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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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ausführlichere Analyse ihres Baues Anderen überließ, vor allen dem um dies
Gebiet hochverdienten Caspar Zeuß. Bei so gewaltiger Grcnzcrwcitcrung schien
auch der Name des Sprachstammes zu eng zu sein. Da jetzt die westliche Mark
über die Germanen hinausging, wählte Bopp lieber das Wort indoeuro¬
päisch. Manche, unter anderen Max Müller, der geistreiche Verfasser der Vor¬
lesungen über Sprachwissenschaft, sagen dafür Arisch, eine wenigstens bei
einem Theil dieser Völker nachweisbare alte Vvttsbenennung, während andere
das zuerst gefundene Wort festhalten. Auf den Namen kommt auch wenig an,
da über die Sache kein Zweifel besteht.

Natürlich aber handelt es sich bei allem dem nicht blos um Sprach-, son¬
dern auch um Völkergemeinschaft. Ein Volk wechselt seine Sprache nur in
Folge tiefgreifender äußerer Einwirkung, kaum anders als durch den Einfluß
einer überlegenen Cultur. Und selbst dann verräth sich die Veränderung in
einer gewissen Zersetzung des ursprünglichen Sprachbaues, während dieser auf
diesem Gebiete im wesentlichen unversehrt geblieben ist. Und wo vollends
wäre in jenen langen Jahrhunderten patriarchalischen Dämmerlevens, in wel¬
chen die indogermanische Grundsprache sich allmählich in ihre verschiedenen
Zweige verästelte, von einer überlegenen Cultur die Rede? Nein, die Sprach"
gcmeinschaft beweist hier zweifellos Völkergemeinschaft. Jene lange Kette von
Völkern, die sich mit nicht sehr bedeutenden Unterbrechungen vom Ganges bis
an den atlantischen Ocean erstreckt, benennt die Zahlen, die Familienglieder,
die Hausthiere, die Körperteile, nicht unwichtige geistige Begriffe mit denselben
Wörtern, weil sie Wort und Begriff, Wort und Sache schon zu einer Zeit be¬
saßen, da alle diese später so großen Völker noch ein einziges kleines, im In¬
nern Asiens seßhaftes Lott waren. Was die Indogermanen Gemeinsames be¬
sitzen, das ist ihnen aus der gemeinsamen Urzeit verblieben. Wer das Völker-
leben späterer Zeiten erforscht, der muß von diesen gemeinsamen Grundlagen
ausgehen. Nur so wird auch das den einzelnen Völkern Eigenthümliche recht
begriffen. Man sieht wie tief die neue Wissenschaft eingreift, wie sie, weit
entfernt Sildeustcchcrei zu sein, nach den verschiedensten Seiten, namentlich auch
für die Geschichte des Glaubens, der Sitte, des Rechts der Voller Licht ver¬
breitet. Man braucht nur ein neueres Werk über ältere Gcschichtsperioden zur
Hand zu nehmen und die Art, wie jetzt über die Anfänge des Völkerlevens
^sprechen wird, mit dem zu vergleichen, was selbst die ausgezeichnetsten For¬
scher darüber vor fünfzig Jahren zu sagen wußten, und man sieht sofort den
belebenden Einfluß der vergleichenden Sprachwissenschaft.

Jeder große Fortschritt hat außer dem Gewinn, den er unmittelbar mit
sieh bringt, auch seine Bedeutung für verwandte Fächer. Eine mit großem Er°
folg auf ein bestimmtes Gebiet angewendete Methode wird bald Gemeingut.
So ging es mit Bopps Sprachforschung. Nachdem man gelernt hatte, wie


ausführlichere Analyse ihres Baues Anderen überließ, vor allen dem um dies
Gebiet hochverdienten Caspar Zeuß. Bei so gewaltiger Grcnzcrwcitcrung schien
auch der Name des Sprachstammes zu eng zu sein. Da jetzt die westliche Mark
über die Germanen hinausging, wählte Bopp lieber das Wort indoeuro¬
päisch. Manche, unter anderen Max Müller, der geistreiche Verfasser der Vor¬
lesungen über Sprachwissenschaft, sagen dafür Arisch, eine wenigstens bei
einem Theil dieser Völker nachweisbare alte Vvttsbenennung, während andere
das zuerst gefundene Wort festhalten. Auf den Namen kommt auch wenig an,
da über die Sache kein Zweifel besteht.

Natürlich aber handelt es sich bei allem dem nicht blos um Sprach-, son¬
dern auch um Völkergemeinschaft. Ein Volk wechselt seine Sprache nur in
Folge tiefgreifender äußerer Einwirkung, kaum anders als durch den Einfluß
einer überlegenen Cultur. Und selbst dann verräth sich die Veränderung in
einer gewissen Zersetzung des ursprünglichen Sprachbaues, während dieser auf
diesem Gebiete im wesentlichen unversehrt geblieben ist. Und wo vollends
wäre in jenen langen Jahrhunderten patriarchalischen Dämmerlevens, in wel¬
chen die indogermanische Grundsprache sich allmählich in ihre verschiedenen
Zweige verästelte, von einer überlegenen Cultur die Rede? Nein, die Sprach«
gcmeinschaft beweist hier zweifellos Völkergemeinschaft. Jene lange Kette von
Völkern, die sich mit nicht sehr bedeutenden Unterbrechungen vom Ganges bis
an den atlantischen Ocean erstreckt, benennt die Zahlen, die Familienglieder,
die Hausthiere, die Körperteile, nicht unwichtige geistige Begriffe mit denselben
Wörtern, weil sie Wort und Begriff, Wort und Sache schon zu einer Zeit be¬
saßen, da alle diese später so großen Völker noch ein einziges kleines, im In¬
nern Asiens seßhaftes Lott waren. Was die Indogermanen Gemeinsames be¬
sitzen, das ist ihnen aus der gemeinsamen Urzeit verblieben. Wer das Völker-
leben späterer Zeiten erforscht, der muß von diesen gemeinsamen Grundlagen
ausgehen. Nur so wird auch das den einzelnen Völkern Eigenthümliche recht
begriffen. Man sieht wie tief die neue Wissenschaft eingreift, wie sie, weit
entfernt Sildeustcchcrei zu sein, nach den verschiedensten Seiten, namentlich auch
für die Geschichte des Glaubens, der Sitte, des Rechts der Voller Licht ver¬
breitet. Man braucht nur ein neueres Werk über ältere Gcschichtsperioden zur
Hand zu nehmen und die Art, wie jetzt über die Anfänge des Völkerlevens
^sprechen wird, mit dem zu vergleichen, was selbst die ausgezeichnetsten For¬
scher darüber vor fünfzig Jahren zu sagen wußten, und man sieht sofort den
belebenden Einfluß der vergleichenden Sprachwissenschaft.

Jeder große Fortschritt hat außer dem Gewinn, den er unmittelbar mit
sieh bringt, auch seine Bedeutung für verwandte Fächer. Eine mit großem Er°
folg auf ein bestimmtes Gebiet angewendete Methode wird bald Gemeingut.
So ging es mit Bopps Sprachforschung. Nachdem man gelernt hatte, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/293>, abgerufen am 27.09.2024.