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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Idee des Staates als solche. Sie betrachten den Staat und die politische Frei¬
heit als Gegensätze, während man doch die letztere nur auf der Basis des ersteren
aufbauen kann. Daß wir bisher in Deutschland. Zeit um Zeit, und Land um
Land, zwischen einem höchst ungemüthlichen, bevormundungssüchtigen, maß-
r^gelungswüthigen Absolutismus und einer willensschwachen und ohnmächtigen
gemüthlichen Anarchie hin- und herschaukelten, im Innern unbehaglich durch
den ersteren und nach Außen Schutz'os und verachtet durch die letztere, den
Grund davon haben wir in unserer Staatlosigkeit zu suchen. Denn Preußen
war bisher nur ein halber Staat und die anderen deutschen Länder gar keiner;
und alle mit einander standen sie unter dem Zwange einer auswärtigen mehr
ungarisch-slawischen, als deutschen Macht. Der deutsche Doctrinarismus, zu
willensschwach, um diesen unerträglichen Zustand zu stürzen, ignorirte ihn.
Entweder gründete er sich in dem Mikrokosmos irgendein behagliches Nest, oder
er schwebte hoch über demselben und sah mit Verachtung auf ihn herab. Das
Haupt in den Wolken, die Füße im Sand, schien er ohne Arme auf die Welt
gekommen zu sein, denn er griff nirgends zu. Als nun endlich ein Anderer
kam. zvgnff und siegte, da wurde der Doctrinarismus. der sich hierdurch ver¬
dunkelt fühlt, unwillig, und da er die Thatsachen, die sich vollzogen hatten,
nicht mehr läugnen konnte, da protestirte er wenigstens gegen dieselben, und
mit ihm protesiirten der Klerus, der in den Kleinstaaten in weltlichen Dingen
mit regiert, und das Hofgesinde, das von der Civilliste mitlebt und daher für
das schwärmt, was der Brutus am Ncsenbach die "ökonomische Grund-
lage" der Throne nennt, und die Demokratie, welche am liebsten Deutschland
in Reichsstädte und republikanische Cantone auflöste, -- unbekümmert darum,
daß diese einzelnen Brocken für unsere mächtigen Nachbarn außerordentlich mund¬
gerecht und leichtverdaulich sein würden.

Wenn Ludwig Steger noch lebte, dieser hochbegabte schwäbische Bolks-
tribun. der zwar nicht der heiligen, aber der patriotisch,n Demokratie angehörte,
und während er das bittere Brod des Exils aß, die Ueberzeugung von der
Nothwendigkeit eirur deutschen Macht tief in sich gesogen hatte, so müßten wir
ihn bitten, zu Gunsten seiner schwäbischen Landsleute eine modernisirte Ueber"
Setzung von Demosthenes philippischen Reden zu machen in jener vortrefflichen
Weise, in der er den Aristophanes modernisirt und uns den Shakespeare nahe
gebracht hat! In Ermangelung einer solchen Kraft will ich den schwachen Ver¬
such machen, den Anfang der dritten Rede wider den Philippos aus dem Grie¬
chischen ins Schwäbische zu übertragen:

"Obgleich, Männer von Wu'rtemberg*)," würde also Demosthenes sagen,



^ Ich darf nicht übersetzen "Männer aus Schwaben", denn sonst Protestiren die in
Bayern wohnhaften Schwaben, welche bekanntlich von dem Beobachter und dessen Partei
nichts wissen wollen.

Idee des Staates als solche. Sie betrachten den Staat und die politische Frei¬
heit als Gegensätze, während man doch die letztere nur auf der Basis des ersteren
aufbauen kann. Daß wir bisher in Deutschland. Zeit um Zeit, und Land um
Land, zwischen einem höchst ungemüthlichen, bevormundungssüchtigen, maß-
r^gelungswüthigen Absolutismus und einer willensschwachen und ohnmächtigen
gemüthlichen Anarchie hin- und herschaukelten, im Innern unbehaglich durch
den ersteren und nach Außen Schutz'os und verachtet durch die letztere, den
Grund davon haben wir in unserer Staatlosigkeit zu suchen. Denn Preußen
war bisher nur ein halber Staat und die anderen deutschen Länder gar keiner;
und alle mit einander standen sie unter dem Zwange einer auswärtigen mehr
ungarisch-slawischen, als deutschen Macht. Der deutsche Doctrinarismus, zu
willensschwach, um diesen unerträglichen Zustand zu stürzen, ignorirte ihn.
Entweder gründete er sich in dem Mikrokosmos irgendein behagliches Nest, oder
er schwebte hoch über demselben und sah mit Verachtung auf ihn herab. Das
Haupt in den Wolken, die Füße im Sand, schien er ohne Arme auf die Welt
gekommen zu sein, denn er griff nirgends zu. Als nun endlich ein Anderer
kam. zvgnff und siegte, da wurde der Doctrinarismus. der sich hierdurch ver¬
dunkelt fühlt, unwillig, und da er die Thatsachen, die sich vollzogen hatten,
nicht mehr läugnen konnte, da protestirte er wenigstens gegen dieselben, und
mit ihm protesiirten der Klerus, der in den Kleinstaaten in weltlichen Dingen
mit regiert, und das Hofgesinde, das von der Civilliste mitlebt und daher für
das schwärmt, was der Brutus am Ncsenbach die „ökonomische Grund-
lage" der Throne nennt, und die Demokratie, welche am liebsten Deutschland
in Reichsstädte und republikanische Cantone auflöste, — unbekümmert darum,
daß diese einzelnen Brocken für unsere mächtigen Nachbarn außerordentlich mund¬
gerecht und leichtverdaulich sein würden.

Wenn Ludwig Steger noch lebte, dieser hochbegabte schwäbische Bolks-
tribun. der zwar nicht der heiligen, aber der patriotisch,n Demokratie angehörte,
und während er das bittere Brod des Exils aß, die Ueberzeugung von der
Nothwendigkeit eirur deutschen Macht tief in sich gesogen hatte, so müßten wir
ihn bitten, zu Gunsten seiner schwäbischen Landsleute eine modernisirte Ueber«
Setzung von Demosthenes philippischen Reden zu machen in jener vortrefflichen
Weise, in der er den Aristophanes modernisirt und uns den Shakespeare nahe
gebracht hat! In Ermangelung einer solchen Kraft will ich den schwachen Ver¬
such machen, den Anfang der dritten Rede wider den Philippos aus dem Grie¬
chischen ins Schwäbische zu übertragen:

„Obgleich, Männer von Wu'rtemberg*)," würde also Demosthenes sagen,



^ Ich darf nicht übersetzen „Männer aus Schwaben", denn sonst Protestiren die in
Bayern wohnhaften Schwaben, welche bekanntlich von dem Beobachter und dessen Partei
nichts wissen wollen.
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[0518] Idee des Staates als solche. Sie betrachten den Staat und die politische Frei¬ heit als Gegensätze, während man doch die letztere nur auf der Basis des ersteren aufbauen kann. Daß wir bisher in Deutschland. Zeit um Zeit, und Land um Land, zwischen einem höchst ungemüthlichen, bevormundungssüchtigen, maß- r^gelungswüthigen Absolutismus und einer willensschwachen und ohnmächtigen gemüthlichen Anarchie hin- und herschaukelten, im Innern unbehaglich durch den ersteren und nach Außen Schutz'os und verachtet durch die letztere, den Grund davon haben wir in unserer Staatlosigkeit zu suchen. Denn Preußen war bisher nur ein halber Staat und die anderen deutschen Länder gar keiner; und alle mit einander standen sie unter dem Zwange einer auswärtigen mehr ungarisch-slawischen, als deutschen Macht. Der deutsche Doctrinarismus, zu willensschwach, um diesen unerträglichen Zustand zu stürzen, ignorirte ihn. Entweder gründete er sich in dem Mikrokosmos irgendein behagliches Nest, oder er schwebte hoch über demselben und sah mit Verachtung auf ihn herab. Das Haupt in den Wolken, die Füße im Sand, schien er ohne Arme auf die Welt gekommen zu sein, denn er griff nirgends zu. Als nun endlich ein Anderer kam. zvgnff und siegte, da wurde der Doctrinarismus. der sich hierdurch ver¬ dunkelt fühlt, unwillig, und da er die Thatsachen, die sich vollzogen hatten, nicht mehr läugnen konnte, da protestirte er wenigstens gegen dieselben, und mit ihm protesiirten der Klerus, der in den Kleinstaaten in weltlichen Dingen mit regiert, und das Hofgesinde, das von der Civilliste mitlebt und daher für das schwärmt, was der Brutus am Ncsenbach die „ökonomische Grund- lage" der Throne nennt, und die Demokratie, welche am liebsten Deutschland in Reichsstädte und republikanische Cantone auflöste, — unbekümmert darum, daß diese einzelnen Brocken für unsere mächtigen Nachbarn außerordentlich mund¬ gerecht und leichtverdaulich sein würden. Wenn Ludwig Steger noch lebte, dieser hochbegabte schwäbische Bolks- tribun. der zwar nicht der heiligen, aber der patriotisch,n Demokratie angehörte, und während er das bittere Brod des Exils aß, die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eirur deutschen Macht tief in sich gesogen hatte, so müßten wir ihn bitten, zu Gunsten seiner schwäbischen Landsleute eine modernisirte Ueber« Setzung von Demosthenes philippischen Reden zu machen in jener vortrefflichen Weise, in der er den Aristophanes modernisirt und uns den Shakespeare nahe gebracht hat! In Ermangelung einer solchen Kraft will ich den schwachen Ver¬ such machen, den Anfang der dritten Rede wider den Philippos aus dem Grie¬ chischen ins Schwäbische zu übertragen: „Obgleich, Männer von Wu'rtemberg*)," würde also Demosthenes sagen, ^ Ich darf nicht übersetzen „Männer aus Schwaben", denn sonst Protestiren die in Bayern wohnhaften Schwaben, welche bekanntlich von dem Beobachter und dessen Partei nichts wissen wollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/518>, abgerufen am 03.07.2024.