Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vernünftigen Grundes baar. Oder meint man damit im Wege burcaukratischer
Bevormundung einen Mißbrauch der Mobilisirungsfcciheit verhüten zu können?
verhüten zu tonnen, ohne daß der Richter das Recht bat, die Bestätigung zu
versagen? Indeß, die Maßregel bringt Geld und -- die Negierung ist nicht in
der Lage, auf diese Art der Erpressung verzichten zu können.

Nichtsdestoweniger bleibt so viel gewiß, daß der waldecksche Staat sein
Möglichstes gethan, um seinen Bauernstand der Segnungen moderner Entwicke¬
lung theilhaftig werden zu lassen, und zwar vermittelst einer Revolution seines
ganzen bisherigen Organismus, sogar auf die Gefahr hin, unersetzbare Ein¬
nahmequellen zu verlieren, unentbehrliche Stützen zu schädigen. Und dennoch,
all diese umgestaltende Thätigkeit hat es nicht vermocht, wirtlich befriedigende
Verhältnisse zu schaffen. Nicht etwa, daß die ungewohnte Freiheit die Bauern
zu zügellosen Mißbrauch verleitet hätte. Die gewöhnliche Befürchtung einer
maßlosen Zersplitterung des Bodens infolge der Auflösung der Gütcrgeschlossen-
heit mag im Waldeckschcn vielleicht am wenigsten eingetroffen sein. Nicht allein,
daß die Gesetzgebung durch Festsetzung eines Parcellcnminimums allzuweit aus-
schreitender Theilung eine Grenze zu setzen suchte, man hat auch neben dem
gemeinen römischen Erbrecht das bäuerliche Recht mit Anerben, Juterimswirth-
schaft, Abfindung u. f. w. bestehen lassen, und im Allgemeinen zeigt unsere
Landbevölkerung nicht eben große Lust, sich vom Althergebrachien zu trennen.
Das wahre Grundübel liegt in unsern ärmlichen Verhältnissen, nicht jedoch,
we>l sie ärmlich sind, sondern weil sich der ganze kostspielige Mechanismus
eines eigenen Staates auf ihnen auferbaut. Abgesehen von den Domanial-
und sogenannten Rittergütern haben nur S18 Besitzungen ein Areal von über
80 Morgen, 2,226 von 20--80, 9,812 unter 20 Morgen. Und nicht die
Rebe, die anch auf kleinster Fläche einen erheblichen Gewinn abwirft, grünt an
unseren Bergen, kein seltenes Handelsgcwächs nähren unsere Felder, nur den
gewöhnlichen Getreidearten >se das rauhe jtlima günstig. Dazu noch ist die
Weise der Bebauung, die einzige, welche unserm Landmann bekannt und ge¬
läufig, im Wesentlichen das alte Dreifeldersystem; für eine wirklich intensive
Bewitthschaftung fehlen die nothwendigsten Bedingungen. Das Vieh, das nicht
allein" Product. sondern zugleich unendlich wichtiger ProductionSfactor jeder
ordentlichen Landwirthschaft, schlendert hier zum größten Theile umher auf dür¬
ren, Driesch und magerer Waldweide, vergeudet den unersetzbaren Dünger und
verheert gelegentlich die Saaten. Pferde sind in geringer Zahl vorhanden,
wirklick gute sehr,selten; die überwiegende Mehrzahl unserer Bauern bespannt
den Pflug mit Rindvieh, und leider in gar häufigen Fällen nicht mit dem
starken Tela>-, sondern der nahrung- und ruycbedürftigen Milchkuh. Wie wäre
es auch anders zu erwarten? Städte, die eine geregelte Milchwirthschaft ermög¬
lichten, fehlen gänzlich; unser Verbrauch an Schlachtvieh bleibt in bescheidenen


vernünftigen Grundes baar. Oder meint man damit im Wege burcaukratischer
Bevormundung einen Mißbrauch der Mobilisirungsfcciheit verhüten zu können?
verhüten zu tonnen, ohne daß der Richter das Recht bat, die Bestätigung zu
versagen? Indeß, die Maßregel bringt Geld und — die Negierung ist nicht in
der Lage, auf diese Art der Erpressung verzichten zu können.

Nichtsdestoweniger bleibt so viel gewiß, daß der waldecksche Staat sein
Möglichstes gethan, um seinen Bauernstand der Segnungen moderner Entwicke¬
lung theilhaftig werden zu lassen, und zwar vermittelst einer Revolution seines
ganzen bisherigen Organismus, sogar auf die Gefahr hin, unersetzbare Ein¬
nahmequellen zu verlieren, unentbehrliche Stützen zu schädigen. Und dennoch,
all diese umgestaltende Thätigkeit hat es nicht vermocht, wirtlich befriedigende
Verhältnisse zu schaffen. Nicht etwa, daß die ungewohnte Freiheit die Bauern
zu zügellosen Mißbrauch verleitet hätte. Die gewöhnliche Befürchtung einer
maßlosen Zersplitterung des Bodens infolge der Auflösung der Gütcrgeschlossen-
heit mag im Waldeckschcn vielleicht am wenigsten eingetroffen sein. Nicht allein,
daß die Gesetzgebung durch Festsetzung eines Parcellcnminimums allzuweit aus-
schreitender Theilung eine Grenze zu setzen suchte, man hat auch neben dem
gemeinen römischen Erbrecht das bäuerliche Recht mit Anerben, Juterimswirth-
schaft, Abfindung u. f. w. bestehen lassen, und im Allgemeinen zeigt unsere
Landbevölkerung nicht eben große Lust, sich vom Althergebrachien zu trennen.
Das wahre Grundübel liegt in unsern ärmlichen Verhältnissen, nicht jedoch,
we>l sie ärmlich sind, sondern weil sich der ganze kostspielige Mechanismus
eines eigenen Staates auf ihnen auferbaut. Abgesehen von den Domanial-
und sogenannten Rittergütern haben nur S18 Besitzungen ein Areal von über
80 Morgen, 2,226 von 20—80, 9,812 unter 20 Morgen. Und nicht die
Rebe, die anch auf kleinster Fläche einen erheblichen Gewinn abwirft, grünt an
unseren Bergen, kein seltenes Handelsgcwächs nähren unsere Felder, nur den
gewöhnlichen Getreidearten >se das rauhe jtlima günstig. Dazu noch ist die
Weise der Bebauung, die einzige, welche unserm Landmann bekannt und ge¬
läufig, im Wesentlichen das alte Dreifeldersystem; für eine wirklich intensive
Bewitthschaftung fehlen die nothwendigsten Bedingungen. Das Vieh, das nicht
allein" Product. sondern zugleich unendlich wichtiger ProductionSfactor jeder
ordentlichen Landwirthschaft, schlendert hier zum größten Theile umher auf dür¬
ren, Driesch und magerer Waldweide, vergeudet den unersetzbaren Dünger und
verheert gelegentlich die Saaten. Pferde sind in geringer Zahl vorhanden,
wirklick gute sehr,selten; die überwiegende Mehrzahl unserer Bauern bespannt
den Pflug mit Rindvieh, und leider in gar häufigen Fällen nicht mit dem
starken Tela>-, sondern der nahrung- und ruycbedürftigen Milchkuh. Wie wäre
es auch anders zu erwarten? Städte, die eine geregelte Milchwirthschaft ermög¬
lichten, fehlen gänzlich; unser Verbrauch an Schlachtvieh bleibt in bescheidenen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0060" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190754"/>
          <p xml:id="ID_184" prev="#ID_183"> vernünftigen Grundes baar. Oder meint man damit im Wege burcaukratischer<lb/>
Bevormundung einen Mißbrauch der Mobilisirungsfcciheit verhüten zu können?<lb/>
verhüten zu tonnen, ohne daß der Richter das Recht bat, die Bestätigung zu<lb/>
versagen? Indeß, die Maßregel bringt Geld und &#x2014; die Negierung ist nicht in<lb/>
der Lage, auf diese Art der Erpressung verzichten zu können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_185" next="#ID_186"> Nichtsdestoweniger bleibt so viel gewiß, daß der waldecksche Staat sein<lb/>
Möglichstes gethan, um seinen Bauernstand der Segnungen moderner Entwicke¬<lb/>
lung theilhaftig werden zu lassen, und zwar vermittelst einer Revolution seines<lb/>
ganzen bisherigen Organismus, sogar auf die Gefahr hin, unersetzbare Ein¬<lb/>
nahmequellen zu verlieren, unentbehrliche Stützen zu schädigen. Und dennoch,<lb/>
all diese umgestaltende Thätigkeit hat es nicht vermocht, wirtlich befriedigende<lb/>
Verhältnisse zu schaffen. Nicht etwa, daß die ungewohnte Freiheit die Bauern<lb/>
zu zügellosen Mißbrauch verleitet hätte. Die gewöhnliche Befürchtung einer<lb/>
maßlosen Zersplitterung des Bodens infolge der Auflösung der Gütcrgeschlossen-<lb/>
heit mag im Waldeckschcn vielleicht am wenigsten eingetroffen sein. Nicht allein,<lb/>
daß die Gesetzgebung durch Festsetzung eines Parcellcnminimums allzuweit aus-<lb/>
schreitender Theilung eine Grenze zu setzen suchte, man hat auch neben dem<lb/>
gemeinen römischen Erbrecht das bäuerliche Recht mit Anerben, Juterimswirth-<lb/>
schaft, Abfindung u. f. w. bestehen lassen, und im Allgemeinen zeigt unsere<lb/>
Landbevölkerung nicht eben große Lust, sich vom Althergebrachien zu trennen.<lb/>
Das wahre Grundübel liegt in unsern ärmlichen Verhältnissen, nicht jedoch,<lb/>
we&gt;l sie ärmlich sind, sondern weil sich der ganze kostspielige Mechanismus<lb/>
eines eigenen Staates auf ihnen auferbaut. Abgesehen von den Domanial-<lb/>
und sogenannten Rittergütern haben nur S18 Besitzungen ein Areal von über<lb/>
80 Morgen, 2,226 von 20&#x2014;80, 9,812 unter 20 Morgen. Und nicht die<lb/>
Rebe, die anch auf kleinster Fläche einen erheblichen Gewinn abwirft, grünt an<lb/>
unseren Bergen, kein seltenes Handelsgcwächs nähren unsere Felder, nur den<lb/>
gewöhnlichen Getreidearten &gt;se das rauhe jtlima günstig. Dazu noch ist die<lb/>
Weise der Bebauung, die einzige, welche unserm Landmann bekannt und ge¬<lb/>
läufig, im Wesentlichen das alte Dreifeldersystem; für eine wirklich intensive<lb/>
Bewitthschaftung fehlen die nothwendigsten Bedingungen. Das Vieh, das nicht<lb/>
allein" Product. sondern zugleich unendlich wichtiger ProductionSfactor jeder<lb/>
ordentlichen Landwirthschaft, schlendert hier zum größten Theile umher auf dür¬<lb/>
ren, Driesch und magerer Waldweide, vergeudet den unersetzbaren Dünger und<lb/>
verheert gelegentlich die Saaten. Pferde sind in geringer Zahl vorhanden,<lb/>
wirklick gute sehr,selten; die überwiegende Mehrzahl unserer Bauern bespannt<lb/>
den Pflug mit Rindvieh, und leider in gar häufigen Fällen nicht mit dem<lb/>
starken Tela&gt;-, sondern der nahrung- und ruycbedürftigen Milchkuh. Wie wäre<lb/>
es auch anders zu erwarten? Städte, die eine geregelte Milchwirthschaft ermög¬<lb/>
lichten, fehlen gänzlich; unser Verbrauch an Schlachtvieh bleibt in bescheidenen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0060] vernünftigen Grundes baar. Oder meint man damit im Wege burcaukratischer Bevormundung einen Mißbrauch der Mobilisirungsfcciheit verhüten zu können? verhüten zu tonnen, ohne daß der Richter das Recht bat, die Bestätigung zu versagen? Indeß, die Maßregel bringt Geld und — die Negierung ist nicht in der Lage, auf diese Art der Erpressung verzichten zu können. Nichtsdestoweniger bleibt so viel gewiß, daß der waldecksche Staat sein Möglichstes gethan, um seinen Bauernstand der Segnungen moderner Entwicke¬ lung theilhaftig werden zu lassen, und zwar vermittelst einer Revolution seines ganzen bisherigen Organismus, sogar auf die Gefahr hin, unersetzbare Ein¬ nahmequellen zu verlieren, unentbehrliche Stützen zu schädigen. Und dennoch, all diese umgestaltende Thätigkeit hat es nicht vermocht, wirtlich befriedigende Verhältnisse zu schaffen. Nicht etwa, daß die ungewohnte Freiheit die Bauern zu zügellosen Mißbrauch verleitet hätte. Die gewöhnliche Befürchtung einer maßlosen Zersplitterung des Bodens infolge der Auflösung der Gütcrgeschlossen- heit mag im Waldeckschcn vielleicht am wenigsten eingetroffen sein. Nicht allein, daß die Gesetzgebung durch Festsetzung eines Parcellcnminimums allzuweit aus- schreitender Theilung eine Grenze zu setzen suchte, man hat auch neben dem gemeinen römischen Erbrecht das bäuerliche Recht mit Anerben, Juterimswirth- schaft, Abfindung u. f. w. bestehen lassen, und im Allgemeinen zeigt unsere Landbevölkerung nicht eben große Lust, sich vom Althergebrachien zu trennen. Das wahre Grundübel liegt in unsern ärmlichen Verhältnissen, nicht jedoch, we>l sie ärmlich sind, sondern weil sich der ganze kostspielige Mechanismus eines eigenen Staates auf ihnen auferbaut. Abgesehen von den Domanial- und sogenannten Rittergütern haben nur S18 Besitzungen ein Areal von über 80 Morgen, 2,226 von 20—80, 9,812 unter 20 Morgen. Und nicht die Rebe, die anch auf kleinster Fläche einen erheblichen Gewinn abwirft, grünt an unseren Bergen, kein seltenes Handelsgcwächs nähren unsere Felder, nur den gewöhnlichen Getreidearten >se das rauhe jtlima günstig. Dazu noch ist die Weise der Bebauung, die einzige, welche unserm Landmann bekannt und ge¬ läufig, im Wesentlichen das alte Dreifeldersystem; für eine wirklich intensive Bewitthschaftung fehlen die nothwendigsten Bedingungen. Das Vieh, das nicht allein" Product. sondern zugleich unendlich wichtiger ProductionSfactor jeder ordentlichen Landwirthschaft, schlendert hier zum größten Theile umher auf dür¬ ren, Driesch und magerer Waldweide, vergeudet den unersetzbaren Dünger und verheert gelegentlich die Saaten. Pferde sind in geringer Zahl vorhanden, wirklick gute sehr,selten; die überwiegende Mehrzahl unserer Bauern bespannt den Pflug mit Rindvieh, und leider in gar häufigen Fällen nicht mit dem starken Tela>-, sondern der nahrung- und ruycbedürftigen Milchkuh. Wie wäre es auch anders zu erwarten? Städte, die eine geregelte Milchwirthschaft ermög¬ lichten, fehlen gänzlich; unser Verbrauch an Schlachtvieh bleibt in bescheidenen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/60
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/60>, abgerufen am 24.08.2024.