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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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den; dann würden Sie vielleicht nach Ablauf dieser Probezeit geheilt sein von
dem Irrthum, dah die deutschen Kleinstaaten der Hort der Freiheit seien.

Ich habe stets Ihre Consequenz bewundert und fand es daher auch voll¬
kommen in Ordnung, d. h. in Uebereinstimmung mit Ihrer persönlichen Welt"
anschauung, daß Sie das Beispiel jenes Arztes nachahmten, welcher einem Pa-
tienten den alsbaldigen Tod angekündigt hatte, ihn aber bei dem nächsten Be¬
such frisch und gesund antraf, und ihm deshalb sagte: "In den Augen der
Wissenschaft sind Sie doch todt." Ich will sagen, daß Sie die Schlacht von
Königgrätz und was darauf gefolgt ist, nicht anerkennen, daß Sie den Krieg
und seine Resultate verdammen und daß Sie am 6. Mai 1867 in dem Abge-
ordnetenhause einen feierlichen Protest einlegten gegen die "gewaltsame Aneig¬
nung deutschen Bundesgebiets", gegen das "Trugbild nationaler Macht und
Ehre" und gegen die "Schmach freiwilliger Knechtschaft", welche sich das Volk
durch Sanction der Verfassung des norddeutschen Bundes selbst auferlege.

Was die "gewaltsame Aneignung deutschen Bundesgebiets" anlangt, so
erinnere ich Sie an die historischen Worte des preußischen Manifestes von 1806:
"Vor allen Tractaten hat die Nation ihre Rechte". Der Bundesvertrag von
1815 war ohne die Nation, über die Nation, gegen die Nation geschlossen; und
die Nachkommen derer, welche ihn geschlossen, hatten ihn am 14. Juni 1866
zerrissen und Preußen den Krieg erklärt. Sie hatten den Schutz des Bundes¬
vertrags verwirkt und durch die Niederlagen, welche eine wahrhaft kindische
Kriegführung mit sich führen mußte, die Existenz verscherzt. Der Particularismus.
welcher die Dynastie über die Nation und den Theil über das Ganze setzte,
hatte sich selbst gestürzt. An die Stelle des Vertrags von 181S war wieder
einmal das Recht der Nation getreten.

Sie nennen die militärische Einheit Deutschlands "die Knechtschaft".
Merkwürdige Uebereinstimmung starker Geister! Napoleon der Erste nannte
sie auch so. Als im Jahre 1806 sich das Königreich Sachsen mit Preußen
zum Kampf gegen den mächtigen Franzosenkaiser verbündet hatte, aber im
Kampfe seinen deutschen Verbündeten aufgab, um sich von dem Neichsfeinde
mit einer Königskrone beglücken und zum Nheinbundshelotenthume begnadigen
zu lassen, da erließ Napoleon am 10, October eine Proclamation an das Volk
der Sachsen, worin es heißt: "Sachsen! Ich betrete Euer Land, um es zu be¬
freien. -- Meine Armeen werden nicht eher zurückkehren, als bis Preußen
Euere Unabhängigkeit anerkannt hat. -- Meine Fortschritte werden die Exi¬
stenz und Unabhängigkeit Eueres Fürsten. Euerer Nation (der kursächsischen
Nation!), befestigen. Die Fortschritte der Preußen würden Euch ewige Fesseln
anlegen. Die Preußen haben versucht. Euern Beherrscher zur Anerkennung
einer Oberherrschaft zu zwingen, die Euch aus der Reihe der Nationen streichen
Würde. -- Die Mahnen Eurer Vorfahren, die tapfern Sachsen, (Napoleon


den; dann würden Sie vielleicht nach Ablauf dieser Probezeit geheilt sein von
dem Irrthum, dah die deutschen Kleinstaaten der Hort der Freiheit seien.

Ich habe stets Ihre Consequenz bewundert und fand es daher auch voll¬
kommen in Ordnung, d. h. in Uebereinstimmung mit Ihrer persönlichen Welt«
anschauung, daß Sie das Beispiel jenes Arztes nachahmten, welcher einem Pa-
tienten den alsbaldigen Tod angekündigt hatte, ihn aber bei dem nächsten Be¬
such frisch und gesund antraf, und ihm deshalb sagte: „In den Augen der
Wissenschaft sind Sie doch todt." Ich will sagen, daß Sie die Schlacht von
Königgrätz und was darauf gefolgt ist, nicht anerkennen, daß Sie den Krieg
und seine Resultate verdammen und daß Sie am 6. Mai 1867 in dem Abge-
ordnetenhause einen feierlichen Protest einlegten gegen die „gewaltsame Aneig¬
nung deutschen Bundesgebiets", gegen das „Trugbild nationaler Macht und
Ehre" und gegen die „Schmach freiwilliger Knechtschaft", welche sich das Volk
durch Sanction der Verfassung des norddeutschen Bundes selbst auferlege.

Was die „gewaltsame Aneignung deutschen Bundesgebiets" anlangt, so
erinnere ich Sie an die historischen Worte des preußischen Manifestes von 1806:
„Vor allen Tractaten hat die Nation ihre Rechte". Der Bundesvertrag von
1815 war ohne die Nation, über die Nation, gegen die Nation geschlossen; und
die Nachkommen derer, welche ihn geschlossen, hatten ihn am 14. Juni 1866
zerrissen und Preußen den Krieg erklärt. Sie hatten den Schutz des Bundes¬
vertrags verwirkt und durch die Niederlagen, welche eine wahrhaft kindische
Kriegführung mit sich führen mußte, die Existenz verscherzt. Der Particularismus.
welcher die Dynastie über die Nation und den Theil über das Ganze setzte,
hatte sich selbst gestürzt. An die Stelle des Vertrags von 181S war wieder
einmal das Recht der Nation getreten.

Sie nennen die militärische Einheit Deutschlands „die Knechtschaft".
Merkwürdige Uebereinstimmung starker Geister! Napoleon der Erste nannte
sie auch so. Als im Jahre 1806 sich das Königreich Sachsen mit Preußen
zum Kampf gegen den mächtigen Franzosenkaiser verbündet hatte, aber im
Kampfe seinen deutschen Verbündeten aufgab, um sich von dem Neichsfeinde
mit einer Königskrone beglücken und zum Nheinbundshelotenthume begnadigen
zu lassen, da erließ Napoleon am 10, October eine Proclamation an das Volk
der Sachsen, worin es heißt: „Sachsen! Ich betrete Euer Land, um es zu be¬
freien. — Meine Armeen werden nicht eher zurückkehren, als bis Preußen
Euere Unabhängigkeit anerkannt hat. — Meine Fortschritte werden die Exi¬
stenz und Unabhängigkeit Eueres Fürsten. Euerer Nation (der kursächsischen
Nation!), befestigen. Die Fortschritte der Preußen würden Euch ewige Fesseln
anlegen. Die Preußen haben versucht. Euern Beherrscher zur Anerkennung
einer Oberherrschaft zu zwingen, die Euch aus der Reihe der Nationen streichen
Würde. — Die Mahnen Eurer Vorfahren, die tapfern Sachsen, (Napoleon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/512>, abgerufen am 22.07.2024.