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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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der beste Spaßmacher berühmt oder gefürchtet und mit allen lustigen Burschen
der Gegend bekannt.

Ein solcher führte mich in sein Haus, wo es stets ungemein lebhaft zu¬
ging. Bald war ich hier sowohl der Erste als der Aergste im Tanzen und
Springen und galt für den Rädelsführer bei allen tollen Streichen, von denen
in zwei Gemeinden erzählt wurde. Immer aber gelang es mir denn doch nicht,
mich selbst so ganz zu verläugnen und mein Inneres zu überschreien. Zuweilen
saß ich still in einem Winkel, hadernd mit der Welt und mit mir selbst, während
Andere mich spottend fragten: .Ob ich heut wieder einmal einen Kapuziner Ver¬
schlucke hätte?"

Nanni -- das jüngste der vielen Geschwister -- stand dann gewöhnlich
hart neben mir, während es zu anderen Zeiten den so Ausgelassenen beinahe
ängstlich mied. Einmal sah ich zwei große Tropfen in den Augen des lieb¬
lichen Kindes stehen, und als dann bald darauf sein Blick dem meinigen wieder
begegnete, sagte es leise, doch ohne die innere Erregtheit ganz unterdrücken
zu können: "So sind sie! Wenn du ihnen Kurzweil machst, wenn du dich zu
ihrem Spaßmacher hergiebst, bist du ihnen ganz recht; sonst aber lachen sie dich
aus und tadeln dich, und doch kommts mir vor, als ob du heute viel mehr du
selbst seiest als das.letzte Mal."

Es lag für mich so viel in diesen Worten, daß ich noch jetzt für nicht
grade nöthig halte, nach diesem auch noch meiner Neigung nachgebend zu er¬
zählen, wie mir dann ein neues Leben ausging, wie ich bald ein ganz anderer,
frömmerer, fröhlicherer Mensch ward, wie wir zusammen lasen, lernten und
lebten und wie Nanni dann mein Wible geworden ist. Liegt ja doch das alles
schon in jenem schönen Abende, dessen ich immer gedenken muß, wenn ich mir
das Glück desjenigen vorstelle, der sich von einem edlen Wesen verstanden sieht.

Auch an meinem Geburtstage, und besonders als ich so ganz allein aus dem
Felsen ob dem Dorfe war, mußte ich dessen immer wieder gedenken und jedes,
auch des unbedeutendsten Nebenumstandes mich erinnern. Und da mir aus
meinen Lieblingsdichtern so manche Stelle einfiel, die mein Empfinden wunder¬
schön und treffend ausdrückte, sagte ich mir, daß es in der Welt draußen Viele
geben müßte, die auch mich verstehen würden. Mit diesen hätte ich jetzt reden
mögen! Aber auch die, welche da unten von des Tages Mühen und Sorgen
ausrüsten, sollten dabei zuhören, und vielleicht für ihr hartes Leben etwas
gewinnen!

"Oh," rief ich aus. "daß ich doch wirklich die Brücke herstellen könnte,
von welcher der Zimmermann heute gesagt hat! Aber wie? Jener große Berg-
Prediger sprach in Gleichnissen zu Hohen und Niedern, zu Gelehrten und Um¬
gekehrten. Ich möchte vom allgemein Menschlichen predigen und das Gött¬
liche darin verherrlichen -- aber wo ist mein Gleichniß für Alle?"


der beste Spaßmacher berühmt oder gefürchtet und mit allen lustigen Burschen
der Gegend bekannt.

Ein solcher führte mich in sein Haus, wo es stets ungemein lebhaft zu¬
ging. Bald war ich hier sowohl der Erste als der Aergste im Tanzen und
Springen und galt für den Rädelsführer bei allen tollen Streichen, von denen
in zwei Gemeinden erzählt wurde. Immer aber gelang es mir denn doch nicht,
mich selbst so ganz zu verläugnen und mein Inneres zu überschreien. Zuweilen
saß ich still in einem Winkel, hadernd mit der Welt und mit mir selbst, während
Andere mich spottend fragten: .Ob ich heut wieder einmal einen Kapuziner Ver¬
schlucke hätte?"

Nanni — das jüngste der vielen Geschwister — stand dann gewöhnlich
hart neben mir, während es zu anderen Zeiten den so Ausgelassenen beinahe
ängstlich mied. Einmal sah ich zwei große Tropfen in den Augen des lieb¬
lichen Kindes stehen, und als dann bald darauf sein Blick dem meinigen wieder
begegnete, sagte es leise, doch ohne die innere Erregtheit ganz unterdrücken
zu können: „So sind sie! Wenn du ihnen Kurzweil machst, wenn du dich zu
ihrem Spaßmacher hergiebst, bist du ihnen ganz recht; sonst aber lachen sie dich
aus und tadeln dich, und doch kommts mir vor, als ob du heute viel mehr du
selbst seiest als das.letzte Mal."

Es lag für mich so viel in diesen Worten, daß ich noch jetzt für nicht
grade nöthig halte, nach diesem auch noch meiner Neigung nachgebend zu er¬
zählen, wie mir dann ein neues Leben ausging, wie ich bald ein ganz anderer,
frömmerer, fröhlicherer Mensch ward, wie wir zusammen lasen, lernten und
lebten und wie Nanni dann mein Wible geworden ist. Liegt ja doch das alles
schon in jenem schönen Abende, dessen ich immer gedenken muß, wenn ich mir
das Glück desjenigen vorstelle, der sich von einem edlen Wesen verstanden sieht.

Auch an meinem Geburtstage, und besonders als ich so ganz allein aus dem
Felsen ob dem Dorfe war, mußte ich dessen immer wieder gedenken und jedes,
auch des unbedeutendsten Nebenumstandes mich erinnern. Und da mir aus
meinen Lieblingsdichtern so manche Stelle einfiel, die mein Empfinden wunder¬
schön und treffend ausdrückte, sagte ich mir, daß es in der Welt draußen Viele
geben müßte, die auch mich verstehen würden. Mit diesen hätte ich jetzt reden
mögen! Aber auch die, welche da unten von des Tages Mühen und Sorgen
ausrüsten, sollten dabei zuhören, und vielleicht für ihr hartes Leben etwas
gewinnen!

„Oh," rief ich aus. „daß ich doch wirklich die Brücke herstellen könnte,
von welcher der Zimmermann heute gesagt hat! Aber wie? Jener große Berg-
Prediger sprach in Gleichnissen zu Hohen und Niedern, zu Gelehrten und Um¬
gekehrten. Ich möchte vom allgemein Menschlichen predigen und das Gött¬
liche darin verherrlichen — aber wo ist mein Gleichniß für Alle?"


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[0503] der beste Spaßmacher berühmt oder gefürchtet und mit allen lustigen Burschen der Gegend bekannt. Ein solcher führte mich in sein Haus, wo es stets ungemein lebhaft zu¬ ging. Bald war ich hier sowohl der Erste als der Aergste im Tanzen und Springen und galt für den Rädelsführer bei allen tollen Streichen, von denen in zwei Gemeinden erzählt wurde. Immer aber gelang es mir denn doch nicht, mich selbst so ganz zu verläugnen und mein Inneres zu überschreien. Zuweilen saß ich still in einem Winkel, hadernd mit der Welt und mit mir selbst, während Andere mich spottend fragten: .Ob ich heut wieder einmal einen Kapuziner Ver¬ schlucke hätte?" Nanni — das jüngste der vielen Geschwister — stand dann gewöhnlich hart neben mir, während es zu anderen Zeiten den so Ausgelassenen beinahe ängstlich mied. Einmal sah ich zwei große Tropfen in den Augen des lieb¬ lichen Kindes stehen, und als dann bald darauf sein Blick dem meinigen wieder begegnete, sagte es leise, doch ohne die innere Erregtheit ganz unterdrücken zu können: „So sind sie! Wenn du ihnen Kurzweil machst, wenn du dich zu ihrem Spaßmacher hergiebst, bist du ihnen ganz recht; sonst aber lachen sie dich aus und tadeln dich, und doch kommts mir vor, als ob du heute viel mehr du selbst seiest als das.letzte Mal." Es lag für mich so viel in diesen Worten, daß ich noch jetzt für nicht grade nöthig halte, nach diesem auch noch meiner Neigung nachgebend zu er¬ zählen, wie mir dann ein neues Leben ausging, wie ich bald ein ganz anderer, frömmerer, fröhlicherer Mensch ward, wie wir zusammen lasen, lernten und lebten und wie Nanni dann mein Wible geworden ist. Liegt ja doch das alles schon in jenem schönen Abende, dessen ich immer gedenken muß, wenn ich mir das Glück desjenigen vorstelle, der sich von einem edlen Wesen verstanden sieht. Auch an meinem Geburtstage, und besonders als ich so ganz allein aus dem Felsen ob dem Dorfe war, mußte ich dessen immer wieder gedenken und jedes, auch des unbedeutendsten Nebenumstandes mich erinnern. Und da mir aus meinen Lieblingsdichtern so manche Stelle einfiel, die mein Empfinden wunder¬ schön und treffend ausdrückte, sagte ich mir, daß es in der Welt draußen Viele geben müßte, die auch mich verstehen würden. Mit diesen hätte ich jetzt reden mögen! Aber auch die, welche da unten von des Tages Mühen und Sorgen ausrüsten, sollten dabei zuhören, und vielleicht für ihr hartes Leben etwas gewinnen! „Oh," rief ich aus. „daß ich doch wirklich die Brücke herstellen könnte, von welcher der Zimmermann heute gesagt hat! Aber wie? Jener große Berg- Prediger sprach in Gleichnissen zu Hohen und Niedern, zu Gelehrten und Um¬ gekehrten. Ich möchte vom allgemein Menschlichen predigen und das Gött¬ liche darin verherrlichen — aber wo ist mein Gleichniß für Alle?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/503>, abgerufen am 01.07.2024.