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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Demokratie, ohne Zweifel die einflußreichste der feindlichen Parteien jenseit des
Main, geht seit der Schlappe, die sie beim Beginn dieses Monats erhalten,
mit Riesenschritten ihrem Bankerott entgegen und hat schon heute nur über die
Hälfte der Mittel zu verfügen, welche ihr noch vor wenigen Wochen zu Gebote
standen. Wenn die schwäbischen Demokraten der Politik, welche sie neuerdings
einzuschlagen begonnen haben, nur einige Zeit lang treu bleiben und fortfahren,
das Ministerium Varnvühler gegen jeden freisinnigen Antrag, den die natio¬
nalen einbringen, zu unterstützen, so sind sie binnen kurzem ein Generalstab
ohne Armee. -- Aber auch innerhalb des norddeutschen Bundesstaats haben
die Gegner der nationalen Sache entschiedenes Unglück, arbeiten sie ihren ge¬
haßten Gegnern direkt in die Hände. Das Material, aus welchem Blätter vom
Schlage der Zukunft und der Sächsischen Zeitung ihre Seide spinnen, wird
von Woche zu Woche dünner, -- es giebt immer weniger Anzeichen für die
"nahe bevorstehende große Reaction" gegen den "Cultus des Erfolgs" zu re-
gistriren, die Berichte über allgemeinen Unwillen gegen die neuen Institutionen
werben matter und seltener, und man nimmt seine Zuflucht bereits zu Klagen
über Einführung eines gemeinsamen Münzfußes in den verschiedenen Zueilen
des Staats und bejammert vom Standpunkt berechtigter historischer Eigenthüm¬
lichkeiten aus die gewaltsame Beseitigung der altgewohnten Gulbemechnung.
In Sachsen hat das Verfahren der "konservativen" ersten Kammer gegen den
Bürgermeister Dr. Koch zu einem Entrüstungssturm geführt, dessen Wogen über
das Bett der nationalliberalen Partei hinausspülen und alle liberalen Ele¬
mente, auch die specifisch sächsischen, mitfortreißen. Eine wirkliche Macht hat
die radikale Demokratie nur noch in einigen der alten Provinzen Preußens
hinter sich, daß dieselbe aber auch hier in der Abnahme und zwar in einer
ziemlich raschen begriffen ist, hat das Resultat der letzten Wahlen bewiesen, die
noch beträchtlich conservativer als die des Sommers 18K6 ausgefallen sind und
der Rechten die Möglichkeit geboten haben, im Präsidium durch einen der Vice-
präsidenten vertreten zu werden. Dieser Umstand wird die Aufmerksamkeit der Li¬
beralen um so mehr verdienen, als die zum erstenmale im preußischen Pcula-
ment vertretenen neuen Provinzen, wenn sie nicht Partikularisten nach Berlin
sandten, so überwiegend im nationalliberalen Sinne gewählt haben, daß der
Zuwachs der Conservativen ausschließlich aus Rechnung des Jdeenumschlags in
Altpreußen kommt. Immer deutlicher stellt sichs heraus, daß die Gouvernc-
mental-Conservativen bestrebt sind, sich durch Concessionen an die Forderungen
des Socialismus in den arbeitenden Klassen zu verstärken und gewisse radicale
Elemente im Kampf gegen den Liberalismus zu verwerthen. Sehr beachtens-
werth ist in dieser Beziehung ein Artikel der Norbd. Allg. Ztg. vom 27. Nov.,
der seine Befriedigung darüber ausspricht, daß Löwe-Calbe sich in einem Vortrag
über die sociale Frage auf den Boden, den die konservative Partei bezüglich der


Demokratie, ohne Zweifel die einflußreichste der feindlichen Parteien jenseit des
Main, geht seit der Schlappe, die sie beim Beginn dieses Monats erhalten,
mit Riesenschritten ihrem Bankerott entgegen und hat schon heute nur über die
Hälfte der Mittel zu verfügen, welche ihr noch vor wenigen Wochen zu Gebote
standen. Wenn die schwäbischen Demokraten der Politik, welche sie neuerdings
einzuschlagen begonnen haben, nur einige Zeit lang treu bleiben und fortfahren,
das Ministerium Varnvühler gegen jeden freisinnigen Antrag, den die natio¬
nalen einbringen, zu unterstützen, so sind sie binnen kurzem ein Generalstab
ohne Armee. — Aber auch innerhalb des norddeutschen Bundesstaats haben
die Gegner der nationalen Sache entschiedenes Unglück, arbeiten sie ihren ge¬
haßten Gegnern direkt in die Hände. Das Material, aus welchem Blätter vom
Schlage der Zukunft und der Sächsischen Zeitung ihre Seide spinnen, wird
von Woche zu Woche dünner, — es giebt immer weniger Anzeichen für die
„nahe bevorstehende große Reaction" gegen den „Cultus des Erfolgs" zu re-
gistriren, die Berichte über allgemeinen Unwillen gegen die neuen Institutionen
werben matter und seltener, und man nimmt seine Zuflucht bereits zu Klagen
über Einführung eines gemeinsamen Münzfußes in den verschiedenen Zueilen
des Staats und bejammert vom Standpunkt berechtigter historischer Eigenthüm¬
lichkeiten aus die gewaltsame Beseitigung der altgewohnten Gulbemechnung.
In Sachsen hat das Verfahren der „konservativen" ersten Kammer gegen den
Bürgermeister Dr. Koch zu einem Entrüstungssturm geführt, dessen Wogen über
das Bett der nationalliberalen Partei hinausspülen und alle liberalen Ele¬
mente, auch die specifisch sächsischen, mitfortreißen. Eine wirkliche Macht hat
die radikale Demokratie nur noch in einigen der alten Provinzen Preußens
hinter sich, daß dieselbe aber auch hier in der Abnahme und zwar in einer
ziemlich raschen begriffen ist, hat das Resultat der letzten Wahlen bewiesen, die
noch beträchtlich conservativer als die des Sommers 18K6 ausgefallen sind und
der Rechten die Möglichkeit geboten haben, im Präsidium durch einen der Vice-
präsidenten vertreten zu werden. Dieser Umstand wird die Aufmerksamkeit der Li¬
beralen um so mehr verdienen, als die zum erstenmale im preußischen Pcula-
ment vertretenen neuen Provinzen, wenn sie nicht Partikularisten nach Berlin
sandten, so überwiegend im nationalliberalen Sinne gewählt haben, daß der
Zuwachs der Conservativen ausschließlich aus Rechnung des Jdeenumschlags in
Altpreußen kommt. Immer deutlicher stellt sichs heraus, daß die Gouvernc-
mental-Conservativen bestrebt sind, sich durch Concessionen an die Forderungen
des Socialismus in den arbeitenden Klassen zu verstärken und gewisse radicale
Elemente im Kampf gegen den Liberalismus zu verwerthen. Sehr beachtens-
werth ist in dieser Beziehung ein Artikel der Norbd. Allg. Ztg. vom 27. Nov.,
der seine Befriedigung darüber ausspricht, daß Löwe-Calbe sich in einem Vortrag
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[0398] Demokratie, ohne Zweifel die einflußreichste der feindlichen Parteien jenseit des Main, geht seit der Schlappe, die sie beim Beginn dieses Monats erhalten, mit Riesenschritten ihrem Bankerott entgegen und hat schon heute nur über die Hälfte der Mittel zu verfügen, welche ihr noch vor wenigen Wochen zu Gebote standen. Wenn die schwäbischen Demokraten der Politik, welche sie neuerdings einzuschlagen begonnen haben, nur einige Zeit lang treu bleiben und fortfahren, das Ministerium Varnvühler gegen jeden freisinnigen Antrag, den die natio¬ nalen einbringen, zu unterstützen, so sind sie binnen kurzem ein Generalstab ohne Armee. — Aber auch innerhalb des norddeutschen Bundesstaats haben die Gegner der nationalen Sache entschiedenes Unglück, arbeiten sie ihren ge¬ haßten Gegnern direkt in die Hände. Das Material, aus welchem Blätter vom Schlage der Zukunft und der Sächsischen Zeitung ihre Seide spinnen, wird von Woche zu Woche dünner, — es giebt immer weniger Anzeichen für die „nahe bevorstehende große Reaction" gegen den „Cultus des Erfolgs" zu re- gistriren, die Berichte über allgemeinen Unwillen gegen die neuen Institutionen werben matter und seltener, und man nimmt seine Zuflucht bereits zu Klagen über Einführung eines gemeinsamen Münzfußes in den verschiedenen Zueilen des Staats und bejammert vom Standpunkt berechtigter historischer Eigenthüm¬ lichkeiten aus die gewaltsame Beseitigung der altgewohnten Gulbemechnung. In Sachsen hat das Verfahren der „konservativen" ersten Kammer gegen den Bürgermeister Dr. Koch zu einem Entrüstungssturm geführt, dessen Wogen über das Bett der nationalliberalen Partei hinausspülen und alle liberalen Ele¬ mente, auch die specifisch sächsischen, mitfortreißen. Eine wirkliche Macht hat die radikale Demokratie nur noch in einigen der alten Provinzen Preußens hinter sich, daß dieselbe aber auch hier in der Abnahme und zwar in einer ziemlich raschen begriffen ist, hat das Resultat der letzten Wahlen bewiesen, die noch beträchtlich conservativer als die des Sommers 18K6 ausgefallen sind und der Rechten die Möglichkeit geboten haben, im Präsidium durch einen der Vice- präsidenten vertreten zu werden. Dieser Umstand wird die Aufmerksamkeit der Li¬ beralen um so mehr verdienen, als die zum erstenmale im preußischen Pcula- ment vertretenen neuen Provinzen, wenn sie nicht Partikularisten nach Berlin sandten, so überwiegend im nationalliberalen Sinne gewählt haben, daß der Zuwachs der Conservativen ausschließlich aus Rechnung des Jdeenumschlags in Altpreußen kommt. Immer deutlicher stellt sichs heraus, daß die Gouvernc- mental-Conservativen bestrebt sind, sich durch Concessionen an die Forderungen des Socialismus in den arbeitenden Klassen zu verstärken und gewisse radicale Elemente im Kampf gegen den Liberalismus zu verwerthen. Sehr beachtens- werth ist in dieser Beziehung ein Artikel der Norbd. Allg. Ztg. vom 27. Nov., der seine Befriedigung darüber ausspricht, daß Löwe-Calbe sich in einem Vortrag über die sociale Frage auf den Boden, den die konservative Partei bezüglich der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/398>, abgerufen am 27.09.2024.