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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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ein bloßes Vertragsverhältniß dar. Der böhmische Landtag habe dasselbe Recht
wie der ungarische, die Steuern zu bewilligen und beim Aussterben der Dynastie
sich den Herrscher zu wählen. "Sollen wir," ruft Redner mit Emphase, "des¬
halb unseres Rechtes beraubt werden, weil wir in dem letzten Kriege so treu
zu Reich und Dynastie gehalten haben?" (Großer Beifall von den Galerien.)
"Wir wollen nicht von unserem Staatsrechte lassen, wir wollen nicht in diesem
Meere von Verwirrung und Unordnung untersinken. Die Legitimität der Dy¬
nastie hat mit der Legitimität der Nation dieselbe Wurzel und wenn diese
erschüttert wird, so wird jene nicht fest bleiben. Wir hoffen darum, daß unsere
Stimme vor dem Monarchen nicht weniger Gewicht haben wird als die eines
aus der Fremde gedungenen Dieners." (Stürmische Vybvrnjerufe.)

Graf Clam - Martin itz ritt dasselbe historisch-politische Steckenpferd,
sprach mit Entrüstung davon, daß die Deutschen die historische Individualität
des Königreiches Böhmen ins Lächerliche zu ziehen bemüht sind und that
schließlich betreffs des Rcichsrathes den famosen Ausspruch, er unterziehe sich
lieber Octroyirungen der Krone als der Octroyirung der Majorität von Volks¬
vertretungen. In gleicher Weise perorirtcn die übrigen czcchischen Redner.
Ihnen steht das an; aber mehr als originell war es, den ehemaligen Gesandten
Oestreichs am deutschen Bundestage Grafen Friedrich Thun gegen die deutsche >
Partei das Wort ergreifen zu hören. Seine Rede gab nebenbei bemerkt einen
tristen Begriff von der Vertretung Oestreichs durch seine Diplomaten. Graf
Friedrich Thun, der k. t. östreichische Botschafter, erklärte sich nämlich selbst als
Laie in Rechtssachen, und um dies zu beweisen, entwickelte er seinen nationalen
Zwittcrstandpunkt in höchst naiver Weise: er verstehe kein Ezcchisch, sei ein
Deutscher, in deutscher Gegend geboren, müsse aber doch gegen die Deutschen
sprechen, weil es ihm widerstehe, wenn von Czechen und Deutschen in Böhmen
die Rede sei; hier zu Lande gebe es nur Böhmen!

Ich gehe nicht näher auf die vortreffliche Haltung von Herbst und auf Höflcr
ein, der ihm sccundirte. Das sind alles vergangene Dinge. Wir stehen wieder
im lebhaftesten Kampfe um die Neuwahlen und ihre Benutzung. Die Czechen
waren lange vollständig bereit, den Handschuh von neuem aufzunehmen.
"Rüstung zum Feldzuge gegen Beust!" ist ihre ausgegebene Parole. Die
czcchischen Blätter fordern ihre Parteigenossen in leidenschaftlicher Weise zur
Energie auf und "Schlag mit Schlag abzuwehren". Herr v. Beust muß sich
die bittersten Angriffe gefallen lassen. "Beust", rufen die Narodny lifly, "will
ein kühner Schütze sein; das Ziel, das ihm winkt, ist glänzend und im Falle
des Nichtgelingens kann er sein Glück wo anders suchen, denn was liegt dem
Unbekannten am allgemeinen Schimpf und Spott?" Der Wahlaufruf, in dem
die "Führer der Nation" zur Wiederwahl der bisherigen czcchischen Abgeord¬
neten auffordern, war in so maßlos heftigen Ausdrücken abgefaßt, daß der


Grenzboten II. 1867. 10

ein bloßes Vertragsverhältniß dar. Der böhmische Landtag habe dasselbe Recht
wie der ungarische, die Steuern zu bewilligen und beim Aussterben der Dynastie
sich den Herrscher zu wählen. „Sollen wir," ruft Redner mit Emphase, „des¬
halb unseres Rechtes beraubt werden, weil wir in dem letzten Kriege so treu
zu Reich und Dynastie gehalten haben?" (Großer Beifall von den Galerien.)
„Wir wollen nicht von unserem Staatsrechte lassen, wir wollen nicht in diesem
Meere von Verwirrung und Unordnung untersinken. Die Legitimität der Dy¬
nastie hat mit der Legitimität der Nation dieselbe Wurzel und wenn diese
erschüttert wird, so wird jene nicht fest bleiben. Wir hoffen darum, daß unsere
Stimme vor dem Monarchen nicht weniger Gewicht haben wird als die eines
aus der Fremde gedungenen Dieners." (Stürmische Vybvrnjerufe.)

Graf Clam - Martin itz ritt dasselbe historisch-politische Steckenpferd,
sprach mit Entrüstung davon, daß die Deutschen die historische Individualität
des Königreiches Böhmen ins Lächerliche zu ziehen bemüht sind und that
schließlich betreffs des Rcichsrathes den famosen Ausspruch, er unterziehe sich
lieber Octroyirungen der Krone als der Octroyirung der Majorität von Volks¬
vertretungen. In gleicher Weise perorirtcn die übrigen czcchischen Redner.
Ihnen steht das an; aber mehr als originell war es, den ehemaligen Gesandten
Oestreichs am deutschen Bundestage Grafen Friedrich Thun gegen die deutsche >
Partei das Wort ergreifen zu hören. Seine Rede gab nebenbei bemerkt einen
tristen Begriff von der Vertretung Oestreichs durch seine Diplomaten. Graf
Friedrich Thun, der k. t. östreichische Botschafter, erklärte sich nämlich selbst als
Laie in Rechtssachen, und um dies zu beweisen, entwickelte er seinen nationalen
Zwittcrstandpunkt in höchst naiver Weise: er verstehe kein Ezcchisch, sei ein
Deutscher, in deutscher Gegend geboren, müsse aber doch gegen die Deutschen
sprechen, weil es ihm widerstehe, wenn von Czechen und Deutschen in Böhmen
die Rede sei; hier zu Lande gebe es nur Böhmen!

Ich gehe nicht näher auf die vortreffliche Haltung von Herbst und auf Höflcr
ein, der ihm sccundirte. Das sind alles vergangene Dinge. Wir stehen wieder
im lebhaftesten Kampfe um die Neuwahlen und ihre Benutzung. Die Czechen
waren lange vollständig bereit, den Handschuh von neuem aufzunehmen.
„Rüstung zum Feldzuge gegen Beust!" ist ihre ausgegebene Parole. Die
czcchischen Blätter fordern ihre Parteigenossen in leidenschaftlicher Weise zur
Energie auf und „Schlag mit Schlag abzuwehren". Herr v. Beust muß sich
die bittersten Angriffe gefallen lassen. „Beust", rufen die Narodny lifly, „will
ein kühner Schütze sein; das Ziel, das ihm winkt, ist glänzend und im Falle
des Nichtgelingens kann er sein Glück wo anders suchen, denn was liegt dem
Unbekannten am allgemeinen Schimpf und Spott?" Der Wahlaufruf, in dem
die „Führer der Nation" zur Wiederwahl der bisherigen czcchischen Abgeord¬
neten auffordern, war in so maßlos heftigen Ausdrücken abgefaßt, daß der


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[0077] ein bloßes Vertragsverhältniß dar. Der böhmische Landtag habe dasselbe Recht wie der ungarische, die Steuern zu bewilligen und beim Aussterben der Dynastie sich den Herrscher zu wählen. „Sollen wir," ruft Redner mit Emphase, „des¬ halb unseres Rechtes beraubt werden, weil wir in dem letzten Kriege so treu zu Reich und Dynastie gehalten haben?" (Großer Beifall von den Galerien.) „Wir wollen nicht von unserem Staatsrechte lassen, wir wollen nicht in diesem Meere von Verwirrung und Unordnung untersinken. Die Legitimität der Dy¬ nastie hat mit der Legitimität der Nation dieselbe Wurzel und wenn diese erschüttert wird, so wird jene nicht fest bleiben. Wir hoffen darum, daß unsere Stimme vor dem Monarchen nicht weniger Gewicht haben wird als die eines aus der Fremde gedungenen Dieners." (Stürmische Vybvrnjerufe.) Graf Clam - Martin itz ritt dasselbe historisch-politische Steckenpferd, sprach mit Entrüstung davon, daß die Deutschen die historische Individualität des Königreiches Böhmen ins Lächerliche zu ziehen bemüht sind und that schließlich betreffs des Rcichsrathes den famosen Ausspruch, er unterziehe sich lieber Octroyirungen der Krone als der Octroyirung der Majorität von Volks¬ vertretungen. In gleicher Weise perorirtcn die übrigen czcchischen Redner. Ihnen steht das an; aber mehr als originell war es, den ehemaligen Gesandten Oestreichs am deutschen Bundestage Grafen Friedrich Thun gegen die deutsche > Partei das Wort ergreifen zu hören. Seine Rede gab nebenbei bemerkt einen tristen Begriff von der Vertretung Oestreichs durch seine Diplomaten. Graf Friedrich Thun, der k. t. östreichische Botschafter, erklärte sich nämlich selbst als Laie in Rechtssachen, und um dies zu beweisen, entwickelte er seinen nationalen Zwittcrstandpunkt in höchst naiver Weise: er verstehe kein Ezcchisch, sei ein Deutscher, in deutscher Gegend geboren, müsse aber doch gegen die Deutschen sprechen, weil es ihm widerstehe, wenn von Czechen und Deutschen in Böhmen die Rede sei; hier zu Lande gebe es nur Böhmen! Ich gehe nicht näher auf die vortreffliche Haltung von Herbst und auf Höflcr ein, der ihm sccundirte. Das sind alles vergangene Dinge. Wir stehen wieder im lebhaftesten Kampfe um die Neuwahlen und ihre Benutzung. Die Czechen waren lange vollständig bereit, den Handschuh von neuem aufzunehmen. „Rüstung zum Feldzuge gegen Beust!" ist ihre ausgegebene Parole. Die czcchischen Blätter fordern ihre Parteigenossen in leidenschaftlicher Weise zur Energie auf und „Schlag mit Schlag abzuwehren". Herr v. Beust muß sich die bittersten Angriffe gefallen lassen. „Beust", rufen die Narodny lifly, „will ein kühner Schütze sein; das Ziel, das ihm winkt, ist glänzend und im Falle des Nichtgelingens kann er sein Glück wo anders suchen, denn was liegt dem Unbekannten am allgemeinen Schimpf und Spott?" Der Wahlaufruf, in dem die „Führer der Nation" zur Wiederwahl der bisherigen czcchischen Abgeord¬ neten auffordern, war in so maßlos heftigen Ausdrücken abgefaßt, daß der Grenzboten II. 1867. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/77>, abgerufen am 26.06.2024.