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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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hereinbrachen, auch der Trübsinnigste muß lachen, wenn ihm zur Abwechslung
die unerhörten Dummheiten der wiener Staatsmänner uno ihrer Sendlinge
vorgeführt werden. Die Ungarn erduldeten alles, sie ertrugen die brutale Herr¬
schaft Haynaus wie die kleinlichen Intriguen und Plackereien der späteren Dik¬
tatoren. Die Raubthiere und das Ungeziefer brachen nicht ihren Muth, nicht
ihre Geduld. Daß das Treiben der Auditöre, das an die schlimmsten Zeiten
Caraffas erinnerte, auch nicht einen Act der Selbsthilfe hervorrief, spricht besser
als jedes andere Factum von der politischen Sittlichkeit der Magyaren. Die
ganze Zeit über beharrten sie bei der Forderung des strengen Rechtes. Dieses
konnte unterdrückt werden, niemals aber gaben sich die Ungarn dazu her. es
auf höhern Befehl oder des zeitlichen Vortheiles wegen als Unrecht anzuerkennen.
Sie duldeten viel und warteten lange. Endlich wurden sie ihrer Gegner Herr.
Was freier Wille, die Ueberzeugung vom Recht, die politische Klugheit nicht
zuwege brachten, dazu zwang endlich die bittere Noth. Herr von Beust fischte
den "Ausgleich mit Ungarn" als Rettungsanker auf und fand in der Befriedi¬
gung der magyarischen Ansprüche den einzigen Ausweg, dem drohenden Sturze
der östreichischen Macht zu entgehen. Die Ungarn besitzen jetzt ihre Verfassung,
ihr verantwortliches Ministerium, ja sogar wieder den legitimen König, der durch
einen förmlichen Eid, durch Krönung und Salbung an die Constitution gebunden
ist. Der Dualismus ist ein östreichisches Grundgesetz geworden, anerkannt für
die eine NeichslMste ebensogut wie für die andere.

Noch wäre es aber voreilig zu triumphiren, noch hat der Dualismus sich
nicht in politischen Stürmen bewährt, noch kann man nicht mit der gleichen
Zuversicht behaupten, die politische Weisheit ist bei den Ungarn eben so aus¬
gebildet, wie ihr Rechtssinn, im positiven Wirken sind sie eben so stark wie in der
der Abwehr und Zurückweisung. Daß sie unter den übrigen östreichischen
Stämmen theils geheime Neider, theils offene Gegner, keinen einzigen Freund
besitzen, ist ihnen wohl bekannt, aber an und für sich kein Gegenstand bäng¬
licher Sorge. Sie fühlen sich sowohl den einzelnen Slavenstämmen, wie na¬
mentlich den Deutschöstreichern mit guten Gründen weit überlegen und da
zwischen Slaven und Deutschen in Oestreich keine Verbindung denkbar ist, so
fürchten sie die Angriffe derselben nicht. Die Gefahr liegt vielmehr in der
Lässigkeit, welche die Ungarn selbst, gegenüber de.r Pflicht, ihr Verhältniß zu
Oestreich, die "gemeinsamen Angelegenheiten" pr. alises zu regeln, offenbaren.
Es giebt in Ungarn viele Menschen, namentlich in ländlichen Kreisen, welche
die wiedererobcrte Verfassung mit der Steuerfreiheit für gleichbedeutend halten,
am liebsten ihr Land von den anderen Provinzen ganz isolirten, weil jede Ver¬
bindung mit finanziellen Opfern verbunden ist. Es giebt andere, die das Ver¬
hältniß Ungarns zu Oestreich, wie jenes Serbiens zur Pforte auffassen. Man
muß vorläufig dem Kaiser in Wien einen Tribut entrichten, bis es gelingt, das


hereinbrachen, auch der Trübsinnigste muß lachen, wenn ihm zur Abwechslung
die unerhörten Dummheiten der wiener Staatsmänner uno ihrer Sendlinge
vorgeführt werden. Die Ungarn erduldeten alles, sie ertrugen die brutale Herr¬
schaft Haynaus wie die kleinlichen Intriguen und Plackereien der späteren Dik¬
tatoren. Die Raubthiere und das Ungeziefer brachen nicht ihren Muth, nicht
ihre Geduld. Daß das Treiben der Auditöre, das an die schlimmsten Zeiten
Caraffas erinnerte, auch nicht einen Act der Selbsthilfe hervorrief, spricht besser
als jedes andere Factum von der politischen Sittlichkeit der Magyaren. Die
ganze Zeit über beharrten sie bei der Forderung des strengen Rechtes. Dieses
konnte unterdrückt werden, niemals aber gaben sich die Ungarn dazu her. es
auf höhern Befehl oder des zeitlichen Vortheiles wegen als Unrecht anzuerkennen.
Sie duldeten viel und warteten lange. Endlich wurden sie ihrer Gegner Herr.
Was freier Wille, die Ueberzeugung vom Recht, die politische Klugheit nicht
zuwege brachten, dazu zwang endlich die bittere Noth. Herr von Beust fischte
den „Ausgleich mit Ungarn" als Rettungsanker auf und fand in der Befriedi¬
gung der magyarischen Ansprüche den einzigen Ausweg, dem drohenden Sturze
der östreichischen Macht zu entgehen. Die Ungarn besitzen jetzt ihre Verfassung,
ihr verantwortliches Ministerium, ja sogar wieder den legitimen König, der durch
einen förmlichen Eid, durch Krönung und Salbung an die Constitution gebunden
ist. Der Dualismus ist ein östreichisches Grundgesetz geworden, anerkannt für
die eine NeichslMste ebensogut wie für die andere.

Noch wäre es aber voreilig zu triumphiren, noch hat der Dualismus sich
nicht in politischen Stürmen bewährt, noch kann man nicht mit der gleichen
Zuversicht behaupten, die politische Weisheit ist bei den Ungarn eben so aus¬
gebildet, wie ihr Rechtssinn, im positiven Wirken sind sie eben so stark wie in der
der Abwehr und Zurückweisung. Daß sie unter den übrigen östreichischen
Stämmen theils geheime Neider, theils offene Gegner, keinen einzigen Freund
besitzen, ist ihnen wohl bekannt, aber an und für sich kein Gegenstand bäng¬
licher Sorge. Sie fühlen sich sowohl den einzelnen Slavenstämmen, wie na¬
mentlich den Deutschöstreichern mit guten Gründen weit überlegen und da
zwischen Slaven und Deutschen in Oestreich keine Verbindung denkbar ist, so
fürchten sie die Angriffe derselben nicht. Die Gefahr liegt vielmehr in der
Lässigkeit, welche die Ungarn selbst, gegenüber de.r Pflicht, ihr Verhältniß zu
Oestreich, die „gemeinsamen Angelegenheiten" pr. alises zu regeln, offenbaren.
Es giebt in Ungarn viele Menschen, namentlich in ländlichen Kreisen, welche
die wiedererobcrte Verfassung mit der Steuerfreiheit für gleichbedeutend halten,
am liebsten ihr Land von den anderen Provinzen ganz isolirten, weil jede Ver¬
bindung mit finanziellen Opfern verbunden ist. Es giebt andere, die das Ver¬
hältniß Ungarns zu Oestreich, wie jenes Serbiens zur Pforte auffassen. Man
muß vorläufig dem Kaiser in Wien einen Tribut entrichten, bis es gelingt, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/16>, abgerufen am 19.10.2024.