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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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weinbrennercien geführt, und alle Voranschläge des Fiscus zu Schanden ge¬
macht hat, läßt sich von einer Veränderung des Steuersystems ebenso wenig
Nutzen erwarten, wie von der im vorigen Monate proclamirten Absicht.des
Finanzministers, den Zolltarif einer Revision zu unterziehen, den protcctionisti-
schen Grundsätzen desselben aber Nichts zu vergeben. Auf keinem Gebiet des
öffentlichen Lebens ist mit halben Maßregeln so wenig auszurichten. wie auf
dem finanziellen und die russischen Opposilionsblätter haben ganz Recht, wenn
sie behaupten, bevor eine jährliche Nechenschaftsablegung über die Staatsaus¬
gaben eingeführt worden, seien alle Versuche zur Besserung der Neichssinanzen
und des Staatscredits ebenso vergeblich, wie Tarifveränderungen ohne Herab¬
setzung der Zölle, da diese allein den Effect haben würden, die bisherigen Objecte des
Schleichhandels durch neue zu ersetzen. -- Aus dem Gebiet der innern russi¬
schen Politik sind verschiedene Maßregeln von Wichtigkeit zu registriren, die in
den abgelaufene" Monat fallen; die im Februar d. I. wegen der oppositionellen
Haltung des Petersburger Landtags für das Gouv. Petersburg außer Kraft gesetzte
Provinzialverfassung ist wieder restituirt, künftigen Ausschreitungen dieser Körper
aber durch die Bestimmung die Spitze abgebrochen worden, daß die Verhand¬
lungen derselben nur noch mit Erlaubniß der Civil-Gouverneure veröffentlicht
werden dürfen. Haben die Organe der moskauer Nationalpanei Recht, so steht
ferner eine Modification der in den nordwestlichen (früher lithauischen) Pro-
vinzen bisher geübten Politik in Aussicht; die vor zwei Jahren begründete Bank
zur Aur'b.euung des russischen Grundbesitzes in den ehemals polnischen Län¬
dern ist aufgehoben worden, der Zuzug russischer Beamten in diese Gouverne¬
ments wirb nicht mehr begünstigt und die Propaganda für Ausbreitung der
griechischen Kirche unter dem katholischen Landvolk ist, zufolge der Abberufung
verschiedener übcreifnger Cvnvertitoren, ins Stocken gerathen. Für diese Be¬
schränkung ihres missionälen Eifers sucht die nationale Demokratie sich an den
Ostseeprovinzen Liv>, Est- und Curland schadlos zu halten, indem sie das Mi߬
trauen der Regierung gegen ti.se unaufhörlich wach ruf!. Es ist den Feinden
des deutschen Elements dieser Provinzen bereits gelungen, das Mlnistercomitv
zu einem Beschluß zu veranlassen, durch welchen die tractatenmäßig herrschende
deutsche Geschäftssprache ans den eigentlichen Staatsbehörden verbannt und auf
die ständischen Gerichte und Verwaltungsstellen beschränkt wird. Man will auf
diese Weise eine vollständigere Russificirung Liv-, Est- und Kurlands vorbereiten
und die Möglichkeit zur Verpflanzung russischer Beamten aus baltischen Boden
gewinnen; auch der deutsche Schulunterricht ist durch eine Verfügung, nach wel¬
cher die Geschichte künftig russisch vorgetragen werden soll, in empfindlichster
Weise angetastet worden. Diese Maßregeln, zu welchen die höchst loyale Hal¬
tung der Bevölkerung absolut keine Veranlassung gegeben hat, werden vou der
moskauer Presse als natürliche Konsequenzen des in Polen und Litthauen an-
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weinbrennercien geführt, und alle Voranschläge des Fiscus zu Schanden ge¬
macht hat, läßt sich von einer Veränderung des Steuersystems ebenso wenig
Nutzen erwarten, wie von der im vorigen Monate proclamirten Absicht.des
Finanzministers, den Zolltarif einer Revision zu unterziehen, den protcctionisti-
schen Grundsätzen desselben aber Nichts zu vergeben. Auf keinem Gebiet des
öffentlichen Lebens ist mit halben Maßregeln so wenig auszurichten. wie auf
dem finanziellen und die russischen Opposilionsblätter haben ganz Recht, wenn
sie behaupten, bevor eine jährliche Nechenschaftsablegung über die Staatsaus¬
gaben eingeführt worden, seien alle Versuche zur Besserung der Neichssinanzen
und des Staatscredits ebenso vergeblich, wie Tarifveränderungen ohne Herab¬
setzung der Zölle, da diese allein den Effect haben würden, die bisherigen Objecte des
Schleichhandels durch neue zu ersetzen. — Aus dem Gebiet der innern russi¬
schen Politik sind verschiedene Maßregeln von Wichtigkeit zu registriren, die in
den abgelaufene» Monat fallen; die im Februar d. I. wegen der oppositionellen
Haltung des Petersburger Landtags für das Gouv. Petersburg außer Kraft gesetzte
Provinzialverfassung ist wieder restituirt, künftigen Ausschreitungen dieser Körper
aber durch die Bestimmung die Spitze abgebrochen worden, daß die Verhand¬
lungen derselben nur noch mit Erlaubniß der Civil-Gouverneure veröffentlicht
werden dürfen. Haben die Organe der moskauer Nationalpanei Recht, so steht
ferner eine Modification der in den nordwestlichen (früher lithauischen) Pro-
vinzen bisher geübten Politik in Aussicht; die vor zwei Jahren begründete Bank
zur Aur'b.euung des russischen Grundbesitzes in den ehemals polnischen Län¬
dern ist aufgehoben worden, der Zuzug russischer Beamten in diese Gouverne¬
ments wirb nicht mehr begünstigt und die Propaganda für Ausbreitung der
griechischen Kirche unter dem katholischen Landvolk ist, zufolge der Abberufung
verschiedener übcreifnger Cvnvertitoren, ins Stocken gerathen. Für diese Be¬
schränkung ihres missionälen Eifers sucht die nationale Demokratie sich an den
Ostseeprovinzen Liv>, Est- und Curland schadlos zu halten, indem sie das Mi߬
trauen der Regierung gegen ti.se unaufhörlich wach ruf!. Es ist den Feinden
des deutschen Elements dieser Provinzen bereits gelungen, das Mlnistercomitv
zu einem Beschluß zu veranlassen, durch welchen die tractatenmäßig herrschende
deutsche Geschäftssprache ans den eigentlichen Staatsbehörden verbannt und auf
die ständischen Gerichte und Verwaltungsstellen beschränkt wird. Man will auf
diese Weise eine vollständigere Russificirung Liv-, Est- und Kurlands vorbereiten
und die Möglichkeit zur Verpflanzung russischer Beamten aus baltischen Boden
gewinnen; auch der deutsche Schulunterricht ist durch eine Verfügung, nach wel¬
cher die Geschichte künftig russisch vorgetragen werden soll, in empfindlichster
Weise angetastet worden. Diese Maßregeln, zu welchen die höchst loyale Hal¬
tung der Bevölkerung absolut keine Veranlassung gegeben hat, werden vou der
moskauer Presse als natürliche Konsequenzen des in Polen und Litthauen an-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/39>, abgerufen am 19.10.2024.