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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Warum schreiben jene Oestreicher ganz denselben zierlichen, bis auf die einzelnen
Redewendungen gleichen Stil wie diese Preußen?

Und was insbesondere den vormaligen preußischen Abgeordneten Herrn
Julius Frese anlangt, so erinnere ich mich, auf dem Abgeordnetentage zu Frank¬
furt a. M. am 20. Mai 1866 einen sehr lehrreichen Vortrag gehört zu haben,
welcher mit wahrhaft enthusiastischem Beifall aufgenommen wurde, namentlich
von Seiten desjenigen Publikums, das damals: "Krieg, Krieg und abermals
Krieg! Nieder mit den Preußen!" schrie und jetzt über die von den Preußen
eingeführte allgemeine Wehrpflicht so jämmerlich wehklagt. Dieser lehrreiche
Vortrag wurde damals in hunderttausend Exemplaren gedruckt und in jede Hütte
getragen durch unsere Austriacisfimi in Süddeutschland, welche weit schlimmer
waren, als die wirklichen Oestreicher, und die, wenn leptere gesiegt hätten, uns
"Feiglingen und Verräthern" (so hieß es damals im stylus euriae der öffent¬
lichen Meinung) übel mitgespielt haben würden. Denn die Proscriptionslisten
waren bereits gemacht. Da aber die Oestreicher nicht siegten, so verschwand im
Stillen einer nach dem andern jener Herren, um in Stuttgart, Bern, Genf,
Mailand wieder aufzutauchen, einer davon eilte sogar bis hinüber in das heiße
Afrika. Herr Dr. I. Frese, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, ging
nur bis Heidelberg, als "des Zebras freche Farben" auch bis dorthin vorgedrungen,
nach einer Zeitungsnachricht in den alleinseligmachenden Schoß der gemüthlichen
Kaiserstadt Wien. Damals aber, am 20. Mai 1866, donnerte dieser Herr
gegen das Großpreußenthum, gegen den officiellen Liberalismus, womit er
eingestandenermaßen die Fortschrittspartei in der preußischen zweiten Kammer
meinte, gegen den Doktrinarismus und gegen die Führer des Berlinismus,
wobei er Herrn Schulze-Delitsch einen nicht mißzuverstehender Seitenblick zuwarf.
Herr Frese forderte damals die Frankfurter (siehe den stenographischen Bericht;
Frankfurt, Boselli 1866) aus, sie möchten dadurch, daß sie dem Könige und der
Armee von Preußen den Krieg machten, dem preußischen Volke zu seinem Rechte
verhelfen; und die anwesenden Frankfurter in ihrer stürmischen Begeisterung
wären gern sofort seinem Worte nachgekommen. Aber sie konnten nicht. Sie hatten
nur ein einziges Bataillon freireichsstädtischer Prätorianer. Und dieses Bataillon
war sehr defect. Es zählte kaum dreihundert Mann; und auch diese Dreihundert
waren keine Spartaner, sondern Söldlinge aus der untersten Classe der bürger¬
lichen Gesellschaft, die der Senat in den benachbarten Dörfern des angrenzen¬
den deutschen (d. i. nicht-frankfurtischen) Auslandes für ein billiges Stück Geld
geworben hatte. Durch diese Verkettung verhängnißvoller Umstände kam es,
daß man außer Stande war, die preußische Armee niederzuschlagen, um die
Preußen von dem Schulze-Delitschschen Berlinismus zu befreien.

Denn in den Augen der sämmtlichen radikalen und volksvereinlichen Blätter
in Süd- und Mitteldeutschland, ja auch im preußischen Rheinland und West-


Warum schreiben jene Oestreicher ganz denselben zierlichen, bis auf die einzelnen
Redewendungen gleichen Stil wie diese Preußen?

Und was insbesondere den vormaligen preußischen Abgeordneten Herrn
Julius Frese anlangt, so erinnere ich mich, auf dem Abgeordnetentage zu Frank¬
furt a. M. am 20. Mai 1866 einen sehr lehrreichen Vortrag gehört zu haben,
welcher mit wahrhaft enthusiastischem Beifall aufgenommen wurde, namentlich
von Seiten desjenigen Publikums, das damals: „Krieg, Krieg und abermals
Krieg! Nieder mit den Preußen!" schrie und jetzt über die von den Preußen
eingeführte allgemeine Wehrpflicht so jämmerlich wehklagt. Dieser lehrreiche
Vortrag wurde damals in hunderttausend Exemplaren gedruckt und in jede Hütte
getragen durch unsere Austriacisfimi in Süddeutschland, welche weit schlimmer
waren, als die wirklichen Oestreicher, und die, wenn leptere gesiegt hätten, uns
„Feiglingen und Verräthern" (so hieß es damals im stylus euriae der öffent¬
lichen Meinung) übel mitgespielt haben würden. Denn die Proscriptionslisten
waren bereits gemacht. Da aber die Oestreicher nicht siegten, so verschwand im
Stillen einer nach dem andern jener Herren, um in Stuttgart, Bern, Genf,
Mailand wieder aufzutauchen, einer davon eilte sogar bis hinüber in das heiße
Afrika. Herr Dr. I. Frese, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, ging
nur bis Heidelberg, als „des Zebras freche Farben" auch bis dorthin vorgedrungen,
nach einer Zeitungsnachricht in den alleinseligmachenden Schoß der gemüthlichen
Kaiserstadt Wien. Damals aber, am 20. Mai 1866, donnerte dieser Herr
gegen das Großpreußenthum, gegen den officiellen Liberalismus, womit er
eingestandenermaßen die Fortschrittspartei in der preußischen zweiten Kammer
meinte, gegen den Doktrinarismus und gegen die Führer des Berlinismus,
wobei er Herrn Schulze-Delitsch einen nicht mißzuverstehender Seitenblick zuwarf.
Herr Frese forderte damals die Frankfurter (siehe den stenographischen Bericht;
Frankfurt, Boselli 1866) aus, sie möchten dadurch, daß sie dem Könige und der
Armee von Preußen den Krieg machten, dem preußischen Volke zu seinem Rechte
verhelfen; und die anwesenden Frankfurter in ihrer stürmischen Begeisterung
wären gern sofort seinem Worte nachgekommen. Aber sie konnten nicht. Sie hatten
nur ein einziges Bataillon freireichsstädtischer Prätorianer. Und dieses Bataillon
war sehr defect. Es zählte kaum dreihundert Mann; und auch diese Dreihundert
waren keine Spartaner, sondern Söldlinge aus der untersten Classe der bürger¬
lichen Gesellschaft, die der Senat in den benachbarten Dörfern des angrenzen¬
den deutschen (d. i. nicht-frankfurtischen) Auslandes für ein billiges Stück Geld
geworben hatte. Durch diese Verkettung verhängnißvoller Umstände kam es,
daß man außer Stande war, die preußische Armee niederzuschlagen, um die
Preußen von dem Schulze-Delitschschen Berlinismus zu befreien.

Denn in den Augen der sämmtlichen radikalen und volksvereinlichen Blätter
in Süd- und Mitteldeutschland, ja auch im preußischen Rheinland und West-


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[0470] Warum schreiben jene Oestreicher ganz denselben zierlichen, bis auf die einzelnen Redewendungen gleichen Stil wie diese Preußen? Und was insbesondere den vormaligen preußischen Abgeordneten Herrn Julius Frese anlangt, so erinnere ich mich, auf dem Abgeordnetentage zu Frank¬ furt a. M. am 20. Mai 1866 einen sehr lehrreichen Vortrag gehört zu haben, welcher mit wahrhaft enthusiastischem Beifall aufgenommen wurde, namentlich von Seiten desjenigen Publikums, das damals: „Krieg, Krieg und abermals Krieg! Nieder mit den Preußen!" schrie und jetzt über die von den Preußen eingeführte allgemeine Wehrpflicht so jämmerlich wehklagt. Dieser lehrreiche Vortrag wurde damals in hunderttausend Exemplaren gedruckt und in jede Hütte getragen durch unsere Austriacisfimi in Süddeutschland, welche weit schlimmer waren, als die wirklichen Oestreicher, und die, wenn leptere gesiegt hätten, uns „Feiglingen und Verräthern" (so hieß es damals im stylus euriae der öffent¬ lichen Meinung) übel mitgespielt haben würden. Denn die Proscriptionslisten waren bereits gemacht. Da aber die Oestreicher nicht siegten, so verschwand im Stillen einer nach dem andern jener Herren, um in Stuttgart, Bern, Genf, Mailand wieder aufzutauchen, einer davon eilte sogar bis hinüber in das heiße Afrika. Herr Dr. I. Frese, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, ging nur bis Heidelberg, als „des Zebras freche Farben" auch bis dorthin vorgedrungen, nach einer Zeitungsnachricht in den alleinseligmachenden Schoß der gemüthlichen Kaiserstadt Wien. Damals aber, am 20. Mai 1866, donnerte dieser Herr gegen das Großpreußenthum, gegen den officiellen Liberalismus, womit er eingestandenermaßen die Fortschrittspartei in der preußischen zweiten Kammer meinte, gegen den Doktrinarismus und gegen die Führer des Berlinismus, wobei er Herrn Schulze-Delitsch einen nicht mißzuverstehender Seitenblick zuwarf. Herr Frese forderte damals die Frankfurter (siehe den stenographischen Bericht; Frankfurt, Boselli 1866) aus, sie möchten dadurch, daß sie dem Könige und der Armee von Preußen den Krieg machten, dem preußischen Volke zu seinem Rechte verhelfen; und die anwesenden Frankfurter in ihrer stürmischen Begeisterung wären gern sofort seinem Worte nachgekommen. Aber sie konnten nicht. Sie hatten nur ein einziges Bataillon freireichsstädtischer Prätorianer. Und dieses Bataillon war sehr defect. Es zählte kaum dreihundert Mann; und auch diese Dreihundert waren keine Spartaner, sondern Söldlinge aus der untersten Classe der bürger¬ lichen Gesellschaft, die der Senat in den benachbarten Dörfern des angrenzen¬ den deutschen (d. i. nicht-frankfurtischen) Auslandes für ein billiges Stück Geld geworben hatte. Durch diese Verkettung verhängnißvoller Umstände kam es, daß man außer Stande war, die preußische Armee niederzuschlagen, um die Preußen von dem Schulze-Delitschschen Berlinismus zu befreien. Denn in den Augen der sämmtlichen radikalen und volksvereinlichen Blätter in Süd- und Mitteldeutschland, ja auch im preußischen Rheinland und West-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/470>, abgerufen am 22.07.2024.