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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Aber nun dachte ich auch an Manchen dort drüben, der mir schon ohne eS zu
wissen ein lieber Freund geworden war und den ich gut genug zu kennen meinte,
um zu hoffen, daß er auch dem herzlichen Druck meiner schwielenbedeckten Hand die
seinige nicht entziehen würde. O gewiß that es auch ihnen Allen wohl, sich
von einem Redlichmeinenden aus dem Volke verstanden zu sehen, wenn ihnen
dieses erhebende Gefühl auch nicht so selten wie mir ihr Schaffen und Streben
belohnte.

Ja, was ich für das Größte, das Wohlthuendste im Menschenleben hielt,
war mir nur selten zu Theil geworden, hatte dafür aber sich meinem ganzen
Wesen um so tiefer eingeprägt. Lebhaft gedachte ich jetzt des holden Mädchens
mit dem tiefen ernsten Blick, das oft von den spielenden Gefährten und Ge.
fährtinnen weg zu dem einsam abseits stehenden Knaben hinüberschaute, sogar
bemüht war, ihn in den Kreis der Fröhlichen einzuführen. Sie bekam wenig
Dank dafür. Aber wohl hat es mir doch immer gethan, und ihr Haus war
mir das liebste im ganzen Dorf und dasjenige, welches ich später am häufigsten
betrat, in dem ich am längsten verweilte, um mit -- ihren Brüdern dem Zim¬
mermann und dem Schreiner in freien Stunden zu plaudern und zu lesen.
Das Mädchen war älter als ich, fast nur durch ihm geliehene Bücher und be¬
sonders durch leise angestrichene Stellen wagte ich mit ihr zu reden, und jedes
ihrer Worte war mir beinahe das. was dem Pfarrer zu seiner Predigt der
Text ist. Das Mädchen wurde immer ernster, immer blässer, seine Aussprüche
hatten mehr und mehr etwas Prophetisches, Heiliges, und mir war es, als ob
ich ein Götterbild auf die Gasse werfen sähe, als ich die Leute sich erzählen
hörte, daß die beiden jungen Leutchen eben verliebt seien und ihre einfältige
Leserei nun sie zusammenbringen müsse, wie andere das Tanzen oder etwas
Anderes. Ich sah die Gute krank und ich litt mit ihr. hatte dabei aber stets
das Gefühl, daß sie wirklich zu gut sei für diese Welt und die Hoffnung, daß
auch ich ihr bald nachfolgen werde ins Land der Ruhe. Starr und stumm,
nichts mehr hoffend und nichts mehr fürchtend, hörte ich drei Wochen später
die Todtenglocke läuten. Kein warmer Strahl schmolz auch nur eine einzige Thräne
von meinem Schmerz hinweg, bis ich das liebe Antlitz mit der schönen Stirne
und den blassen Wangen noch einmal, zum letzten Male lächeln sah. wie es
nur selten gelächelt hatte. Jetzt konnte ich weinen und nie mehr hab ich diesen
Augenblick vergessen.

Nun war ich wieder ganz allein mit meiner Mutter, die alle gegen den
immer sonderbarer werdenden Sonderling aufredeten. Ich bedauerte sie wie
mich selbst. Weder am Arbeiten, noch auch am Lesen und Lernen hatte ich
jetzt eine rechte Freude. Was ich immer anfing, galt mir selbst nur für einen
Versuch sich die Zeit zu verkürzen, und die so öde Wegstrecke bis zum Grabe
ein wenig zu beleben. Und in dieser Zeit wurde ich ziemlich weit herum als


Aber nun dachte ich auch an Manchen dort drüben, der mir schon ohne eS zu
wissen ein lieber Freund geworden war und den ich gut genug zu kennen meinte,
um zu hoffen, daß er auch dem herzlichen Druck meiner schwielenbedeckten Hand die
seinige nicht entziehen würde. O gewiß that es auch ihnen Allen wohl, sich
von einem Redlichmeinenden aus dem Volke verstanden zu sehen, wenn ihnen
dieses erhebende Gefühl auch nicht so selten wie mir ihr Schaffen und Streben
belohnte.

Ja, was ich für das Größte, das Wohlthuendste im Menschenleben hielt,
war mir nur selten zu Theil geworden, hatte dafür aber sich meinem ganzen
Wesen um so tiefer eingeprägt. Lebhaft gedachte ich jetzt des holden Mädchens
mit dem tiefen ernsten Blick, das oft von den spielenden Gefährten und Ge.
fährtinnen weg zu dem einsam abseits stehenden Knaben hinüberschaute, sogar
bemüht war, ihn in den Kreis der Fröhlichen einzuführen. Sie bekam wenig
Dank dafür. Aber wohl hat es mir doch immer gethan, und ihr Haus war
mir das liebste im ganzen Dorf und dasjenige, welches ich später am häufigsten
betrat, in dem ich am längsten verweilte, um mit — ihren Brüdern dem Zim¬
mermann und dem Schreiner in freien Stunden zu plaudern und zu lesen.
Das Mädchen war älter als ich, fast nur durch ihm geliehene Bücher und be¬
sonders durch leise angestrichene Stellen wagte ich mit ihr zu reden, und jedes
ihrer Worte war mir beinahe das. was dem Pfarrer zu seiner Predigt der
Text ist. Das Mädchen wurde immer ernster, immer blässer, seine Aussprüche
hatten mehr und mehr etwas Prophetisches, Heiliges, und mir war es, als ob
ich ein Götterbild auf die Gasse werfen sähe, als ich die Leute sich erzählen
hörte, daß die beiden jungen Leutchen eben verliebt seien und ihre einfältige
Leserei nun sie zusammenbringen müsse, wie andere das Tanzen oder etwas
Anderes. Ich sah die Gute krank und ich litt mit ihr. hatte dabei aber stets
das Gefühl, daß sie wirklich zu gut sei für diese Welt und die Hoffnung, daß
auch ich ihr bald nachfolgen werde ins Land der Ruhe. Starr und stumm,
nichts mehr hoffend und nichts mehr fürchtend, hörte ich drei Wochen später
die Todtenglocke läuten. Kein warmer Strahl schmolz auch nur eine einzige Thräne
von meinem Schmerz hinweg, bis ich das liebe Antlitz mit der schönen Stirne
und den blassen Wangen noch einmal, zum letzten Male lächeln sah. wie es
nur selten gelächelt hatte. Jetzt konnte ich weinen und nie mehr hab ich diesen
Augenblick vergessen.

Nun war ich wieder ganz allein mit meiner Mutter, die alle gegen den
immer sonderbarer werdenden Sonderling aufredeten. Ich bedauerte sie wie
mich selbst. Weder am Arbeiten, noch auch am Lesen und Lernen hatte ich
jetzt eine rechte Freude. Was ich immer anfing, galt mir selbst nur für einen
Versuch sich die Zeit zu verkürzen, und die so öde Wegstrecke bis zum Grabe
ein wenig zu beleben. Und in dieser Zeit wurde ich ziemlich weit herum als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/502>, abgerufen am 03.07.2024.