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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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sich seit Jahrhunderten aller Selbständigkeit begeben und in die Ordnungen
höherer Cultur eingefügt haben, plötzlich auf die Urgeschichte zurückgreifen und
sich auf eine Raceneigenthümlichkeit besinnen, die thatsächlich längst unter¬
gegangen ist und durch den Apparat philologischer und archäologischer Unter¬
suchungen höchstens für einen Augenblick galvanisirt. aber nimmermehr neu be¬
lebt werden kann.

Die Geschichte dieser Versuche zur Neubelebung ausgelebter geschichtlicher
Bildungen ist allenthalben dieselbe: im Interesse wissenschaftlicher Forschung
wird mit der Sammlung harmloser Volkslieder, alter Manuscripte und Urkunden
begonnen, bis das philologische Interesse in ein politisches umschlägt und der
Eifer der Sammler sich zum Fanatismus fanatischer Propagandisten erhitzt. In
Bautzen freilich steht die Sache anders; da es hier keine anderen als deutsche
Repräsentanten der Bildung giebt und das Wendenthum nur noch die Bauern¬
eigenthümlichkeit einzelner Ortschaften repräsentirt. kann von einer Wiederbele¬
bung slawischen Lebens füglich nicht die Rede sein, trägt das panslawistische
Gebahren der Männer des Centralblatts von Hause aus den Charakter einer
deutschen Gelehrtenschrulle an sich, der allenfalls mercantiler Geschäftseifer zum
Sporn dienen mag. Wollten die Schmaler, Pech und Genossen sich damit
begnügen, die spärlichen Ueberbleibsel slawischen Culturlebens ihrer Heimath zu
registnren und der deutschen Gelehrtenwelt von der wissenschaftlichen Bewegung
in den slawischen Ländern Kunde zu geben, so könnte ihr Unternehmen nur als dan-
kenswerth bezeichnet werden, zumal Herr Schmaler toter, wie er sich mit seinem
Künstlernamen nennt. Herr SmolMr) ein wirklicher Gelehrter und namhafter Lin¬
guist ist. Als Vertreter einer panslawistischen Agitation, als Vorkämpfer des most.
Byzantinismus, den sie nur aus Büchern kennen und dessen Realitäten im Ernst mit
der sächsischen Gemüthlichkeit zu vertauschen schwerlich auch nur der jüngste unter
ihnen Willens sein dürfte, vollends als Theilnehmer eines Slawencongresses und
als Feinde derselben deutschen Bildung, welcher sie die Möglichkeit ihres ten¬
denziösen Gebahrens verdanken, unter deren Segnungen sie leben und wirken,
nehmen diese Herren sich aber unsäglich komisch aus. Kann es in der That
etwas Lächerlicheres geben, als in einer königl. sächsischen Provinzialstadt die
Urslawen zu spielen, in einer deutschen Zeitung alles deutsche Wesen zu be¬
kämpfen und inmitten einer pudeldeutschen und dazu sächsischen Realität von
der künftigen Herrlichkeit einer slawischen Universalmonarchie zu träumen, die
mit Hilfe socialistischer Ackervertheilungen die Welt erobern will! Die Unge-
fährlichkeit dieser Agitation überhebt uns der Mühe aller ernsthafterer Beschäf¬
tigung mit derselben. Von ihrer tumultuarischen Römerfahrt nach Moskau in
die friedliche Station der Spree zurückgekehrt, werden die himmelstürmenden
Smoljar und Duymann wieder zu harmlosen Schmalers und Deutschmanns,
die ruhig ihrem Gewerbe nachgehen und von den Schutzes und Müllers ihrer


sich seit Jahrhunderten aller Selbständigkeit begeben und in die Ordnungen
höherer Cultur eingefügt haben, plötzlich auf die Urgeschichte zurückgreifen und
sich auf eine Raceneigenthümlichkeit besinnen, die thatsächlich längst unter¬
gegangen ist und durch den Apparat philologischer und archäologischer Unter¬
suchungen höchstens für einen Augenblick galvanisirt. aber nimmermehr neu be¬
lebt werden kann.

Die Geschichte dieser Versuche zur Neubelebung ausgelebter geschichtlicher
Bildungen ist allenthalben dieselbe: im Interesse wissenschaftlicher Forschung
wird mit der Sammlung harmloser Volkslieder, alter Manuscripte und Urkunden
begonnen, bis das philologische Interesse in ein politisches umschlägt und der
Eifer der Sammler sich zum Fanatismus fanatischer Propagandisten erhitzt. In
Bautzen freilich steht die Sache anders; da es hier keine anderen als deutsche
Repräsentanten der Bildung giebt und das Wendenthum nur noch die Bauern¬
eigenthümlichkeit einzelner Ortschaften repräsentirt. kann von einer Wiederbele¬
bung slawischen Lebens füglich nicht die Rede sein, trägt das panslawistische
Gebahren der Männer des Centralblatts von Hause aus den Charakter einer
deutschen Gelehrtenschrulle an sich, der allenfalls mercantiler Geschäftseifer zum
Sporn dienen mag. Wollten die Schmaler, Pech und Genossen sich damit
begnügen, die spärlichen Ueberbleibsel slawischen Culturlebens ihrer Heimath zu
registnren und der deutschen Gelehrtenwelt von der wissenschaftlichen Bewegung
in den slawischen Ländern Kunde zu geben, so könnte ihr Unternehmen nur als dan-
kenswerth bezeichnet werden, zumal Herr Schmaler toter, wie er sich mit seinem
Künstlernamen nennt. Herr SmolMr) ein wirklicher Gelehrter und namhafter Lin¬
guist ist. Als Vertreter einer panslawistischen Agitation, als Vorkämpfer des most.
Byzantinismus, den sie nur aus Büchern kennen und dessen Realitäten im Ernst mit
der sächsischen Gemüthlichkeit zu vertauschen schwerlich auch nur der jüngste unter
ihnen Willens sein dürfte, vollends als Theilnehmer eines Slawencongresses und
als Feinde derselben deutschen Bildung, welcher sie die Möglichkeit ihres ten¬
denziösen Gebahrens verdanken, unter deren Segnungen sie leben und wirken,
nehmen diese Herren sich aber unsäglich komisch aus. Kann es in der That
etwas Lächerlicheres geben, als in einer königl. sächsischen Provinzialstadt die
Urslawen zu spielen, in einer deutschen Zeitung alles deutsche Wesen zu be¬
kämpfen und inmitten einer pudeldeutschen und dazu sächsischen Realität von
der künftigen Herrlichkeit einer slawischen Universalmonarchie zu träumen, die
mit Hilfe socialistischer Ackervertheilungen die Welt erobern will! Die Unge-
fährlichkeit dieser Agitation überhebt uns der Mühe aller ernsthafterer Beschäf¬
tigung mit derselben. Von ihrer tumultuarischen Römerfahrt nach Moskau in
die friedliche Station der Spree zurückgekehrt, werden die himmelstürmenden
Smoljar und Duymann wieder zu harmlosen Schmalers und Deutschmanns,
die ruhig ihrem Gewerbe nachgehen und von den Schutzes und Müllers ihrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/444>, abgerufen am 01.07.2024.