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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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ABC zu üben; wußte das "Ausland" für tüchtige Kräfte doch weit Besseres
zu bieten!

Und nicht günstiger stellt sich die Sache in den andern, besonders den
höhern Zweigen des Staatsdienstes dar. Freilich, an Exspectanten für erledigte
Stellen mangelt es hier niemals, dafür sorgt schon die ganze Organisation
unseres Beamtenstandes, Nach außen ängstlich abgeschlossen, in bureaukratischer
Erhabenheit emporragend über die gemeine Menge, ist es natürlich, daß er seine
Söhne ausschließlich in der Sphäre der Väter zu erhalten strebt. Etwa die
"Armee", und höchstens die Pachtung einer Domäne gewähren außerdem noch
"standesgemäße Beschäftigung"; ein kaufmännisch oder gewerblich gebildeter
Sohn könnte die Autorität des Vaters bei dem rcspectvollen Volke beeinträch¬
tigen; nur in der Ferne, den Blicken der Heimath entzogen, mag hin und
wieder ein Sprosse der waldeckschen Irg-nes voie-s solch banausischen Geschäften
nachgehn. Die Mehrzahl, wie gesagt, bleibt daheim und klimmt geduldig die
Leiter der Beamtenhierarchie hinan bi>? zu einer Staffel, die für einen Haus¬
halt knappsten Ulanen gewährt, oder gesellt sich zu der Schaar der mark- und
beinaussaugenden Advocaten. Alte zusammen aber wetteifern in den kläglichsten
Lamentationen. Der Staat hört es; unmöglich kann er sich einbilden, daß
solche Diener mit Lust und Liebe ihr Tagewerk verrichten, -- an Abhilfe aber
kann er nicht denken.

So baue man sich denn das waldecksche Volk in seiner socialen Gestaltung
zusammen, wie man will, von unten nach oben oder von oben nach unten, --
überall dasselbe Jammerbild. Dazu noch bleibt die Dichtigkeit der Bevölkerung,
höchstens 2,740 Einwohner pro Quadratmeile, weit unter dem Durchschnitt für
Gesammtdeutschland. Und doch schweben wir stets in der Gefahr der Ueber-
völkerung, ja laborircn vielleicht chronisch an dieser Krankheit. Denn wie soll
man es sich anders erklären, wenn ein Staat mit den freisinnigsten Institutionen
innerhalb eines zwölfjährigen Zeitraums eine Abnahme der Volkszahl um
2,2 Procent nachweist (1852: 52,979 gegen 1864: 61.824 Einwohner im eigent¬
lichen Waldeck, exclusive Pyrmont)? Die Trauungsfrequenz ist besonders seit
dem Heimalhsgesetz von 1855 eine durchaus normale, die Zahl der Geburten
eine ziemlich bedeutende, die Mortalität nicht außergewöhnlich; der Abfluß der
Bevölkerung kann also nur nach der Fremde leinen Weg nehmen. In der
That zeigt sich eine stets wachsende Auswanderung, wogegen die Zahl der Ein¬
wandernden fast ganz verschwindet. So erklärt es sich denn auch, daß trotz
der günstigen Vcreheiichungszisfer ein bedenklicher Ueberschuß der weiblichen über
die männliche Bevölkerung sich bemerkbar macht. Und zu noch trüberen Be¬
trachtungen giebt die hohe Zahl der unehelichen Geburten Anlaß, circa 16,5
Procent aller Geburten, eine Ziffer, die sogar hinter der so berüchtigten meck¬
lenburgischen nicht bedeutend zurückbleibt.


ABC zu üben; wußte das „Ausland" für tüchtige Kräfte doch weit Besseres
zu bieten!

Und nicht günstiger stellt sich die Sache in den andern, besonders den
höhern Zweigen des Staatsdienstes dar. Freilich, an Exspectanten für erledigte
Stellen mangelt es hier niemals, dafür sorgt schon die ganze Organisation
unseres Beamtenstandes, Nach außen ängstlich abgeschlossen, in bureaukratischer
Erhabenheit emporragend über die gemeine Menge, ist es natürlich, daß er seine
Söhne ausschließlich in der Sphäre der Väter zu erhalten strebt. Etwa die
„Armee", und höchstens die Pachtung einer Domäne gewähren außerdem noch
„standesgemäße Beschäftigung"; ein kaufmännisch oder gewerblich gebildeter
Sohn könnte die Autorität des Vaters bei dem rcspectvollen Volke beeinträch¬
tigen; nur in der Ferne, den Blicken der Heimath entzogen, mag hin und
wieder ein Sprosse der waldeckschen Irg-nes voie-s solch banausischen Geschäften
nachgehn. Die Mehrzahl, wie gesagt, bleibt daheim und klimmt geduldig die
Leiter der Beamtenhierarchie hinan bi>? zu einer Staffel, die für einen Haus¬
halt knappsten Ulanen gewährt, oder gesellt sich zu der Schaar der mark- und
beinaussaugenden Advocaten. Alte zusammen aber wetteifern in den kläglichsten
Lamentationen. Der Staat hört es; unmöglich kann er sich einbilden, daß
solche Diener mit Lust und Liebe ihr Tagewerk verrichten, — an Abhilfe aber
kann er nicht denken.

So baue man sich denn das waldecksche Volk in seiner socialen Gestaltung
zusammen, wie man will, von unten nach oben oder von oben nach unten, —
überall dasselbe Jammerbild. Dazu noch bleibt die Dichtigkeit der Bevölkerung,
höchstens 2,740 Einwohner pro Quadratmeile, weit unter dem Durchschnitt für
Gesammtdeutschland. Und doch schweben wir stets in der Gefahr der Ueber-
völkerung, ja laborircn vielleicht chronisch an dieser Krankheit. Denn wie soll
man es sich anders erklären, wenn ein Staat mit den freisinnigsten Institutionen
innerhalb eines zwölfjährigen Zeitraums eine Abnahme der Volkszahl um
2,2 Procent nachweist (1852: 52,979 gegen 1864: 61.824 Einwohner im eigent¬
lichen Waldeck, exclusive Pyrmont)? Die Trauungsfrequenz ist besonders seit
dem Heimalhsgesetz von 1855 eine durchaus normale, die Zahl der Geburten
eine ziemlich bedeutende, die Mortalität nicht außergewöhnlich; der Abfluß der
Bevölkerung kann also nur nach der Fremde leinen Weg nehmen. In der
That zeigt sich eine stets wachsende Auswanderung, wogegen die Zahl der Ein¬
wandernden fast ganz verschwindet. So erklärt es sich denn auch, daß trotz
der günstigen Vcreheiichungszisfer ein bedenklicher Ueberschuß der weiblichen über
die männliche Bevölkerung sich bemerkbar macht. Und zu noch trüberen Be¬
trachtungen giebt die hohe Zahl der unehelichen Geburten Anlaß, circa 16,5
Procent aller Geburten, eine Ziffer, die sogar hinter der so berüchtigten meck¬
lenburgischen nicht bedeutend zurückbleibt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/67>, abgerufen am 24.08.2024.