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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Schranke, welche das Blutregiment 1849 zwischen dem ungarischen Volte und
dem östreichischen Regierungssystem aufgerichtet hatte, würde das alte Landes¬
recht doch schließlich ersterben sein. Die Erinnerung an die Männer, welche
für die Königsidee ihr Leben, ihre Freiheit hingegeben hatten, machte die Ungarn
jedem Compromisse unzugänglich, den bloßen Gedanken an eine Einigung mit
Oestreich unmöglich. Kein Ungar überlegte, kein Ungar prüfte die Vortheile oder
Nachtheile einer solchen engeren Verbindung mit dem Gesammtstaate, für ihn
gab es nur ein schweres Unrecht, das gesühnt, ein heiliges Recht, das wieder
hergestellt wurde. Alle Institute und Einrichtungen, selbst wenn sie sachlich
besser waren als frühere Zustände, waren für ihn, sobald sie von Oestreich
stammten, nicht vorhanden. Sogar die Bäume, welche während des östreichi¬
schen Interregnums auf öden Strecken waren gepflanzt worden, wurden er¬
barmungslos wieder aus der Erde gerissen, als die östreichischen Machthaber das
Land verließen. Der Ungar ertrug mit äußerer Resignation alle Gewaltthaten,
er hörte nicht auf freundliche Lockungen. Mu possumus, lautete immer und
immer wieder die Antwort, die er den östreichischen Ministern ertheilte. Er
duldete und wartete,- bis der brutale Feind, der früher so trotzige Gegner sich in
einen hilflos Flehenden verwandelte, selbst darbot, was er vorher mit Entrüstung
von sich gewiesen hatte.

Man darf wohl den Ungarn die jubelnde Freude über ihren glänzenden
Triumph gönnen, darf nicht tadeln den Stolz, mit welchem sie von der Tüchtig¬
keit ihres Volksstammes, von der Weisheit ihrer Führer rühmend sprechen,
muß sogar die Ueberhebung gegen ihren Nachbarn, ihre geringschätzige Mei¬
nung von den Deutschöstreichern entschuldigen, die nicht nur unfähig waren,
eine bereits erworbene Macht sicher zu bewahren, sondern mitunter auch nicht
einmal die Scham besitzen, ihren Irrthum und ihre Schwäche einzugestehen, die
mitjubeln, als hätten sie das größte Verdienst um die Wiederherstellung der
ungarischen Verfassung sich erworben, während sie doch lange Jahre hindurch
nur Verachtung des ungarischen Sonderrechtes äußerten, die magyarischen An¬
sprüche als eine Thorheit, als eine lächerliche Anmaßung behandelten. Der
Triumph der ungarischen Sache erweckt auch bei Fernstehenden die Empfindung
ungeheuchelter Freude. Selten nur wird uns heutzutage die Genugthuung be¬
reitet, ein Volksrecht rein und vollkommen im Siege zu erblicken, selten gewahren
wir ein Volk so fest und beharrlich, und dabei doch auch so klug und gewandt,
wie sich der Magyarenstamm in den letzten Jahren bewährt hat. selten ist auch
eine gute Sache mit so guten Mitteln ausgefochten worden, wie dies in Ungarn
geschah. Der Sieg der Ungarn ist ein Sieg der Politischen Sittlichkeit und
schon aus dem Grunde den erfreulichsten Ereignissen des Jahrhunderts
beizuzählen.

Wenn alle Ungarn gegründeten Anlaß zu einem stolzen selbstbewußten Auf-


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Schranke, welche das Blutregiment 1849 zwischen dem ungarischen Volte und
dem östreichischen Regierungssystem aufgerichtet hatte, würde das alte Landes¬
recht doch schließlich ersterben sein. Die Erinnerung an die Männer, welche
für die Königsidee ihr Leben, ihre Freiheit hingegeben hatten, machte die Ungarn
jedem Compromisse unzugänglich, den bloßen Gedanken an eine Einigung mit
Oestreich unmöglich. Kein Ungar überlegte, kein Ungar prüfte die Vortheile oder
Nachtheile einer solchen engeren Verbindung mit dem Gesammtstaate, für ihn
gab es nur ein schweres Unrecht, das gesühnt, ein heiliges Recht, das wieder
hergestellt wurde. Alle Institute und Einrichtungen, selbst wenn sie sachlich
besser waren als frühere Zustände, waren für ihn, sobald sie von Oestreich
stammten, nicht vorhanden. Sogar die Bäume, welche während des östreichi¬
schen Interregnums auf öden Strecken waren gepflanzt worden, wurden er¬
barmungslos wieder aus der Erde gerissen, als die östreichischen Machthaber das
Land verließen. Der Ungar ertrug mit äußerer Resignation alle Gewaltthaten,
er hörte nicht auf freundliche Lockungen. Mu possumus, lautete immer und
immer wieder die Antwort, die er den östreichischen Ministern ertheilte. Er
duldete und wartete,- bis der brutale Feind, der früher so trotzige Gegner sich in
einen hilflos Flehenden verwandelte, selbst darbot, was er vorher mit Entrüstung
von sich gewiesen hatte.

Man darf wohl den Ungarn die jubelnde Freude über ihren glänzenden
Triumph gönnen, darf nicht tadeln den Stolz, mit welchem sie von der Tüchtig¬
keit ihres Volksstammes, von der Weisheit ihrer Führer rühmend sprechen,
muß sogar die Ueberhebung gegen ihren Nachbarn, ihre geringschätzige Mei¬
nung von den Deutschöstreichern entschuldigen, die nicht nur unfähig waren,
eine bereits erworbene Macht sicher zu bewahren, sondern mitunter auch nicht
einmal die Scham besitzen, ihren Irrthum und ihre Schwäche einzugestehen, die
mitjubeln, als hätten sie das größte Verdienst um die Wiederherstellung der
ungarischen Verfassung sich erworben, während sie doch lange Jahre hindurch
nur Verachtung des ungarischen Sonderrechtes äußerten, die magyarischen An¬
sprüche als eine Thorheit, als eine lächerliche Anmaßung behandelten. Der
Triumph der ungarischen Sache erweckt auch bei Fernstehenden die Empfindung
ungeheuchelter Freude. Selten nur wird uns heutzutage die Genugthuung be¬
reitet, ein Volksrecht rein und vollkommen im Siege zu erblicken, selten gewahren
wir ein Volk so fest und beharrlich, und dabei doch auch so klug und gewandt,
wie sich der Magyarenstamm in den letzten Jahren bewährt hat. selten ist auch
eine gute Sache mit so guten Mitteln ausgefochten worden, wie dies in Ungarn
geschah. Der Sieg der Ungarn ist ein Sieg der Politischen Sittlichkeit und
schon aus dem Grunde den erfreulichsten Ereignissen des Jahrhunderts
beizuzählen.

Wenn alle Ungarn gegründeten Anlaß zu einem stolzen selbstbewußten Auf-


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[0491] Schranke, welche das Blutregiment 1849 zwischen dem ungarischen Volte und dem östreichischen Regierungssystem aufgerichtet hatte, würde das alte Landes¬ recht doch schließlich ersterben sein. Die Erinnerung an die Männer, welche für die Königsidee ihr Leben, ihre Freiheit hingegeben hatten, machte die Ungarn jedem Compromisse unzugänglich, den bloßen Gedanken an eine Einigung mit Oestreich unmöglich. Kein Ungar überlegte, kein Ungar prüfte die Vortheile oder Nachtheile einer solchen engeren Verbindung mit dem Gesammtstaate, für ihn gab es nur ein schweres Unrecht, das gesühnt, ein heiliges Recht, das wieder hergestellt wurde. Alle Institute und Einrichtungen, selbst wenn sie sachlich besser waren als frühere Zustände, waren für ihn, sobald sie von Oestreich stammten, nicht vorhanden. Sogar die Bäume, welche während des östreichi¬ schen Interregnums auf öden Strecken waren gepflanzt worden, wurden er¬ barmungslos wieder aus der Erde gerissen, als die östreichischen Machthaber das Land verließen. Der Ungar ertrug mit äußerer Resignation alle Gewaltthaten, er hörte nicht auf freundliche Lockungen. Mu possumus, lautete immer und immer wieder die Antwort, die er den östreichischen Ministern ertheilte. Er duldete und wartete,- bis der brutale Feind, der früher so trotzige Gegner sich in einen hilflos Flehenden verwandelte, selbst darbot, was er vorher mit Entrüstung von sich gewiesen hatte. Man darf wohl den Ungarn die jubelnde Freude über ihren glänzenden Triumph gönnen, darf nicht tadeln den Stolz, mit welchem sie von der Tüchtig¬ keit ihres Volksstammes, von der Weisheit ihrer Führer rühmend sprechen, muß sogar die Ueberhebung gegen ihren Nachbarn, ihre geringschätzige Mei¬ nung von den Deutschöstreichern entschuldigen, die nicht nur unfähig waren, eine bereits erworbene Macht sicher zu bewahren, sondern mitunter auch nicht einmal die Scham besitzen, ihren Irrthum und ihre Schwäche einzugestehen, die mitjubeln, als hätten sie das größte Verdienst um die Wiederherstellung der ungarischen Verfassung sich erworben, während sie doch lange Jahre hindurch nur Verachtung des ungarischen Sonderrechtes äußerten, die magyarischen An¬ sprüche als eine Thorheit, als eine lächerliche Anmaßung behandelten. Der Triumph der ungarischen Sache erweckt auch bei Fernstehenden die Empfindung ungeheuchelter Freude. Selten nur wird uns heutzutage die Genugthuung be¬ reitet, ein Volksrecht rein und vollkommen im Siege zu erblicken, selten gewahren wir ein Volk so fest und beharrlich, und dabei doch auch so klug und gewandt, wie sich der Magyarenstamm in den letzten Jahren bewährt hat. selten ist auch eine gute Sache mit so guten Mitteln ausgefochten worden, wie dies in Ungarn geschah. Der Sieg der Ungarn ist ein Sieg der Politischen Sittlichkeit und schon aus dem Grunde den erfreulichsten Ereignissen des Jahrhunderts beizuzählen. Wenn alle Ungarn gegründeten Anlaß zu einem stolzen selbstbewußten Auf- 62*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/491>, abgerufen am 22.07.2024.