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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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stellt, welche zwei verschiedenen Beschäftigungen zugleich obliegen, so würde man
dahinter glommen sein, daß die ausschließlich Handel- und Gewerbtreibenden
auf einen verschwindend kleinen Bruchtheil zusammenschmelzen, nämlich auf eine
geringe Anzahl sogenannter Kaufleute und Handwerker der Residenz und viel¬
leicht noch ein paar andere in sonstigen Ecken des Landes. Und hätte man
unter der Zahl der Doppeltbcschäftigten noch zwischen Haupt- und Neben¬
beschäftigung unterschieden, wir sind überzeugt, es würde sich die Majorität als
hauptsächlich mit der Landwirthschaft sich befassend herausgestellt haben. Ganz
natürlich. Fabriken sind uns unbekannt (die wenigen, welche wirklich vorhanden,
verdienen kaum diesen Namen), ebenso wenig findet sich dieser oder jener Zweig
der Hausindustrie. Producirt wird fast nur auf Bestellung und ausschließlich
für die nächste Umgebung; alle künstlicheren Fabrikate beziehen wir vom Aus¬
lande. Unser Handel beschränkt sich aus den Import der gewöhnlichen Bedürf¬
nisse; Ausfuhrartikel aus dem Gebiete der Industrie sind, wenn überhaupt vor¬
kommend, jedenfalls ohne Bedeutung.

Daß also der industrielle Stand in unserem Staate nur eine sehr unter¬
geordnete Rolle spielen kann, liegt auf der Hand. Und dennoch haben die ge¬
setzgebenden Gewalten auch ihn mit ihrer reformatorischen Thätigkeit beglücken
zu müssen geglaubt. Der alte Zopf des Zunftwesens war verurtheilt von allen
gebildeten Nationen, die Welt verjüngte sich nach den Principien der Gewerbe-
freiheit; wie hätte der freisinnige waldecksche Staat zurückbleiben, mit Mecklen¬
burg vielleicht auf derselben Stufe verharren sollen! Auch wir, das war klar,
bedurften der Gewerbefreiheit. Mit anerkennenswerther Eile einigten sich Ne¬
gierung und Landtag; in letzterem saß ein oder kein Einziger, der durch die
Reform betroffen wurde. Im Jahre 1862 trat die neue Gewerbeordnung sammt
Gewerbestcuergesetz in Kraft, im Großen und Ganzen eine Nachbildung der
preußischen. Ob sich die Normen einer hohen wirthschaftlichen Entwickelungs¬
stufe ohne weiteres auf thatsächlich sehr niedrige Zustände übertragen lassen, ist
jedenfalls ernstlich zu bestreikn. Indeß, wir haben die Zünfte ohne Thränen
ins Grab sinken sehen, auch vor dem vollsten Maße industrieller Freiheit wären
wir nicht zurückgeschreckt; in dieser Gewerbeordnung aber, mit erhalten ge¬
bliebenen Privilegien, officiellen Taxen, dem krausen Mischmasch von fiscalisch
verpachteten, concessionirten und unconcessionirtcn Gast- und Schänkwirthschaften
u. s. w. ist dasselbe gewiß nicht geboten. Und dennoch, es lag in der neuen
Organisation ein unverkennbarer Fortschritt; nur hatte auch sie die unvermeid¬
liche Kehrseite, und schlimmer, empfindlicher als alle sonstigen Reformen: mit
einem bedenklichen Murren allgemeinen Unwillens begrüßten die Betroffenen
die neue Besteuerung der Gewerbe. In einer gesunden Staatswirthschaft
wird man sich zur Auflegung neuer Steuern.gewöhnlich nur entschließen, wenn
sicher anzunehmen, daß die Leistungsfähigkeit, d. h. das Gesammteinkommen


stellt, welche zwei verschiedenen Beschäftigungen zugleich obliegen, so würde man
dahinter glommen sein, daß die ausschließlich Handel- und Gewerbtreibenden
auf einen verschwindend kleinen Bruchtheil zusammenschmelzen, nämlich auf eine
geringe Anzahl sogenannter Kaufleute und Handwerker der Residenz und viel¬
leicht noch ein paar andere in sonstigen Ecken des Landes. Und hätte man
unter der Zahl der Doppeltbcschäftigten noch zwischen Haupt- und Neben¬
beschäftigung unterschieden, wir sind überzeugt, es würde sich die Majorität als
hauptsächlich mit der Landwirthschaft sich befassend herausgestellt haben. Ganz
natürlich. Fabriken sind uns unbekannt (die wenigen, welche wirklich vorhanden,
verdienen kaum diesen Namen), ebenso wenig findet sich dieser oder jener Zweig
der Hausindustrie. Producirt wird fast nur auf Bestellung und ausschließlich
für die nächste Umgebung; alle künstlicheren Fabrikate beziehen wir vom Aus¬
lande. Unser Handel beschränkt sich aus den Import der gewöhnlichen Bedürf¬
nisse; Ausfuhrartikel aus dem Gebiete der Industrie sind, wenn überhaupt vor¬
kommend, jedenfalls ohne Bedeutung.

Daß also der industrielle Stand in unserem Staate nur eine sehr unter¬
geordnete Rolle spielen kann, liegt auf der Hand. Und dennoch haben die ge¬
setzgebenden Gewalten auch ihn mit ihrer reformatorischen Thätigkeit beglücken
zu müssen geglaubt. Der alte Zopf des Zunftwesens war verurtheilt von allen
gebildeten Nationen, die Welt verjüngte sich nach den Principien der Gewerbe-
freiheit; wie hätte der freisinnige waldecksche Staat zurückbleiben, mit Mecklen¬
burg vielleicht auf derselben Stufe verharren sollen! Auch wir, das war klar,
bedurften der Gewerbefreiheit. Mit anerkennenswerther Eile einigten sich Ne¬
gierung und Landtag; in letzterem saß ein oder kein Einziger, der durch die
Reform betroffen wurde. Im Jahre 1862 trat die neue Gewerbeordnung sammt
Gewerbestcuergesetz in Kraft, im Großen und Ganzen eine Nachbildung der
preußischen. Ob sich die Normen einer hohen wirthschaftlichen Entwickelungs¬
stufe ohne weiteres auf thatsächlich sehr niedrige Zustände übertragen lassen, ist
jedenfalls ernstlich zu bestreikn. Indeß, wir haben die Zünfte ohne Thränen
ins Grab sinken sehen, auch vor dem vollsten Maße industrieller Freiheit wären
wir nicht zurückgeschreckt; in dieser Gewerbeordnung aber, mit erhalten ge¬
bliebenen Privilegien, officiellen Taxen, dem krausen Mischmasch von fiscalisch
verpachteten, concessionirten und unconcessionirtcn Gast- und Schänkwirthschaften
u. s. w. ist dasselbe gewiß nicht geboten. Und dennoch, es lag in der neuen
Organisation ein unverkennbarer Fortschritt; nur hatte auch sie die unvermeid¬
liche Kehrseite, und schlimmer, empfindlicher als alle sonstigen Reformen: mit
einem bedenklichen Murren allgemeinen Unwillens begrüßten die Betroffenen
die neue Besteuerung der Gewerbe. In einer gesunden Staatswirthschaft
wird man sich zur Auflegung neuer Steuern.gewöhnlich nur entschließen, wenn
sicher anzunehmen, daß die Leistungsfähigkeit, d. h. das Gesammteinkommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/64>, abgerufen am 22.07.2024.