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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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dem wurde dieselbe die längste Zeit als ein Product revolutionären Schwindels
verurtheilt, mußte sich, kaum proclamirt, bereits wieder außer Wirksamkeit gesetzt
sehen und trat nach einer neunzehnjährigen Unterbrechung, Dank der preußischen
Siege und der Beust'schen Taucherpvlitik. erst in diesem Jahre in das Leben.

Ueber diesen letzten Zeitraum seit 1848 berichtet nicht mehr Horväths
Buch; doch drängt es unwillkürlich jeden Leser, das politische Resultat des Kampfes,
von welchem Horväth ausführlich erzählt, zu ziehen und wie sich der gegen¬
wärtige Zustand zu der früheren Entwicklung verhalte, zu untersuchen. Mit
einigen bescheidenen Andeutungen, die sich aus diesen Punkt beziehen, mag die
Anzeige des verdienstlichen Horväth'schen Werkes schließen.

Das Verhältniß Ungarns zu den übrigen Provinzen Oestreichs war bis
zum Jahre 1848 ein ziemlich unklares und verworrenes, doch lag es nicht im
Interesse der einen oder andern Partei, dasselbe ernstlich zu lösen. Als
Dualismus mußte dasselbe eigentlich definirt werden. Verfassungsmäßig hing
Ungarn nur durch die Person des Königs mit den Erbländern zusammen, daß
es nicht in der Weise der letzteren regiert werde, gehört zu den wichtigsten
Privilegien des Reiches. Consequcnt wurde aber dieser Dualismus keineswegs
durchgeführt. Der Absolutismus der im übrigen Oestreich unbedingt herrschte,
machte sich auch in der Behandlung der ungarischen Angelegenheiten vielfach
geltend, auf die äußere Politik, auf die Reichsfinanzen übten die ungarische Hof-
kanzlei und der Preßburger Reichstag nicht den geringsten Einfluß. Anders
gestaltete sich die Sache, als auch in Wien an die Stelle des todten Absolu¬
tismus ein lebendiges constitutionelles Regiment trat. Dieses konnte sich nicht
mit der gemeinsamen persönlichen Spitze begnügen, sondern verlangte noch eine
sachliche Gemeinsamkeit, dehnte den östreichischen Staatsbegriff auch auf Ungarn
aus. Im Namen der östreichischen Staatseinheit sollte der ungarische Dualismus
gebrochen werden, der in Wien nur als eine Abwehr des alten Absolutismus
betrachtet wurde, nach dem Sturze des letztern wenig zeitgemäß mehr erschien.
Die konstitutionelle östreichische Einheitspartei eröffnete den Kampf gegen das
spröde Ungarn; nachdem jene, impotent wie sie war, von der unitarischen Ceu-
tralisationspartei bei Seite geschoben wurde, setzte diese den Kampf fort. Wie
mühselig sie endlich den Sieg errang, wie brutal und unmenschlich sie ihn mi߬
brauchte, ist bekannt. Der ungarische Dualismus, das Haupthinderniß des
östreichischen Einheitsstaats war gebrochen, der Einheitsstaat aber darum noch
nicht aufgebaut. In den nächstfolgenden fünfzehn Jahren zeigt sich die Tüch¬
tigkeit und politische Kraft des magyarischen Volksstammes, seine Integrität und
Ueberzeugungstreue im glänzendsten Licht. Schade, daß dieser Zeitraum 1880
--1865 noch keinen Historiker gesunden. Er ist ebenso reich an dramatischen
Scenen, wie an politischen Lehren. Auch der Hartherzigste kann sich der Thränen
kaum erwehren, wenn er von den namenlosen Leiden liest, die über Ungarn


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dem wurde dieselbe die längste Zeit als ein Product revolutionären Schwindels
verurtheilt, mußte sich, kaum proclamirt, bereits wieder außer Wirksamkeit gesetzt
sehen und trat nach einer neunzehnjährigen Unterbrechung, Dank der preußischen
Siege und der Beust'schen Taucherpvlitik. erst in diesem Jahre in das Leben.

Ueber diesen letzten Zeitraum seit 1848 berichtet nicht mehr Horväths
Buch; doch drängt es unwillkürlich jeden Leser, das politische Resultat des Kampfes,
von welchem Horväth ausführlich erzählt, zu ziehen und wie sich der gegen¬
wärtige Zustand zu der früheren Entwicklung verhalte, zu untersuchen. Mit
einigen bescheidenen Andeutungen, die sich aus diesen Punkt beziehen, mag die
Anzeige des verdienstlichen Horväth'schen Werkes schließen.

Das Verhältniß Ungarns zu den übrigen Provinzen Oestreichs war bis
zum Jahre 1848 ein ziemlich unklares und verworrenes, doch lag es nicht im
Interesse der einen oder andern Partei, dasselbe ernstlich zu lösen. Als
Dualismus mußte dasselbe eigentlich definirt werden. Verfassungsmäßig hing
Ungarn nur durch die Person des Königs mit den Erbländern zusammen, daß
es nicht in der Weise der letzteren regiert werde, gehört zu den wichtigsten
Privilegien des Reiches. Consequcnt wurde aber dieser Dualismus keineswegs
durchgeführt. Der Absolutismus der im übrigen Oestreich unbedingt herrschte,
machte sich auch in der Behandlung der ungarischen Angelegenheiten vielfach
geltend, auf die äußere Politik, auf die Reichsfinanzen übten die ungarische Hof-
kanzlei und der Preßburger Reichstag nicht den geringsten Einfluß. Anders
gestaltete sich die Sache, als auch in Wien an die Stelle des todten Absolu¬
tismus ein lebendiges constitutionelles Regiment trat. Dieses konnte sich nicht
mit der gemeinsamen persönlichen Spitze begnügen, sondern verlangte noch eine
sachliche Gemeinsamkeit, dehnte den östreichischen Staatsbegriff auch auf Ungarn
aus. Im Namen der östreichischen Staatseinheit sollte der ungarische Dualismus
gebrochen werden, der in Wien nur als eine Abwehr des alten Absolutismus
betrachtet wurde, nach dem Sturze des letztern wenig zeitgemäß mehr erschien.
Die konstitutionelle östreichische Einheitspartei eröffnete den Kampf gegen das
spröde Ungarn; nachdem jene, impotent wie sie war, von der unitarischen Ceu-
tralisationspartei bei Seite geschoben wurde, setzte diese den Kampf fort. Wie
mühselig sie endlich den Sieg errang, wie brutal und unmenschlich sie ihn mi߬
brauchte, ist bekannt. Der ungarische Dualismus, das Haupthinderniß des
östreichischen Einheitsstaats war gebrochen, der Einheitsstaat aber darum noch
nicht aufgebaut. In den nächstfolgenden fünfzehn Jahren zeigt sich die Tüch¬
tigkeit und politische Kraft des magyarischen Volksstammes, seine Integrität und
Ueberzeugungstreue im glänzendsten Licht. Schade, daß dieser Zeitraum 1880
—1865 noch keinen Historiker gesunden. Er ist ebenso reich an dramatischen
Scenen, wie an politischen Lehren. Auch der Hartherzigste kann sich der Thränen
kaum erwehren, wenn er von den namenlosen Leiden liest, die über Ungarn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/15>, abgerufen am 27.09.2024.