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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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genwart in Geltung sind und der lutherischen Kirche Livlands für alle Zeit
eine feste materielle Basis gesichert haben. Dann wandte der König seine Auf¬
merksamkeit der Justiz und Verwaltung zu, die gleichfalls von Grund aus neu
gestaltet und in eine feste Ordnung gebracht wurde; aus Grund der Privilegiert
Sigismund Augusts sollte der Adel seine und der Lauern Richter und Ver-
waltungsbeamte wählen, der Bürger städtischen Magistraten unterstellt sein -- aber
über beiden stand eine Staatsgewalt, die das öffentliche Interesse wahrnahm
und über der Gesetzlichkeit der Erwählten des Landes wachte. Seine größten
Verdienste erwarb das schwedische Königthum sich aber durch die Begründung
einer protestantischen Hochschule zu Dorpat und zweier Gymnasien (1632) und
durch eine eingreifende Umgestaltung der tief im Argen liegenden bäuerlichen
Verhältnisse. Gustav Adolf und seine Nachfolger haben es mit keiner der
staatlichen Aufgaben, an welchen sie in Liv- und Estland arbeiteten, so ernst
genommen, als mit der Beschränkung der Leibeigenschaft und mitjder Begründung
würdigerer agrarischer Zustände. Der Bauernstand, so wollten die Enkel Wasa's,
sollte auch in Livland die Grundlage ihrer Macht und gemeinsam mit den Städten
ein Gegengewicht gegen den Adel bilden. Zum ersten male wurden sämmtliche
Rittergüter Liv- und Estlands genau vermessen und catastrirt, aus Grund dieser
(gleichfalls noch heute geltenden) Catastrirung, Arbeitsregulative sogen. Wacken-
bücher entworfen, welche die Leistungen der Bauern in ein festes Verhältniß zu
dem ihnen zur Nutzung übergebenen Grund und Boden setzten, und als Maxi-
mum der dem Herrn zustehenden Forderungen, unter keinen Umständen über¬
schritten werden durften. In heilsamer Weise wurde zugleich die Patrimonilge-
richtobarkeit der Gutsbesitzer abgegrenzt und die Freiheit über Leben und Tod
der Erbleuie "uf das Recht zur Ausübung der Hauszucht beschränkt. Die
weitergehenden Pläne, mit welchen die schwedischen Könige sich trugen, um die
Leibeigenschaft stufenweise und allmählich abzuschaffen kamen zufolge des nordischen
Krieges nicht mehr zur Ausführung. Leider war diese Periode segensreicher
Einwirkung der Staatsgewalt auf die feudalistisch verrotteten Zustände Livlands
von blos beschränkter Dauer; die stete Finanznoth der schwedischen Krone ver¬
anlaßte Karl XI. zu einem Staatsstreich, dessen Schändlichkeit die Segnungen,
welche Livland den Ahnherren dieses eigenmächtigen, brutalen Fürsten verdankte,
nahezu aufwog -- zu jener Reduction, welche unter dem Vorwande mangel¬
hafter Bcsitztitel der Grundherren, fast V" aller livländischen Rittergüter zum Be¬
sten des Fiscus einzog und Hunderte adeliger Familien an den Bettelstab brachte.
Schon die Anwendung des vom Stockholmer Reichstage beschlossenen Neductiorrs-
gesetzcs auf die Provinzen jenseit der Ostsee involoirte eine schwere Rechtsver¬
letzung. Da die "isländischen Stände niemals Neichsstanbschaft in Schweden
genossen hatten, die Theilnahme an dieser aber die Grundbedingung der Ange¬
hörigkeit zum schwedischen Staatsverbande bildete, war die Anwendung schrvedi-


genwart in Geltung sind und der lutherischen Kirche Livlands für alle Zeit
eine feste materielle Basis gesichert haben. Dann wandte der König seine Auf¬
merksamkeit der Justiz und Verwaltung zu, die gleichfalls von Grund aus neu
gestaltet und in eine feste Ordnung gebracht wurde; aus Grund der Privilegiert
Sigismund Augusts sollte der Adel seine und der Lauern Richter und Ver-
waltungsbeamte wählen, der Bürger städtischen Magistraten unterstellt sein — aber
über beiden stand eine Staatsgewalt, die das öffentliche Interesse wahrnahm
und über der Gesetzlichkeit der Erwählten des Landes wachte. Seine größten
Verdienste erwarb das schwedische Königthum sich aber durch die Begründung
einer protestantischen Hochschule zu Dorpat und zweier Gymnasien (1632) und
durch eine eingreifende Umgestaltung der tief im Argen liegenden bäuerlichen
Verhältnisse. Gustav Adolf und seine Nachfolger haben es mit keiner der
staatlichen Aufgaben, an welchen sie in Liv- und Estland arbeiteten, so ernst
genommen, als mit der Beschränkung der Leibeigenschaft und mitjder Begründung
würdigerer agrarischer Zustände. Der Bauernstand, so wollten die Enkel Wasa's,
sollte auch in Livland die Grundlage ihrer Macht und gemeinsam mit den Städten
ein Gegengewicht gegen den Adel bilden. Zum ersten male wurden sämmtliche
Rittergüter Liv- und Estlands genau vermessen und catastrirt, aus Grund dieser
(gleichfalls noch heute geltenden) Catastrirung, Arbeitsregulative sogen. Wacken-
bücher entworfen, welche die Leistungen der Bauern in ein festes Verhältniß zu
dem ihnen zur Nutzung übergebenen Grund und Boden setzten, und als Maxi-
mum der dem Herrn zustehenden Forderungen, unter keinen Umständen über¬
schritten werden durften. In heilsamer Weise wurde zugleich die Patrimonilge-
richtobarkeit der Gutsbesitzer abgegrenzt und die Freiheit über Leben und Tod
der Erbleuie «uf das Recht zur Ausübung der Hauszucht beschränkt. Die
weitergehenden Pläne, mit welchen die schwedischen Könige sich trugen, um die
Leibeigenschaft stufenweise und allmählich abzuschaffen kamen zufolge des nordischen
Krieges nicht mehr zur Ausführung. Leider war diese Periode segensreicher
Einwirkung der Staatsgewalt auf die feudalistisch verrotteten Zustände Livlands
von blos beschränkter Dauer; die stete Finanznoth der schwedischen Krone ver¬
anlaßte Karl XI. zu einem Staatsstreich, dessen Schändlichkeit die Segnungen,
welche Livland den Ahnherren dieses eigenmächtigen, brutalen Fürsten verdankte,
nahezu aufwog — zu jener Reduction, welche unter dem Vorwande mangel¬
hafter Bcsitztitel der Grundherren, fast V» aller livländischen Rittergüter zum Be¬
sten des Fiscus einzog und Hunderte adeliger Familien an den Bettelstab brachte.
Schon die Anwendung des vom Stockholmer Reichstage beschlossenen Neductiorrs-
gesetzcs auf die Provinzen jenseit der Ostsee involoirte eine schwere Rechtsver¬
letzung. Da die »isländischen Stände niemals Neichsstanbschaft in Schweden
genossen hatten, die Theilnahme an dieser aber die Grundbedingung der Ange¬
hörigkeit zum schwedischen Staatsverbande bildete, war die Anwendung schrvedi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/180>, abgerufen am 27.09.2024.