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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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entweder des ganzen Volkes oder der einzelnen eben jetzt heranzuziehenden Classe
gewachsen ist. Und in der That, was wäre geeigneter, solches Wachsthum zu
erzielen, als eine großartige und plötzliche Entfesselung bis dahin gebundener
wirthschaftlicher Kräfte? Die Beseitigung aller Monopolisirung, die freie Con¬
currenz erniedrigt die Preise, verbessert die Qualität., es wächst die Nachfrage,
neuen und tieferen Schichten der Gesellschaft wird die wohlfeiler gewordene
Waare ein früher nicht gelauntes Bedürfniß. Vortreffliche Transportmittel und
ein rühriger Handel erweitern das Absatzgebiet bis in die fernsten Gegenden;
das immer wachsende Einkommen aber vertheilt sich auf neue, weit größere
Kreise; -- niemand wird da dem Staate das Recht bestreiten, erhöhte Forde¬
rungen zu stellen.

Wie aber in Waldeck? An der Lage unserer Handels- und Gewerbthätig-
keit. wie wir sie oben gezeichnet, hat die neue Gesetzgebung zum mindesten
nichts gebessert. Der Preis der Handwerkerarbeit stand schon früher aus einer
Stufe, von der er durch den bloßen Zwang der Concurrenz kaum herabgedrückt
werden konnte; die Beschaffung der Rohstoffe aber war nicht leichter geworden,
zu einer Vergrößerung der Production fehlte alle Veranlassung, da die Nach¬
frage nicht wuchs, der Markt sich nicht ausdehnte. Wo wirtlich, infolge der
Aufhebung der Zunftschranke, eine erhöhte Concurrenz eintrat, konnte sie in
den meisten Fällen nur die Reihen des Proletariats verstärken. Zu speculativen
Unternehmungen mangelt das Capital. Statt dasselbe ins Land hercinzuziehn,
hat das neue Gesetz mit seinen Steuersätzen es vertrieben. Nicht allein in allen
feineren, auch in den gewöhnlichsten Artikeln hat die ausländische Industrie
leichtes Spiel, mit unseren Handwerkern erfolgreich zu wetteifern. Und trotz¬
dem und alledem eine neue Gewerbesteuer! Wie sie wirken mußte, was
brauchen wir es weiter auszumalen? Der arme Handwerker, der bisher nur
kärglich sein und der Seinigen Dasein fristete, sah sich aufs Hungertuch ver¬
wiesen, und der, welcher wirklich durch Geschick, Fleiß und Sparsamkeit sich
einigermaßen emporgearbeitet, fühlte sich gedrückt und entmuthigt. Wer in der
That soll auch noch Lust haben, den Schweiß seines Angesichts daran zu setzen,
wenn er sich in jedem Augenblicke beobachtet weiß von der vielhundertaugigen
Verwaltung, die jede Verbesserung der Lage des Einzelnen zu Gunsten des
allgemeinen Säckels auszunutzen sucht? Selten mag ein Staat so sehr den
erbitterten Unmuth seiner Bürger heraufbeschworen haben, wie heute der waldeck,
sche den seiner Gewerbtreibenden. So rächt sich der arge Trugschluß der Klein¬
staaterei: weil man die Formen des Staates geschaffen, meint man auch sein
Wesen, die seinen organischen Leib bildende Gesellschaft zu haben; man
rechnet mit Visionen, auf einen Zweig des Volkseinkommens, der bei Lichte
besehen gar nicht vorhanden ist, legt man eine drückende Steuer.

Es soll damit nicht gesagt sein, daß das ganze Gebiet dieses Fürstenthums


entweder des ganzen Volkes oder der einzelnen eben jetzt heranzuziehenden Classe
gewachsen ist. Und in der That, was wäre geeigneter, solches Wachsthum zu
erzielen, als eine großartige und plötzliche Entfesselung bis dahin gebundener
wirthschaftlicher Kräfte? Die Beseitigung aller Monopolisirung, die freie Con¬
currenz erniedrigt die Preise, verbessert die Qualität., es wächst die Nachfrage,
neuen und tieferen Schichten der Gesellschaft wird die wohlfeiler gewordene
Waare ein früher nicht gelauntes Bedürfniß. Vortreffliche Transportmittel und
ein rühriger Handel erweitern das Absatzgebiet bis in die fernsten Gegenden;
das immer wachsende Einkommen aber vertheilt sich auf neue, weit größere
Kreise; — niemand wird da dem Staate das Recht bestreiten, erhöhte Forde¬
rungen zu stellen.

Wie aber in Waldeck? An der Lage unserer Handels- und Gewerbthätig-
keit. wie wir sie oben gezeichnet, hat die neue Gesetzgebung zum mindesten
nichts gebessert. Der Preis der Handwerkerarbeit stand schon früher aus einer
Stufe, von der er durch den bloßen Zwang der Concurrenz kaum herabgedrückt
werden konnte; die Beschaffung der Rohstoffe aber war nicht leichter geworden,
zu einer Vergrößerung der Production fehlte alle Veranlassung, da die Nach¬
frage nicht wuchs, der Markt sich nicht ausdehnte. Wo wirtlich, infolge der
Aufhebung der Zunftschranke, eine erhöhte Concurrenz eintrat, konnte sie in
den meisten Fällen nur die Reihen des Proletariats verstärken. Zu speculativen
Unternehmungen mangelt das Capital. Statt dasselbe ins Land hercinzuziehn,
hat das neue Gesetz mit seinen Steuersätzen es vertrieben. Nicht allein in allen
feineren, auch in den gewöhnlichsten Artikeln hat die ausländische Industrie
leichtes Spiel, mit unseren Handwerkern erfolgreich zu wetteifern. Und trotz¬
dem und alledem eine neue Gewerbesteuer! Wie sie wirken mußte, was
brauchen wir es weiter auszumalen? Der arme Handwerker, der bisher nur
kärglich sein und der Seinigen Dasein fristete, sah sich aufs Hungertuch ver¬
wiesen, und der, welcher wirklich durch Geschick, Fleiß und Sparsamkeit sich
einigermaßen emporgearbeitet, fühlte sich gedrückt und entmuthigt. Wer in der
That soll auch noch Lust haben, den Schweiß seines Angesichts daran zu setzen,
wenn er sich in jedem Augenblicke beobachtet weiß von der vielhundertaugigen
Verwaltung, die jede Verbesserung der Lage des Einzelnen zu Gunsten des
allgemeinen Säckels auszunutzen sucht? Selten mag ein Staat so sehr den
erbitterten Unmuth seiner Bürger heraufbeschworen haben, wie heute der waldeck,
sche den seiner Gewerbtreibenden. So rächt sich der arge Trugschluß der Klein¬
staaterei: weil man die Formen des Staates geschaffen, meint man auch sein
Wesen, die seinen organischen Leib bildende Gesellschaft zu haben; man
rechnet mit Visionen, auf einen Zweig des Volkseinkommens, der bei Lichte
besehen gar nicht vorhanden ist, legt man eine drückende Steuer.

Es soll damit nicht gesagt sein, daß das ganze Gebiet dieses Fürstenthums


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[0065] entweder des ganzen Volkes oder der einzelnen eben jetzt heranzuziehenden Classe gewachsen ist. Und in der That, was wäre geeigneter, solches Wachsthum zu erzielen, als eine großartige und plötzliche Entfesselung bis dahin gebundener wirthschaftlicher Kräfte? Die Beseitigung aller Monopolisirung, die freie Con¬ currenz erniedrigt die Preise, verbessert die Qualität., es wächst die Nachfrage, neuen und tieferen Schichten der Gesellschaft wird die wohlfeiler gewordene Waare ein früher nicht gelauntes Bedürfniß. Vortreffliche Transportmittel und ein rühriger Handel erweitern das Absatzgebiet bis in die fernsten Gegenden; das immer wachsende Einkommen aber vertheilt sich auf neue, weit größere Kreise; — niemand wird da dem Staate das Recht bestreiten, erhöhte Forde¬ rungen zu stellen. Wie aber in Waldeck? An der Lage unserer Handels- und Gewerbthätig- keit. wie wir sie oben gezeichnet, hat die neue Gesetzgebung zum mindesten nichts gebessert. Der Preis der Handwerkerarbeit stand schon früher aus einer Stufe, von der er durch den bloßen Zwang der Concurrenz kaum herabgedrückt werden konnte; die Beschaffung der Rohstoffe aber war nicht leichter geworden, zu einer Vergrößerung der Production fehlte alle Veranlassung, da die Nach¬ frage nicht wuchs, der Markt sich nicht ausdehnte. Wo wirtlich, infolge der Aufhebung der Zunftschranke, eine erhöhte Concurrenz eintrat, konnte sie in den meisten Fällen nur die Reihen des Proletariats verstärken. Zu speculativen Unternehmungen mangelt das Capital. Statt dasselbe ins Land hercinzuziehn, hat das neue Gesetz mit seinen Steuersätzen es vertrieben. Nicht allein in allen feineren, auch in den gewöhnlichsten Artikeln hat die ausländische Industrie leichtes Spiel, mit unseren Handwerkern erfolgreich zu wetteifern. Und trotz¬ dem und alledem eine neue Gewerbesteuer! Wie sie wirken mußte, was brauchen wir es weiter auszumalen? Der arme Handwerker, der bisher nur kärglich sein und der Seinigen Dasein fristete, sah sich aufs Hungertuch ver¬ wiesen, und der, welcher wirklich durch Geschick, Fleiß und Sparsamkeit sich einigermaßen emporgearbeitet, fühlte sich gedrückt und entmuthigt. Wer in der That soll auch noch Lust haben, den Schweiß seines Angesichts daran zu setzen, wenn er sich in jedem Augenblicke beobachtet weiß von der vielhundertaugigen Verwaltung, die jede Verbesserung der Lage des Einzelnen zu Gunsten des allgemeinen Säckels auszunutzen sucht? Selten mag ein Staat so sehr den erbitterten Unmuth seiner Bürger heraufbeschworen haben, wie heute der waldeck, sche den seiner Gewerbtreibenden. So rächt sich der arge Trugschluß der Klein¬ staaterei: weil man die Formen des Staates geschaffen, meint man auch sein Wesen, die seinen organischen Leib bildende Gesellschaft zu haben; man rechnet mit Visionen, auf einen Zweig des Volkseinkommens, der bei Lichte besehen gar nicht vorhanden ist, legt man eine drückende Steuer. Es soll damit nicht gesagt sein, daß das ganze Gebiet dieses Fürstenthums

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/65>, abgerufen am 24.08.2024.