Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Examina und Dienstzeiten in Kanzleien und Schreibstuben absolvirt habe, der
vermöge gar nicht mitzureden in öffentlichen Angellgenbciten, -- Leute, welche
jeder Preß' und Disciplinarmasiregtl in Preußen, jeder Nichtbestätiaung und
jedem Act der Feindseligkeit gegen die parlamentarische Opposition zugejauchzt
und zu pot"mzirter Nachahmung alles dessen im engeren Vaterländchen gerathen
und nach Kräften dabei mitgewirkt haben, nun auf einmal in der Sprache des
Sansculottismus bramarbasiren und mit der Jakobinermütze kokettiren, von Zeit
zu Zeit aber plötzlich in Angst gerathen, weil ihnen in einem unbewachten
Augenblick ein Rückfall in die frühere Tonart dazwischen gekommen oder es
ihnen gar passirr ist. daß sie in der Zerstreutheit statt der rothen Mütze die
büreaukratische Zipfelkappe, das geistliche Käppchen aufgesetzt oder die verrä-
therische Tonsur gezeigt haben. Solche Leute loben jetzt "unsern Jacoby" und
glauben sich dadurch zur Entschädigung die Erlaubniß erkaufen zu können, Ihre
alten Freunde Unruh, Tochter. Forkenbeck. Laster u. s, w. schmähen zu dürfen;
und dies letztere dient ihnen als süße Erholung für den sauern Republikanis-
mus. für den bitteren Freiheitsentbusiasmus, den sie sich so plötzlich haben auf¬
erlegen müssen, "der Noth gehorchend, nicht dem eignen Triebe."

Während die Vertreter der Intelligenz, des Grundbesitzes, des Handels
und der Industrie dem auf der Grundlage der Einheit constituirten Nordbunde
immer näher rücken, sind es die obersten und die untersten Sprossen der socialen Leiter,
das vornehme und das gemeine Proletariat, welche auf das äußerste widerstreben.

Das erinnert lebhaft an einen Ausspruch von Heinrich Heine: die Fabel
erzählt: die obersten Sprossen einer Leiter sprachen einst hochmüthig zu den
untersten: glaubt nicht, daß Ihr uns gleich seid, Ihr steckt tief unten im Kothe.
während wir oben frei emporragen, die Hierarchie der Sprossen ist von Natur
eingeführt, sie ist von der Zeit geheiligt, sie ist legitim. Ein Philosoph aber,
welcher vorüberging und diese aristokratische Sprache hörte. lächelte, schwieg und
drehte die Leiter einfach herum. Die Richtigkeit dieser Fabel, sagt Heine in
seinen pariser Briefen, haben wir in Frankreich erlebt. Die vornehmen Emi¬
granten, die im Auslande ins Elend geriethen, wurden ganz gemeine Bettler
in Gefühl und Gesinnung, während das Lumpengesindel, das ihren Platz in
Frankreich eingenommen hatte, sich so frech, so hochnäsig, so hoffärtig spreizte,
als wäre es die älteste Noblesse.

Was Heinrich Heine in Frankreich beobachtet bat. das finden wir auch in
Süddeutschland besteigt. Während die mittleren Sprossen der Leiter, welche
stets die mittleren bleiben, mag sich noch so oft das Oberste zu Anderst kehren,
nämlich ti.- Vertreter des Handels, der Industrie und der Landwirthschaft, frei
sind von jener Borussophobie, finden wir die obersten und die untersten Spros¬
sen, die sonst einander so selten verstehen, auf diesem Punkte in bester Eintracht.
Sie alle haben, bewußt oder unbewußt, eine förmliche Idiosynkrasie gegen die


Examina und Dienstzeiten in Kanzleien und Schreibstuben absolvirt habe, der
vermöge gar nicht mitzureden in öffentlichen Angellgenbciten, — Leute, welche
jeder Preß' und Disciplinarmasiregtl in Preußen, jeder Nichtbestätiaung und
jedem Act der Feindseligkeit gegen die parlamentarische Opposition zugejauchzt
und zu pot«mzirter Nachahmung alles dessen im engeren Vaterländchen gerathen
und nach Kräften dabei mitgewirkt haben, nun auf einmal in der Sprache des
Sansculottismus bramarbasiren und mit der Jakobinermütze kokettiren, von Zeit
zu Zeit aber plötzlich in Angst gerathen, weil ihnen in einem unbewachten
Augenblick ein Rückfall in die frühere Tonart dazwischen gekommen oder es
ihnen gar passirr ist. daß sie in der Zerstreutheit statt der rothen Mütze die
büreaukratische Zipfelkappe, das geistliche Käppchen aufgesetzt oder die verrä-
therische Tonsur gezeigt haben. Solche Leute loben jetzt „unsern Jacoby" und
glauben sich dadurch zur Entschädigung die Erlaubniß erkaufen zu können, Ihre
alten Freunde Unruh, Tochter. Forkenbeck. Laster u. s, w. schmähen zu dürfen;
und dies letztere dient ihnen als süße Erholung für den sauern Republikanis-
mus. für den bitteren Freiheitsentbusiasmus, den sie sich so plötzlich haben auf¬
erlegen müssen, „der Noth gehorchend, nicht dem eignen Triebe."

Während die Vertreter der Intelligenz, des Grundbesitzes, des Handels
und der Industrie dem auf der Grundlage der Einheit constituirten Nordbunde
immer näher rücken, sind es die obersten und die untersten Sprossen der socialen Leiter,
das vornehme und das gemeine Proletariat, welche auf das äußerste widerstreben.

Das erinnert lebhaft an einen Ausspruch von Heinrich Heine: die Fabel
erzählt: die obersten Sprossen einer Leiter sprachen einst hochmüthig zu den
untersten: glaubt nicht, daß Ihr uns gleich seid, Ihr steckt tief unten im Kothe.
während wir oben frei emporragen, die Hierarchie der Sprossen ist von Natur
eingeführt, sie ist von der Zeit geheiligt, sie ist legitim. Ein Philosoph aber,
welcher vorüberging und diese aristokratische Sprache hörte. lächelte, schwieg und
drehte die Leiter einfach herum. Die Richtigkeit dieser Fabel, sagt Heine in
seinen pariser Briefen, haben wir in Frankreich erlebt. Die vornehmen Emi¬
granten, die im Auslande ins Elend geriethen, wurden ganz gemeine Bettler
in Gefühl und Gesinnung, während das Lumpengesindel, das ihren Platz in
Frankreich eingenommen hatte, sich so frech, so hochnäsig, so hoffärtig spreizte,
als wäre es die älteste Noblesse.

Was Heinrich Heine in Frankreich beobachtet bat. das finden wir auch in
Süddeutschland besteigt. Während die mittleren Sprossen der Leiter, welche
stets die mittleren bleiben, mag sich noch so oft das Oberste zu Anderst kehren,
nämlich ti.- Vertreter des Handels, der Industrie und der Landwirthschaft, frei
sind von jener Borussophobie, finden wir die obersten und die untersten Spros¬
sen, die sonst einander so selten verstehen, auf diesem Punkte in bester Eintracht.
Sie alle haben, bewußt oder unbewußt, eine förmliche Idiosynkrasie gegen die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0517" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191211"/>
            <p xml:id="ID_1715" prev="#ID_1714"> Examina und Dienstzeiten in Kanzleien und Schreibstuben absolvirt habe, der<lb/>
vermöge gar nicht mitzureden in öffentlichen Angellgenbciten, &#x2014; Leute, welche<lb/>
jeder Preß' und Disciplinarmasiregtl in Preußen, jeder Nichtbestätiaung und<lb/>
jedem Act der Feindseligkeit gegen die parlamentarische Opposition zugejauchzt<lb/>
und zu pot«mzirter Nachahmung alles dessen im engeren Vaterländchen gerathen<lb/>
und nach Kräften dabei mitgewirkt haben, nun auf einmal in der Sprache des<lb/>
Sansculottismus bramarbasiren und mit der Jakobinermütze kokettiren, von Zeit<lb/>
zu Zeit aber plötzlich in Angst gerathen, weil ihnen in einem unbewachten<lb/>
Augenblick ein Rückfall in die frühere Tonart dazwischen gekommen oder es<lb/>
ihnen gar passirr ist. daß sie in der Zerstreutheit statt der rothen Mütze die<lb/>
büreaukratische Zipfelkappe, das geistliche Käppchen aufgesetzt oder die verrä-<lb/>
therische Tonsur gezeigt haben. Solche Leute loben jetzt &#x201E;unsern Jacoby" und<lb/>
glauben sich dadurch zur Entschädigung die Erlaubniß erkaufen zu können, Ihre<lb/>
alten Freunde Unruh, Tochter. Forkenbeck. Laster u. s, w. schmähen zu dürfen;<lb/>
und dies letztere dient ihnen als süße Erholung für den sauern Republikanis-<lb/>
mus. für den bitteren Freiheitsentbusiasmus, den sie sich so plötzlich haben auf¬<lb/>
erlegen müssen, &#x201E;der Noth gehorchend, nicht dem eignen Triebe."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1716"> Während die Vertreter der Intelligenz, des Grundbesitzes, des Handels<lb/>
und der Industrie dem auf der Grundlage der Einheit constituirten Nordbunde<lb/>
immer näher rücken, sind es die obersten und die untersten Sprossen der socialen Leiter,<lb/>
das vornehme und das gemeine Proletariat, welche auf das äußerste widerstreben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1717"> Das erinnert lebhaft an einen Ausspruch von Heinrich Heine: die Fabel<lb/>
erzählt: die obersten Sprossen einer Leiter sprachen einst hochmüthig zu den<lb/>
untersten: glaubt nicht, daß Ihr uns gleich seid, Ihr steckt tief unten im Kothe.<lb/>
während wir oben frei emporragen, die Hierarchie der Sprossen ist von Natur<lb/>
eingeführt, sie ist von der Zeit geheiligt, sie ist legitim. Ein Philosoph aber,<lb/>
welcher vorüberging und diese aristokratische Sprache hörte. lächelte, schwieg und<lb/>
drehte die Leiter einfach herum. Die Richtigkeit dieser Fabel, sagt Heine in<lb/>
seinen pariser Briefen, haben wir in Frankreich erlebt. Die vornehmen Emi¬<lb/>
granten, die im Auslande ins Elend geriethen, wurden ganz gemeine Bettler<lb/>
in Gefühl und Gesinnung, während das Lumpengesindel, das ihren Platz in<lb/>
Frankreich eingenommen hatte, sich so frech, so hochnäsig, so hoffärtig spreizte,<lb/>
als wäre es die älteste Noblesse.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1718" next="#ID_1719"> Was Heinrich Heine in Frankreich beobachtet bat. das finden wir auch in<lb/>
Süddeutschland besteigt. Während die mittleren Sprossen der Leiter, welche<lb/>
stets die mittleren bleiben, mag sich noch so oft das Oberste zu Anderst kehren,<lb/>
nämlich ti.- Vertreter des Handels, der Industrie und der Landwirthschaft, frei<lb/>
sind von jener Borussophobie, finden wir die obersten und die untersten Spros¬<lb/>
sen, die sonst einander so selten verstehen, auf diesem Punkte in bester Eintracht.<lb/>
Sie alle haben, bewußt oder unbewußt, eine förmliche Idiosynkrasie gegen die</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0517] Examina und Dienstzeiten in Kanzleien und Schreibstuben absolvirt habe, der vermöge gar nicht mitzureden in öffentlichen Angellgenbciten, — Leute, welche jeder Preß' und Disciplinarmasiregtl in Preußen, jeder Nichtbestätiaung und jedem Act der Feindseligkeit gegen die parlamentarische Opposition zugejauchzt und zu pot«mzirter Nachahmung alles dessen im engeren Vaterländchen gerathen und nach Kräften dabei mitgewirkt haben, nun auf einmal in der Sprache des Sansculottismus bramarbasiren und mit der Jakobinermütze kokettiren, von Zeit zu Zeit aber plötzlich in Angst gerathen, weil ihnen in einem unbewachten Augenblick ein Rückfall in die frühere Tonart dazwischen gekommen oder es ihnen gar passirr ist. daß sie in der Zerstreutheit statt der rothen Mütze die büreaukratische Zipfelkappe, das geistliche Käppchen aufgesetzt oder die verrä- therische Tonsur gezeigt haben. Solche Leute loben jetzt „unsern Jacoby" und glauben sich dadurch zur Entschädigung die Erlaubniß erkaufen zu können, Ihre alten Freunde Unruh, Tochter. Forkenbeck. Laster u. s, w. schmähen zu dürfen; und dies letztere dient ihnen als süße Erholung für den sauern Republikanis- mus. für den bitteren Freiheitsentbusiasmus, den sie sich so plötzlich haben auf¬ erlegen müssen, „der Noth gehorchend, nicht dem eignen Triebe." Während die Vertreter der Intelligenz, des Grundbesitzes, des Handels und der Industrie dem auf der Grundlage der Einheit constituirten Nordbunde immer näher rücken, sind es die obersten und die untersten Sprossen der socialen Leiter, das vornehme und das gemeine Proletariat, welche auf das äußerste widerstreben. Das erinnert lebhaft an einen Ausspruch von Heinrich Heine: die Fabel erzählt: die obersten Sprossen einer Leiter sprachen einst hochmüthig zu den untersten: glaubt nicht, daß Ihr uns gleich seid, Ihr steckt tief unten im Kothe. während wir oben frei emporragen, die Hierarchie der Sprossen ist von Natur eingeführt, sie ist von der Zeit geheiligt, sie ist legitim. Ein Philosoph aber, welcher vorüberging und diese aristokratische Sprache hörte. lächelte, schwieg und drehte die Leiter einfach herum. Die Richtigkeit dieser Fabel, sagt Heine in seinen pariser Briefen, haben wir in Frankreich erlebt. Die vornehmen Emi¬ granten, die im Auslande ins Elend geriethen, wurden ganz gemeine Bettler in Gefühl und Gesinnung, während das Lumpengesindel, das ihren Platz in Frankreich eingenommen hatte, sich so frech, so hochnäsig, so hoffärtig spreizte, als wäre es die älteste Noblesse. Was Heinrich Heine in Frankreich beobachtet bat. das finden wir auch in Süddeutschland besteigt. Während die mittleren Sprossen der Leiter, welche stets die mittleren bleiben, mag sich noch so oft das Oberste zu Anderst kehren, nämlich ti.- Vertreter des Handels, der Industrie und der Landwirthschaft, frei sind von jener Borussophobie, finden wir die obersten und die untersten Spros¬ sen, die sonst einander so selten verstehen, auf diesem Punkte in bester Eintracht. Sie alle haben, bewußt oder unbewußt, eine förmliche Idiosynkrasie gegen die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/517
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/517>, abgerufen am 22.07.2024.