen Journale Ber¬
lins stehen.

Der Zusammentritt der preußischen Volksvertretung ist fast gleichzeitig mit
der nochmaligen Verurteilung Twestens erfolgt und wird diese sich mit jenem
Prozeß wahrscheinlich schon beschäftigt haben, wenn diese Blätter in die Hände
ihrer Leser kommen. Ueber die Sache selbst ist nichts mehr zu sagen: daß ein
Urtheil dieser Art in einem preußischen Gerichtshof möglich war, ist unserer
Ansicht nach noch lange nicht so schlimm, als daß ein preußischer Justizminister
einen Prozeß dieser Art gegen einen der patriotischsten Männer des Staates,
eine der zuverlässigsten Stützen der nationalen Politik durch wiederholte Apella-
tionen fortzusetzen gewagt hat. Das alte "it 7 g, ciss^juMs äHLerlirl" ist seit
lange aus dem Volksmunde verschwunden und es wird einer fortgesetzten und
schwierigen Arbeit bedürfen, ehe der alte Ruhm preußischer Gerichtshöfe in sein
früheres, durch beinahe zwei Jahrzehnte geschmälertes Recht wieder eingesetzt
werden kann. Schäden dieser Art sind nicht im Handumdrehen auszumärzen, --
wenn aber politische Mißgriffe (die sich dadurch repcirircn ließen, daß ein Staats¬
anwalt rechtzeitig ohne Auftrag zur Anwendung von Rechtsmitteln gelassen wird)
unausgeglichen bleiben und periodisch wiederkehren, so kann das nicht hart genug
verurtheilt werden. Daß es das Abgeordnetenhaus auch dieses Mal nicht an Ver- >
suchen fehlen lassen wird, dem Ministerium des Grafen zur Lippe den Boden 'aus¬
zuschlagen, darauf kann mit Sicherheit gerechnet werden. --der Erfolg wird freilich so
Zweifelhaft bleiben, wie er es von je gewesen. Sehr viel schwieriger ist die Frage,


socialen Frage einnehme, begeben und der liberalen Theorie dem Unterschiede
zwischen Staat und Gesellschaft energisch widersprochen habe. Ausfälle
dieser Art und Connivenzen an die Lassallesche Auffassung der Arbeiterfrage
kehren in dem officiösen berliner Organ periodisch wieder und verdienten es
wohl, von den Vertretern des liberalen Oekonomismus aufmerksamer als bis¬
her berücksichtigt zu werden. Schon gelegentlich der Wahlen zu dem letzten
Reichstag haben wir darauf aufmerksam gemacht, daß eigentlich alle Parteien
in gleich incorrecter Weise mit den Socialisten Geschäfte gemacht haben, an-
geblich um dieselben zu ihren Zwecken zu benutzen. Geschäfte dieser Art schla¬
gen nicht selten wider Vermuthen aus. Die Erfahrungen, welche Frankreich
in den vierziger Jahren mit den Socialisten gemacht hat, die die Demokratie
zu ihren Zwecken auszubeuten glaubte, um schließlich von denselben über-
wuchert zu werden, sie sind ernst genug gewesen, um unsern Parteien das
Gewissen zu schärfen und ein für alle Mal zur Warnung vor gefährlichem Spiel
zu dienen. Reactionäre aller Gattungen und Arten haben ihre Blicke seit
Jahren auf die sociale Frage gerichtet und die Abhandlungen, welche die Historisch-
Politischen Blätter von Zeit zu Zeit über dieselbe veröffentlichen (das neueste
Heft enthält einen interessanten Artikel über die sociale Frage auf dem pariser
Congreß) könnten ebenso gut in einem der gouvernementalen Journale Ber¬
lins stehen.

Der Zusammentritt der preußischen Volksvertretung ist fast gleichzeitig mit
der nochmaligen Verurteilung Twestens erfolgt und wird diese sich mit jenem
Prozeß wahrscheinlich schon beschäftigt haben, wenn diese Blätter in die Hände
ihrer Leser kommen. Ueber die Sache selbst ist nichts mehr zu sagen: daß ein
Urtheil dieser Art in einem preußischen Gerichtshof möglich war, ist unserer
Ansicht nach noch lange nicht so schlimm, als daß ein preußischer Justizminister
einen Prozeß dieser Art gegen einen der patriotischsten Männer des Staates,
eine der zuverlässigsten Stützen der nationalen Politik durch wiederholte Apella-
tionen fortzusetzen gewagt hat. Das alte „it 7 g, ciss^juMs äHLerlirl" ist seit
lange aus dem Volksmunde verschwunden und es wird einer fortgesetzten und
schwierigen Arbeit bedürfen, ehe der alte Ruhm preußischer Gerichtshöfe in sein
früheres, durch beinahe zwei Jahrzehnte geschmälertes Recht wieder eingesetzt
werden kann. Schäden dieser Art sind nicht im Handumdrehen auszumärzen, —
wenn aber politische Mißgriffe (die sich dadurch repcirircn ließen, daß ein Staats¬
anwalt rechtzeitig ohne Auftrag zur Anwendung von Rechtsmitteln gelassen wird)
unausgeglichen bleiben und periodisch wiederkehren, so kann das nicht hart genug
verurtheilt werden. Daß es das Abgeordnetenhaus auch dieses Mal nicht an Ver- >
suchen fehlen lassen wird, dem Ministerium des Grafen zur Lippe den Boden 'aus¬
zuschlagen, darauf kann mit Sicherheit gerechnet werden. —der Erfolg wird freilich so
Zweifelhaft bleiben, wie er es von je gewesen. Sehr viel schwieriger ist die Frage,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/399>, abgerufen am 20.10.2024.