Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.richt zu sitzen; weil man außer der Welt steht, meint man über ihr zu stellen.
Leider dürfen wir in, Deutschland nicht behaupten, daß ein schweifwedeln¬ Grwzboten II. 1867. 9
richt zu sitzen; weil man außer der Welt steht, meint man über ihr zu stellen.
Leider dürfen wir in, Deutschland nicht behaupten, daß ein schweifwedeln¬ Grwzboten II. 1867. 9
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190763"/> <p xml:id="ID_207" prev="#ID_206"> richt zu sitzen; weil man außer der Welt steht, meint man über ihr zu stellen.<lb/> Mit behaglicher suffisance nicht minder als liebenswürdiger Naivetät weiß<lb/> man sich an der Spitze der Civilisation. Von wirklichem Kunstleben, wie gesagt,<lb/> zeigt sich bei uns keine Spur; das aber hindert unsre geistreichen Cirkel nicht,<lb/> über ganze Ricktungen desselben, gleichviel ob abgeschlossen, ob eben jetzt in<lb/> der Bildung begriffen, die absprechendsten Urtheile zu fällen. Und so in allen<lb/> Dingen. Besonders in der Politik handhabt man einen strengen Maßstab;<lb/> man ist liberal, entschieden liberal, in der Weise des „Organs für Jedermann<lb/> aus dem Volke" ereifert man sich über die idem- und charakterlose Gewalt¬<lb/> politik, und in gerechter Entrüstung schlägt man an feine Brust und ruft: wir<lb/> danken dir, Gott, daß wir nicht sind wie die Sünder da draußen! Wie that<lb/> es nach solcher Erregung so wohl, in ruhiger Selbstbespiegelung die echt frei¬<lb/> sinnigen Intentionen des heimischen Regiments zu bestaunen! In einem solch<lb/> weihevollen Augenblicke überwältigender Entzückung ohne Zweifel, da die un¬<lb/> bequemen Verhältnisse der platten, alltäglichen Wirklichkeit zurücktreten und der<lb/> wahre, ewige Gehalt des Seins von dem erunt'um Geiste begriffen wird, mag<lb/> jener Hymnus geboren sein, der, nach der bekannten einfach-ergreifenden Weil.e,<lb/> unseres Fürsten vorjährigen Geburtstag u, a. mit folgenden Strophen feierte:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_4" type="poem"> <l> Heil Waldccks Frustcnpaar!<lb/> Gott möge immerdar</l> <l> Glück ihm vcrlcihn.<lb/> Und mit allmächtiger Hand<lb/> Schirme er Waldccks Land,<lb/> Das uns die Liebe wand,<lb/> In Ewigkeit.</l> <l> Heil Waldccks Fürstenhaus!<lb/> Segen Strom' ein und aus,</l> <l> Gott laß' es blühn!<lb/> Und wie der Morgenstern<lb/> Glanzerfüllt vor dem Herrn,<lb/> So leuchte nah und fern<lb/> Dein Vorbild uns.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_208" next="#ID_209"> Leider dürfen wir in, Deutschland nicht behaupten, daß ein schweifwedeln¬<lb/> der Byzantinismus der Poesie des höheren Blödsinns niemals erfolgreicher<lb/> Concurrenz gemacht hätte ; aber fast schämen wir uns, zu gestehen, daß diese<lb/> Verse aus der Feder flössen nicht eines gottbegcisterten Schusters oder Schneiders,<lb/> der um die Gunst des Hofes buhlte, sondern einer Persönlichkeit, die in den<lb/> höchsten Kreisen ganz besondere Achtung und Bevorzugung genoß. Zur Ehre<lb/> unseres Lottes sei es gesagt, daß dieser Grad von Lerirrung bei uns<lb/> denn doch eine Seltenheit ist. Im Andria.er freilich haben auch die besonnensten</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grwzboten II. 1867. 9</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0069]
richt zu sitzen; weil man außer der Welt steht, meint man über ihr zu stellen.
Mit behaglicher suffisance nicht minder als liebenswürdiger Naivetät weiß
man sich an der Spitze der Civilisation. Von wirklichem Kunstleben, wie gesagt,
zeigt sich bei uns keine Spur; das aber hindert unsre geistreichen Cirkel nicht,
über ganze Ricktungen desselben, gleichviel ob abgeschlossen, ob eben jetzt in
der Bildung begriffen, die absprechendsten Urtheile zu fällen. Und so in allen
Dingen. Besonders in der Politik handhabt man einen strengen Maßstab;
man ist liberal, entschieden liberal, in der Weise des „Organs für Jedermann
aus dem Volke" ereifert man sich über die idem- und charakterlose Gewalt¬
politik, und in gerechter Entrüstung schlägt man an feine Brust und ruft: wir
danken dir, Gott, daß wir nicht sind wie die Sünder da draußen! Wie that
es nach solcher Erregung so wohl, in ruhiger Selbstbespiegelung die echt frei¬
sinnigen Intentionen des heimischen Regiments zu bestaunen! In einem solch
weihevollen Augenblicke überwältigender Entzückung ohne Zweifel, da die un¬
bequemen Verhältnisse der platten, alltäglichen Wirklichkeit zurücktreten und der
wahre, ewige Gehalt des Seins von dem erunt'um Geiste begriffen wird, mag
jener Hymnus geboren sein, der, nach der bekannten einfach-ergreifenden Weil.e,
unseres Fürsten vorjährigen Geburtstag u, a. mit folgenden Strophen feierte:
Heil Waldccks Frustcnpaar!
Gott möge immerdar Glück ihm vcrlcihn.
Und mit allmächtiger Hand
Schirme er Waldccks Land,
Das uns die Liebe wand,
In Ewigkeit. Heil Waldccks Fürstenhaus!
Segen Strom' ein und aus, Gott laß' es blühn!
Und wie der Morgenstern
Glanzerfüllt vor dem Herrn,
So leuchte nah und fern
Dein Vorbild uns.
Leider dürfen wir in, Deutschland nicht behaupten, daß ein schweifwedeln¬
der Byzantinismus der Poesie des höheren Blödsinns niemals erfolgreicher
Concurrenz gemacht hätte ; aber fast schämen wir uns, zu gestehen, daß diese
Verse aus der Feder flössen nicht eines gottbegcisterten Schusters oder Schneiders,
der um die Gunst des Hofes buhlte, sondern einer Persönlichkeit, die in den
höchsten Kreisen ganz besondere Achtung und Bevorzugung genoß. Zur Ehre
unseres Lottes sei es gesagt, daß dieser Grad von Lerirrung bei uns
denn doch eine Seltenheit ist. Im Andria.er freilich haben auch die besonnensten
Grwzboten II. 1867. 9
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