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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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den Verbessemngsanirägen im Ganzen kurzen Proceß macht. Es ist die deutsche
Gründlichkeit eine schöne Sache, aber sie droht dem Verfassungswerk zahlreiche
Steine in den Weg zu legen.

Wer den Verlauf der bisherigen Plenarsitzungen beurtheilt, wird zuerst
den Schwierigkeiten Rechnung tragen, welche die zu schnell adoptirte preußische
Geschäftsordnung grade der Berathung eines Verfassungsentwurfs bereitet. Sie
ist ein möglichst schwerfälliges und ungeschicktes Instrument durch ihre Redner¬
liste, durch die Erörterung über Geschäftsordnung und die persönlichen Bemer¬
kungen, welche sie gestattet. Was im preußischen Landtage so oft peinlich war,
wird auch dem Reichstage nicht erspart, daß angesehene Habitues des preußi-
schen Abgeordnetenhauses während der Sitzungen über die Geschäftsordnung
gegen einander disputiren und daß am Ende einer bewegten Sitzung heftige
persönliche Erörterungen zu kleinlichen Gezänk ausarten. Diese Uebelstände
bereiten unvermeidlich öde Stunden. Aber trotzdem hat fast jeder Tag seine
glänzenden Momente gehabt, und bereits hat eine Anzahl der Redner die
wärmste Theilnahme des Publikums gewonnen. Unläugbar hat niemand die
Gunst seiner Stellung und sein großes Talent für lichtvolle Darstellung so gut
verwendet als der preußische Ministerpräsident. Er spricht von seinem Platze,
welcher in dem Plane des hirthschcn Parlamcntsalmanachs mit klein s, beziffert
ist, oft und, wie man annehmen möchte, gern, hat auch den Polen gegenüber
sogar mit einem historischen Vortrage erfolgreich debutirt. Er und seine preu¬
ßischen Kollegen, aber auch der Hof. sind gegen die Mitglieder des Reichstags
artig und zuvorkommend. Und es wird nicht an ihrer persönlichen Haltung
liegen, wenn die Beendigung noch auf Schwierigkeiten stößt.

Die Schwierigkeit der Vereinbarung liegt aber durchaus nicht in dem
Mangel an gutem Willen der Majorität und besonders der nationalen Partei,
welche jetzt wohl achtzig Mitglieder zählt und einen großen Theil der Intelligenz
und technischen Bildung des Reichstags in sich vereinigt. Sie liegt vielmehr
in dem urdeutschen Bestreben, alles was man anfaßt möglichst sorgfältig und
gut zu machen. Nun aber ist der Verfassungsentwurf ein Document, welches
in konstitutionellem Sinn gut zu machen ganz unmöglich ist. Sein Werth
und seine Bedeutung für unsere Zukunft sind vielmehr, daß er eine Formuli-
rung geschlossener Verträge und ein originelles Product mühevoller Kompro¬
misse zwischen souveränen Staaten, wie ähnlicher Kompromisse zwischen den
Leitern des preußischen Staates selbst ist. Durch die Annahme desselben soll
vor allem constatirt werden, daß eine neue Basis für eine einheitliche Entwick¬
lung deutscher Kraft gewonnen ist. Es ist allerdings mißlich, daß er nach ein¬
zelnen Richtungen diese Grundlagen selbst fixirt, nach andern vieles unbestimmt
der Zukunft überläßt. Aber es ist doch noch mißlicher, wenn die liberalen
Fractionen diese Grundlagen weiter führen und im Interesse freiheitlicher Ent-


den Verbessemngsanirägen im Ganzen kurzen Proceß macht. Es ist die deutsche
Gründlichkeit eine schöne Sache, aber sie droht dem Verfassungswerk zahlreiche
Steine in den Weg zu legen.

Wer den Verlauf der bisherigen Plenarsitzungen beurtheilt, wird zuerst
den Schwierigkeiten Rechnung tragen, welche die zu schnell adoptirte preußische
Geschäftsordnung grade der Berathung eines Verfassungsentwurfs bereitet. Sie
ist ein möglichst schwerfälliges und ungeschicktes Instrument durch ihre Redner¬
liste, durch die Erörterung über Geschäftsordnung und die persönlichen Bemer¬
kungen, welche sie gestattet. Was im preußischen Landtage so oft peinlich war,
wird auch dem Reichstage nicht erspart, daß angesehene Habitues des preußi-
schen Abgeordnetenhauses während der Sitzungen über die Geschäftsordnung
gegen einander disputiren und daß am Ende einer bewegten Sitzung heftige
persönliche Erörterungen zu kleinlichen Gezänk ausarten. Diese Uebelstände
bereiten unvermeidlich öde Stunden. Aber trotzdem hat fast jeder Tag seine
glänzenden Momente gehabt, und bereits hat eine Anzahl der Redner die
wärmste Theilnahme des Publikums gewonnen. Unläugbar hat niemand die
Gunst seiner Stellung und sein großes Talent für lichtvolle Darstellung so gut
verwendet als der preußische Ministerpräsident. Er spricht von seinem Platze,
welcher in dem Plane des hirthschcn Parlamcntsalmanachs mit klein s, beziffert
ist, oft und, wie man annehmen möchte, gern, hat auch den Polen gegenüber
sogar mit einem historischen Vortrage erfolgreich debutirt. Er und seine preu¬
ßischen Kollegen, aber auch der Hof. sind gegen die Mitglieder des Reichstags
artig und zuvorkommend. Und es wird nicht an ihrer persönlichen Haltung
liegen, wenn die Beendigung noch auf Schwierigkeiten stößt.

Die Schwierigkeit der Vereinbarung liegt aber durchaus nicht in dem
Mangel an gutem Willen der Majorität und besonders der nationalen Partei,
welche jetzt wohl achtzig Mitglieder zählt und einen großen Theil der Intelligenz
und technischen Bildung des Reichstags in sich vereinigt. Sie liegt vielmehr
in dem urdeutschen Bestreben, alles was man anfaßt möglichst sorgfältig und
gut zu machen. Nun aber ist der Verfassungsentwurf ein Document, welches
in konstitutionellem Sinn gut zu machen ganz unmöglich ist. Sein Werth
und seine Bedeutung für unsere Zukunft sind vielmehr, daß er eine Formuli-
rung geschlossener Verträge und ein originelles Product mühevoller Kompro¬
misse zwischen souveränen Staaten, wie ähnlicher Kompromisse zwischen den
Leitern des preußischen Staates selbst ist. Durch die Annahme desselben soll
vor allem constatirt werden, daß eine neue Basis für eine einheitliche Entwick¬
lung deutscher Kraft gewonnen ist. Es ist allerdings mißlich, daß er nach ein¬
zelnen Richtungen diese Grundlagen selbst fixirt, nach andern vieles unbestimmt
der Zukunft überläßt. Aber es ist doch noch mißlicher, wenn die liberalen
Fractionen diese Grundlagen weiter führen und im Interesse freiheitlicher Ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/42>, abgerufen am 01.07.2024.