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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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scher Ständebeschlüsse auf das baltische Land juristisch unmöglich. Nichts desto-
weniger schälkelen des Königs Reductionscommisfionen in Livland rücksichtsloser
und eigenmächtiger, als in ihrem Vaterlande. Vergebens sandte die Ritter¬
schaft Deputationen über Deputationen nach Stockholm, um die Abwendung
des Aeußersten zu erflehen, vergebens beriefen sie sich auf ihre verbrieften Rechte
und Privilegien. Des Königs Antwort auf die Vorstellungen, die ihm gemacht
wurden, war die Aufhebung des Landesstaats (der ritterschaftlichen Verfassung)
und die Einkerkerung Johann Reinhold Patkuls, dessen kühnsten der mann¬
haften Sprecher, welche dem Throne Karls genaht waren. In Riga hauste unterdes¬
sen der schwedische General-Gouverneur Graf Hastfer als erbitterter Feind des
Adels und unbeschränkter Günstling seines Fürsten. Mehr und mehr traten
schwedische Ordnungen und Gesetze an Stelle der deutschen, drangen Fremdlinge
in die Aemter und Richterstühle, wurden die Söhne des Landes zurückgedrängt
und des Einflusses beraubt, der ihnen nach dem Recht der Geschichte und nach
den Satzungen der Väter zukam. Aber die Wahrheit des Wortes: "zu drücken
sind sie, doch zu unterdrücken nicht", sollte sich noch einmal glänzend bewähren.
Der zähe Widerstand auf den die feindliche Politik Schwedens allenthalben
stieß, wußte die Fortschritte derselben bis zum Wendepunkt des Jahrhunderts
aufzuhalten -- dann aber brach der nordische Krieg aus, um die Machtverhältnisse
des Ostseegebiets noch einmal vollständig zu verändern. Von den Schweden
aufs äußerste bedrängt und an der Rettung seines Vaterlandes durch fried¬
liche und legale Mittel verzweifelnd, wandte Patkuls düstere Heldengestalt sich
der von Osten aufgehenden Sonne Peters des Großen zu; sein Werk war es,
daß der Zaar, (der diesen in seine Dienste getretenen Fremdling mit einer Rück¬
sicht behandelte, die ihm sonst nicht eigen war) sein Auge auf die Ostseeländer
richtete und das Verhängnis;, in welches Schweden durch Karls XII. Eisenkopf
gerissen wurde, dazu benutzte, die Grenzen seines Reichs bis an das baltische
Meer zu erweitern. Wiederum wurde das Land zwischen Dura und Einband der
Kampfplatz der streitenden Mächte, wiederum verwüstete die Kriegsfurie fast
zwei Jahrzehnte lang die weiten livländischen Ebenen, sank der Bauer zu bettel¬
hafter Armuth und Verwilderung herab, wurden Städte angezündet und Burgen
geschleift. Trotz des harten Unrechts, das sie erfahren, schlugen die Livländer
sich tapfer für die Sache ihres Fürsten und erst nach hartem Kampfe und ver¬
zweifelter Gegenwehr wurde der Zaar des Küstenstrichs Meister. Erst nachdem
er Ritterschaft und Städten ihre alten Privilegien bestätigt hatte, huldigten
diese dem neuen Landesherrn; durch Konfirmation der sog. Accordpunkte, später
durch die Bestimmungen des Nystädter Friedens wurde Peter für sich und seine
Nachkommen verpflichtet, die Herrschaft der lutherischen Kirche, des deutschen
Rechts, der deutschen Sprache und der angestammten Verfassung in seinen neuen


scher Ständebeschlüsse auf das baltische Land juristisch unmöglich. Nichts desto-
weniger schälkelen des Königs Reductionscommisfionen in Livland rücksichtsloser
und eigenmächtiger, als in ihrem Vaterlande. Vergebens sandte die Ritter¬
schaft Deputationen über Deputationen nach Stockholm, um die Abwendung
des Aeußersten zu erflehen, vergebens beriefen sie sich auf ihre verbrieften Rechte
und Privilegien. Des Königs Antwort auf die Vorstellungen, die ihm gemacht
wurden, war die Aufhebung des Landesstaats (der ritterschaftlichen Verfassung)
und die Einkerkerung Johann Reinhold Patkuls, dessen kühnsten der mann¬
haften Sprecher, welche dem Throne Karls genaht waren. In Riga hauste unterdes¬
sen der schwedische General-Gouverneur Graf Hastfer als erbitterter Feind des
Adels und unbeschränkter Günstling seines Fürsten. Mehr und mehr traten
schwedische Ordnungen und Gesetze an Stelle der deutschen, drangen Fremdlinge
in die Aemter und Richterstühle, wurden die Söhne des Landes zurückgedrängt
und des Einflusses beraubt, der ihnen nach dem Recht der Geschichte und nach
den Satzungen der Väter zukam. Aber die Wahrheit des Wortes: „zu drücken
sind sie, doch zu unterdrücken nicht", sollte sich noch einmal glänzend bewähren.
Der zähe Widerstand auf den die feindliche Politik Schwedens allenthalben
stieß, wußte die Fortschritte derselben bis zum Wendepunkt des Jahrhunderts
aufzuhalten — dann aber brach der nordische Krieg aus, um die Machtverhältnisse
des Ostseegebiets noch einmal vollständig zu verändern. Von den Schweden
aufs äußerste bedrängt und an der Rettung seines Vaterlandes durch fried¬
liche und legale Mittel verzweifelnd, wandte Patkuls düstere Heldengestalt sich
der von Osten aufgehenden Sonne Peters des Großen zu; sein Werk war es,
daß der Zaar, (der diesen in seine Dienste getretenen Fremdling mit einer Rück¬
sicht behandelte, die ihm sonst nicht eigen war) sein Auge auf die Ostseeländer
richtete und das Verhängnis;, in welches Schweden durch Karls XII. Eisenkopf
gerissen wurde, dazu benutzte, die Grenzen seines Reichs bis an das baltische
Meer zu erweitern. Wiederum wurde das Land zwischen Dura und Einband der
Kampfplatz der streitenden Mächte, wiederum verwüstete die Kriegsfurie fast
zwei Jahrzehnte lang die weiten livländischen Ebenen, sank der Bauer zu bettel¬
hafter Armuth und Verwilderung herab, wurden Städte angezündet und Burgen
geschleift. Trotz des harten Unrechts, das sie erfahren, schlugen die Livländer
sich tapfer für die Sache ihres Fürsten und erst nach hartem Kampfe und ver¬
zweifelter Gegenwehr wurde der Zaar des Küstenstrichs Meister. Erst nachdem
er Ritterschaft und Städten ihre alten Privilegien bestätigt hatte, huldigten
diese dem neuen Landesherrn; durch Konfirmation der sog. Accordpunkte, später
durch die Bestimmungen des Nystädter Friedens wurde Peter für sich und seine
Nachkommen verpflichtet, die Herrschaft der lutherischen Kirche, des deutschen
Rechts, der deutschen Sprache und der angestammten Verfassung in seinen neuen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/181>, abgerufen am 20.10.2024.