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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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verwechselt Niedersachsen mit Ober- oder Kursachsen und den Wittekind mit
den Wettinern*) würden sich entrüsten, Euch von Euern Nebenbuhlern unter
das Joch so lange vorbereiteter Knechtschaft gebeugt und Euer Land zu
einer preußischen Provinz herabgewürdigt zu sehen!" Klingt das nicht grade
so, als wenn es aus dem Munde des Drechslermeisters Bebel von Leipzig,
Reichstagsmitgliedes für den 17., oder des Advocaten Schraps von Dresden,
für den 18. Wahlkreis des Königreichs Sachsen, käme?

Damals ließen sich die Sachsen von dem süßen Klang der französischen
Phrase berücken. Infolge dieses Verhaltens drohete der Dynastie 1814 der
Untergang und sie verlor 1815 nicht nur die durch die Gnade Napoleons er¬
worbenen neuen Territorien, sondern auch die größere Hälfte der alten.

Ich fürchte, wenn wir uns Ihrer Auffassung anschlössen, wenn wir die
nationale Einigung und namentlich die einheitliche Zusammenfassung der ge-
sammten deutschen Wehrkraft als eine unerträgliche Knechtschaft zurückwiesen,
würden auch wir dem Schicksale der Fremdherrschaft und der Zerstückelung
schwerlich entgehen.

Ich finde serner ein bedenkliches Symptom gegen die Richtigkeit Ihrer An¬
sicht darin, daß alle Personen und alle Parteien in Süddeutschland, welche Preußen
und die deutsche Einheit hassen, daß die Socialdemokraten, die Particulaüsten,
die Republikaner, die Freunde Oestreichs und die Anbeter Frankreichs, das
Hofgesinde der Kleinfürsten und die schwarze Brigade der Sanfedisten, daß diese
höchstverschiedenen Menschen, die nur in einem einzigen Punkte einig sind,
nämlich im Haß und im Gegenstande des Hasses, plötzlich in heißer Neigung
für Sie, hochverehrter Herr, entbrannt sind. Ich bin überzeugt, wenn Sie das
in der Nähe sehen und hören könnten, würde Ihnen doch ein wenig bange
werden. Die Frankfurter, welche fast mit Stimmencinhelligkeit einen Konser¬
vativen in den Reichstag gewählt haben, schwärmen für Sie. Nächst Classen-
Kappelmann sind Sie dort die gefeiertste Person aus Preußen. Wenn freilich
wieder in den Reichstag gewählt wird, dann würden die Frankfurter ganz ge¬
wiß wieder Baron M. Karl von Rothschild wählen und weder Sie noch
Classen-Kappelmann. Der schwarzgelbe Adel Süddeutschlands, der bisher Ihren
Namen entweder gar nicht, oder mit einem Epitheton aussprach, das nicht in
die Kategorie der Ehrennamen zu rechnen wär, liest jetzt mit Entzücken die
berliner "Zukunft" und die düsseldorfer "Rheinische Zeitung" neben den
"Kölnischen Blättern" und dem Münchener "Boltsboten" und lacht: "das sind
Leute von Consequenz und verderben uns nichts." Die klerikalen Heißsporne in
Bayern sehmsie mit frommer Freude an der Seite des Abgeordneten für Altenstein
fechten, der sich in seinem Feuereifer so weit hinreißen ließ, die profane Ber-



Aehnliches ist freilich auch dem deutschen Historiker Gervinus begegnet.
Ärenzvvtcn II. 1LK7.

verwechselt Niedersachsen mit Ober- oder Kursachsen und den Wittekind mit
den Wettinern*) würden sich entrüsten, Euch von Euern Nebenbuhlern unter
das Joch so lange vorbereiteter Knechtschaft gebeugt und Euer Land zu
einer preußischen Provinz herabgewürdigt zu sehen!" Klingt das nicht grade
so, als wenn es aus dem Munde des Drechslermeisters Bebel von Leipzig,
Reichstagsmitgliedes für den 17., oder des Advocaten Schraps von Dresden,
für den 18. Wahlkreis des Königreichs Sachsen, käme?

Damals ließen sich die Sachsen von dem süßen Klang der französischen
Phrase berücken. Infolge dieses Verhaltens drohete der Dynastie 1814 der
Untergang und sie verlor 1815 nicht nur die durch die Gnade Napoleons er¬
worbenen neuen Territorien, sondern auch die größere Hälfte der alten.

Ich fürchte, wenn wir uns Ihrer Auffassung anschlössen, wenn wir die
nationale Einigung und namentlich die einheitliche Zusammenfassung der ge-
sammten deutschen Wehrkraft als eine unerträgliche Knechtschaft zurückwiesen,
würden auch wir dem Schicksale der Fremdherrschaft und der Zerstückelung
schwerlich entgehen.

Ich finde serner ein bedenkliches Symptom gegen die Richtigkeit Ihrer An¬
sicht darin, daß alle Personen und alle Parteien in Süddeutschland, welche Preußen
und die deutsche Einheit hassen, daß die Socialdemokraten, die Particulaüsten,
die Republikaner, die Freunde Oestreichs und die Anbeter Frankreichs, das
Hofgesinde der Kleinfürsten und die schwarze Brigade der Sanfedisten, daß diese
höchstverschiedenen Menschen, die nur in einem einzigen Punkte einig sind,
nämlich im Haß und im Gegenstande des Hasses, plötzlich in heißer Neigung
für Sie, hochverehrter Herr, entbrannt sind. Ich bin überzeugt, wenn Sie das
in der Nähe sehen und hören könnten, würde Ihnen doch ein wenig bange
werden. Die Frankfurter, welche fast mit Stimmencinhelligkeit einen Konser¬
vativen in den Reichstag gewählt haben, schwärmen für Sie. Nächst Classen-
Kappelmann sind Sie dort die gefeiertste Person aus Preußen. Wenn freilich
wieder in den Reichstag gewählt wird, dann würden die Frankfurter ganz ge¬
wiß wieder Baron M. Karl von Rothschild wählen und weder Sie noch
Classen-Kappelmann. Der schwarzgelbe Adel Süddeutschlands, der bisher Ihren
Namen entweder gar nicht, oder mit einem Epitheton aussprach, das nicht in
die Kategorie der Ehrennamen zu rechnen wär, liest jetzt mit Entzücken die
berliner „Zukunft" und die düsseldorfer „Rheinische Zeitung" neben den
„Kölnischen Blättern" und dem Münchener „Boltsboten" und lacht: „das sind
Leute von Consequenz und verderben uns nichts." Die klerikalen Heißsporne in
Bayern sehmsie mit frommer Freude an der Seite des Abgeordneten für Altenstein
fechten, der sich in seinem Feuereifer so weit hinreißen ließ, die profane Ber-



Aehnliches ist freilich auch dem deutschen Historiker Gervinus begegnet.
Ärenzvvtcn II. 1LK7.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/513>, abgerufen am 22.07.2024.