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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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zusammengefaßt. Dies hat noch am meisten Aehnlichkeit mit dem continentalen
Ausgabebudget, allein es enthält eben nur die vom Parlament für das Jahr
verwilligten, nicht die auf dauernden Gesetzen beruhenden.

Fünftens. Die vom Parlament bewilligten jäh runden Einnahmen und
Ausgaben werden, wie wir sahen, durch verschiedene Gesetze festgestellt. Es
ist aber besonders wichtig, klar zu machen, welche Bedeutung diese Gesetzesform
gegenüber dem Bewilligungsrecht des Parlaments in England hat.

Der berühmte Artikel 99 der preußischen Verfassung besagt: "Alle Ein¬
nahmen und Ausgaben des Staates müssen.... auf den Staatshaushaltsetat
gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt." Zu einem
"Gesetz" aber gehört nach Artikel 62 "die Uebereinstimmung des Königs und
beider Kammern". Da nun diese weise preußische Verfassung zwischen dem
Etatgesetz und anderen Gesetzen leinen anderen Unterschied macht, als daß das
Etatgesetz jährlich zu Stande kommen muß und vom Herrenhaus nur im
Ganzen angenommen oder abgelehnt werden kann, was von keinem anderen
Gesetze gilt, so folgt, daß zu den Posten des Etats dieselbe Art der Ueberein¬
stimmung erforderlich ist als bei den anderen Gesetzen, also völlige Ueberein¬
stimmung des Willens der---Factoren. Daraus folgt wieder, daß nie ein
Etatgesetz zu Stande kommen kann, wenn nicht entweder die zweite Kammer
die von der Regierung geforderten Sätze bewilligt, oder die Negierung die von
der Kammer bewilligten annimmt. Fordert die Regierung 40 und die Kammer
will nur 30 gewähren, so fehlt die Uebereinstimmung und es kann folglich kein
Etatgesetz zu Stande kommen. Gneist hat zwar im Abgeordnetenhause wieder¬
holt die Theorie aufgestellt, in solchem Falle sei eine Uebereinstimmung über
30 vorhanden, denn die Gesetze der Arithmetik kennten keine andere Ueberein¬
stimmung verschiedener Zahlen als im Minus. Man erstaunt, wie ein so
scharfsinniger Mann sich selbst mit einem solchen Sophismus täuschen kann.
Freilich die beiden Zahlen 30 und 40 stimmen in 30 Einheiten überein. Aber
wenn Einer 40 fordert, ein Anderer nur 30 zugesteht, so stimmen die Willen
der beiden Personen über das Object eben nicht überein. Mit Recht hat man
Gneist gefragt, ob etwa wenn Einer ein Darlehn von 100 fordert, der Andere
60 leihen zu wollen erklärt, dann Willensübereinstimmung, d. h. ein Darlehns-
vertrag über 60 vorhanden sei? Bedarf es also zur Feststellung der Einnahmen
und Ausgaben derselben Uebereinstimmung der Factoren wie zu einem Gesetz,
ist der Etat ein Gesetz in diesem Sinne, so folgt mit Nothwendigkeit, daß die
Volksvertretung gegenüber einer fest auf ihrem Sinne bestehenden Regierung
nur folgende Alternative hat: entweder konsequente Bewilligung aller Anforde¬
rungen der Regierung oder budgetloser Zustand.

Dabei ist nicht zu übersehen, das, de, gewöhnliche Inhalt eines Etats von
dem Inhalt eines gewöhnlichen Gesetzes völlig ve>schieden ist. Ein gewöhn-


zusammengefaßt. Dies hat noch am meisten Aehnlichkeit mit dem continentalen
Ausgabebudget, allein es enthält eben nur die vom Parlament für das Jahr
verwilligten, nicht die auf dauernden Gesetzen beruhenden.

Fünftens. Die vom Parlament bewilligten jäh runden Einnahmen und
Ausgaben werden, wie wir sahen, durch verschiedene Gesetze festgestellt. Es
ist aber besonders wichtig, klar zu machen, welche Bedeutung diese Gesetzesform
gegenüber dem Bewilligungsrecht des Parlaments in England hat.

Der berühmte Artikel 99 der preußischen Verfassung besagt: „Alle Ein¬
nahmen und Ausgaben des Staates müssen.... auf den Staatshaushaltsetat
gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt." Zu einem
„Gesetz" aber gehört nach Artikel 62 „die Uebereinstimmung des Königs und
beider Kammern". Da nun diese weise preußische Verfassung zwischen dem
Etatgesetz und anderen Gesetzen leinen anderen Unterschied macht, als daß das
Etatgesetz jährlich zu Stande kommen muß und vom Herrenhaus nur im
Ganzen angenommen oder abgelehnt werden kann, was von keinem anderen
Gesetze gilt, so folgt, daß zu den Posten des Etats dieselbe Art der Ueberein¬
stimmung erforderlich ist als bei den anderen Gesetzen, also völlige Ueberein¬
stimmung des Willens der---Factoren. Daraus folgt wieder, daß nie ein
Etatgesetz zu Stande kommen kann, wenn nicht entweder die zweite Kammer
die von der Regierung geforderten Sätze bewilligt, oder die Negierung die von
der Kammer bewilligten annimmt. Fordert die Regierung 40 und die Kammer
will nur 30 gewähren, so fehlt die Uebereinstimmung und es kann folglich kein
Etatgesetz zu Stande kommen. Gneist hat zwar im Abgeordnetenhause wieder¬
holt die Theorie aufgestellt, in solchem Falle sei eine Uebereinstimmung über
30 vorhanden, denn die Gesetze der Arithmetik kennten keine andere Ueberein¬
stimmung verschiedener Zahlen als im Minus. Man erstaunt, wie ein so
scharfsinniger Mann sich selbst mit einem solchen Sophismus täuschen kann.
Freilich die beiden Zahlen 30 und 40 stimmen in 30 Einheiten überein. Aber
wenn Einer 40 fordert, ein Anderer nur 30 zugesteht, so stimmen die Willen
der beiden Personen über das Object eben nicht überein. Mit Recht hat man
Gneist gefragt, ob etwa wenn Einer ein Darlehn von 100 fordert, der Andere
60 leihen zu wollen erklärt, dann Willensübereinstimmung, d. h. ein Darlehns-
vertrag über 60 vorhanden sei? Bedarf es also zur Feststellung der Einnahmen
und Ausgaben derselben Uebereinstimmung der Factoren wie zu einem Gesetz,
ist der Etat ein Gesetz in diesem Sinne, so folgt mit Nothwendigkeit, daß die
Volksvertretung gegenüber einer fest auf ihrem Sinne bestehenden Regierung
nur folgende Alternative hat: entweder konsequente Bewilligung aller Anforde¬
rungen der Regierung oder budgetloser Zustand.

Dabei ist nicht zu übersehen, das, de, gewöhnliche Inhalt eines Etats von
dem Inhalt eines gewöhnlichen Gesetzes völlig ve>schieden ist. Ein gewöhn-


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[0048] zusammengefaßt. Dies hat noch am meisten Aehnlichkeit mit dem continentalen Ausgabebudget, allein es enthält eben nur die vom Parlament für das Jahr verwilligten, nicht die auf dauernden Gesetzen beruhenden. Fünftens. Die vom Parlament bewilligten jäh runden Einnahmen und Ausgaben werden, wie wir sahen, durch verschiedene Gesetze festgestellt. Es ist aber besonders wichtig, klar zu machen, welche Bedeutung diese Gesetzesform gegenüber dem Bewilligungsrecht des Parlaments in England hat. Der berühmte Artikel 99 der preußischen Verfassung besagt: „Alle Ein¬ nahmen und Ausgaben des Staates müssen.... auf den Staatshaushaltsetat gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt." Zu einem „Gesetz" aber gehört nach Artikel 62 „die Uebereinstimmung des Königs und beider Kammern". Da nun diese weise preußische Verfassung zwischen dem Etatgesetz und anderen Gesetzen leinen anderen Unterschied macht, als daß das Etatgesetz jährlich zu Stande kommen muß und vom Herrenhaus nur im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden kann, was von keinem anderen Gesetze gilt, so folgt, daß zu den Posten des Etats dieselbe Art der Ueberein¬ stimmung erforderlich ist als bei den anderen Gesetzen, also völlige Ueberein¬ stimmung des Willens der---Factoren. Daraus folgt wieder, daß nie ein Etatgesetz zu Stande kommen kann, wenn nicht entweder die zweite Kammer die von der Regierung geforderten Sätze bewilligt, oder die Negierung die von der Kammer bewilligten annimmt. Fordert die Regierung 40 und die Kammer will nur 30 gewähren, so fehlt die Uebereinstimmung und es kann folglich kein Etatgesetz zu Stande kommen. Gneist hat zwar im Abgeordnetenhause wieder¬ holt die Theorie aufgestellt, in solchem Falle sei eine Uebereinstimmung über 30 vorhanden, denn die Gesetze der Arithmetik kennten keine andere Ueberein¬ stimmung verschiedener Zahlen als im Minus. Man erstaunt, wie ein so scharfsinniger Mann sich selbst mit einem solchen Sophismus täuschen kann. Freilich die beiden Zahlen 30 und 40 stimmen in 30 Einheiten überein. Aber wenn Einer 40 fordert, ein Anderer nur 30 zugesteht, so stimmen die Willen der beiden Personen über das Object eben nicht überein. Mit Recht hat man Gneist gefragt, ob etwa wenn Einer ein Darlehn von 100 fordert, der Andere 60 leihen zu wollen erklärt, dann Willensübereinstimmung, d. h. ein Darlehns- vertrag über 60 vorhanden sei? Bedarf es also zur Feststellung der Einnahmen und Ausgaben derselben Uebereinstimmung der Factoren wie zu einem Gesetz, ist der Etat ein Gesetz in diesem Sinne, so folgt mit Nothwendigkeit, daß die Volksvertretung gegenüber einer fest auf ihrem Sinne bestehenden Regierung nur folgende Alternative hat: entweder konsequente Bewilligung aller Anforde¬ rungen der Regierung oder budgetloser Zustand. Dabei ist nicht zu übersehen, das, de, gewöhnliche Inhalt eines Etats von dem Inhalt eines gewöhnlichen Gesetzes völlig ve>schieden ist. Ein gewöhn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/48>, abgerufen am 02.10.2024.