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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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man die Lautverhältnisse einer Sprache zu behandeln, wie man die Analyse
der Sprachformen anzugreifen habe, lag die Anwendung auf andere, als die
indogermanischen Sprachen nahe. So envuchs nach und nach unter Benutzung
dessen, was auch von anderen Seiten schon versucht war, eine allgemeine SPrach-
wisscnschast, die sich mit der Elassificirung und genealogischen Gruppirung der
fast unübersehbaren Masse menschlicher Sprachen befaßt und dem Wesen, oder
wie man es treffend genannt hat, dem Leben der Sprache überhaupt nachspürt.
Eure zugleich festere und liefere Grundlage erhielt dies weitere Sprachstudium
dadurch, daß Wilhelm von Humboldt es mit neuen philosophischen Specula-
tionen durchdrang und die Stellung, welche die Sprache für das Geistesleben
der Voller einnimmt, nach allen Richtungen hin durchforschte. Durch sein 1836
erschienenes Werk über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues wurde
das, was Bopp begonnen hatte> in gewissem Sinne wenigstens zu einem vor¬
läufigen Abschluß gebracht.

Bopp selbst blieb bei allen seinen Erfolgen ein Mann von äußerst schlich¬
ter Persönlichkeit. Er gehörte durchaus nicht zu den Gelehrten, die es für
unerläßlich halten, das Bewußtsein ihrer eigenen Bedeutung in einer schroffen
und steifen Hüllung auszuprägen. Auswärtige Männer der Wissenschaft, die
ihn aufsuchten, waren erstaunt über das Anspruchslose seines Wesens, wie es
be> einem Manne von gleicher Berühmtheit in Frankreich zum Beispiel kaum
denkbar wäre. Bopp besaß die liebenswürdige Offenheit der Rheinländer, auch
über Einzelheiten seiner Wissenschaft sprach er, bei Gelehrten nichts eben Häu¬
figes, gern mit jedem, der Sinn dafür hatte und mit einer so zu sagen kind¬
lichen, nie erlöschenden Freude an dem Stoff, den er behandelte. Den tonan¬
gebenden und einflußreichen Kreisen der gelehrten Welt hat er immer fern
gestanden. Durch den Einfluß Wilhelm von Humboldts an die berliner Uni¬
versität berufen, zog er todt in aller Stille Jünger für seine Wissenschaft und
wirkte mehr noch als durch persönliche Lehre durch unermüdliche schriftstelleri¬
sche Thätigkeit, in beiden nicht wenig gehindert durch eine bedeutende Schwäche
seiner Augen, die er sich schon in jüngeren Jahren bei der Entzifferung indi¬
scher Manusuipte zugezogen hatte. Bopp, dessen Blick für die Erscheinungen
der Sprache so scharf war, konnte schon seit vielen Jahren nur mit Hilfe einer
Loupe lesen. Sein großartiges Streben fand übrigens längere Zeit nur bei
Einzelnen Anklang. Anfangs machte ihm gegenüber August Wilhelm Schlegel
auf eine weltmännischere Behandlung des Sanskrit Anspruch. Die classische
Philologie, statt dem Schöpfer der vergleichenden Grammatik für eine Neihe der
wichtigsten Belehrungen dankbar zu sein, behandelte diese lange Zeit in zunst-
mäßiger Absonderung als eine Art Ketzerei, vor der sich die liebe Jugend wohl
zu hüten habe. Nicht blos Spott und Hohn, sondern auch die unwidersteh¬
lichste Art der Opposition, starre Gleichgültigkeit trat der jungen Wissenschaft


man die Lautverhältnisse einer Sprache zu behandeln, wie man die Analyse
der Sprachformen anzugreifen habe, lag die Anwendung auf andere, als die
indogermanischen Sprachen nahe. So envuchs nach und nach unter Benutzung
dessen, was auch von anderen Seiten schon versucht war, eine allgemeine SPrach-
wisscnschast, die sich mit der Elassificirung und genealogischen Gruppirung der
fast unübersehbaren Masse menschlicher Sprachen befaßt und dem Wesen, oder
wie man es treffend genannt hat, dem Leben der Sprache überhaupt nachspürt.
Eure zugleich festere und liefere Grundlage erhielt dies weitere Sprachstudium
dadurch, daß Wilhelm von Humboldt es mit neuen philosophischen Specula-
tionen durchdrang und die Stellung, welche die Sprache für das Geistesleben
der Voller einnimmt, nach allen Richtungen hin durchforschte. Durch sein 1836
erschienenes Werk über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues wurde
das, was Bopp begonnen hatte> in gewissem Sinne wenigstens zu einem vor¬
läufigen Abschluß gebracht.

Bopp selbst blieb bei allen seinen Erfolgen ein Mann von äußerst schlich¬
ter Persönlichkeit. Er gehörte durchaus nicht zu den Gelehrten, die es für
unerläßlich halten, das Bewußtsein ihrer eigenen Bedeutung in einer schroffen
und steifen Hüllung auszuprägen. Auswärtige Männer der Wissenschaft, die
ihn aufsuchten, waren erstaunt über das Anspruchslose seines Wesens, wie es
be> einem Manne von gleicher Berühmtheit in Frankreich zum Beispiel kaum
denkbar wäre. Bopp besaß die liebenswürdige Offenheit der Rheinländer, auch
über Einzelheiten seiner Wissenschaft sprach er, bei Gelehrten nichts eben Häu¬
figes, gern mit jedem, der Sinn dafür hatte und mit einer so zu sagen kind¬
lichen, nie erlöschenden Freude an dem Stoff, den er behandelte. Den tonan¬
gebenden und einflußreichen Kreisen der gelehrten Welt hat er immer fern
gestanden. Durch den Einfluß Wilhelm von Humboldts an die berliner Uni¬
versität berufen, zog er todt in aller Stille Jünger für seine Wissenschaft und
wirkte mehr noch als durch persönliche Lehre durch unermüdliche schriftstelleri¬
sche Thätigkeit, in beiden nicht wenig gehindert durch eine bedeutende Schwäche
seiner Augen, die er sich schon in jüngeren Jahren bei der Entzifferung indi¬
scher Manusuipte zugezogen hatte. Bopp, dessen Blick für die Erscheinungen
der Sprache so scharf war, konnte schon seit vielen Jahren nur mit Hilfe einer
Loupe lesen. Sein großartiges Streben fand übrigens längere Zeit nur bei
Einzelnen Anklang. Anfangs machte ihm gegenüber August Wilhelm Schlegel
auf eine weltmännischere Behandlung des Sanskrit Anspruch. Die classische
Philologie, statt dem Schöpfer der vergleichenden Grammatik für eine Neihe der
wichtigsten Belehrungen dankbar zu sein, behandelte diese lange Zeit in zunst-
mäßiger Absonderung als eine Art Ketzerei, vor der sich die liebe Jugend wohl
zu hüten habe. Nicht blos Spott und Hohn, sondern auch die unwidersteh¬
lichste Art der Opposition, starre Gleichgültigkeit trat der jungen Wissenschaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/294>, abgerufen am 19.10.2024.