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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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vermittelst starke Pressuren deren Kündigung erzwänge, um Regierungen und Be¬
völkerungen durch Entziehung der Lebensluft zu höchst Unwillkommenem zu
nöthigen. Denn in der zunächst folgenden Periode des Unwillens gegen
Preußen und des rathlosen Durcheinanders der Parteien würden die Regie¬
rungen auch bei der eigenen Bevölkerung Unterstützung finden, wenn sie das
Aeußerste für ihre Souveränetät wagten, offenen Widerstand im Bunde mit
intriguirenden Nachbarn.

Ja schon jetzt stützt sich der particularistische Widerstand im Süden doch auf
die Annahme, daß Frankreich und Oestreich einem Zwange, der durch den
Nordbund den Südstaaten zugemuthet wird, bewaffnetes Bündniß entgegen¬
setzen würden. Daß diese Annahme kein Trugbild ist. haben die letzten Wochen
gelehrt. Weder Frankreich noch Oestreich werden einem durch die Völker des
deutschen Südens geforderten, durch ihre Regierungen pactirten Eintritt in den
Bund andere Opposition machen, als daß sie an den betreffenden Höfen alles
aufbieten, um den bevorstehenden Abschluß zu hindern, und daß sie ihr äußerstes
Mißfallen über eine selbstmörderische Politik ausdrücken. Aber jeder Zwanz.
der vom deutschen Norden geübt wird und jeder Hilferuf der süddeutschen Ca-
binete mag für eine Allianz zwischen Wien und Paris willkommene oder unwill¬
kommene Veranlassung werden.

Die Axiome, welche das officielle Preußen seit dem Sommer 1866 in Be¬
treff der Mainlinie aussprach, haben sich zur Zeit nicht bewährt. Zuerst wurden
die nikolsburger Verträge und die Mainlinie nicht aus dem aufgelegten äußern
Zwang, sondern aus Gründen innerer Zweckmäßigkeit vertheidigt. Wir wollten
uns erst nördlich vom Main organisiren. Das hätte die höchste Berechtigung
gehabt, wenn es möglich gewesen wäre, das deutsche Gebiet im Süden des
Mains bis nach vollendeter Organisation des Nordens vom Ausland gänzlich
zu isoliren. Aber die Erfahrung weniger Monate hat gelehrt, daß man den
Süden, gleichviel ob er in oder außerhalb des Bundes steht, als deutsches
Gebiet mit den Waffen vertheidigen Muß. und ferner, daß derselbe durch eigene
Kraft nimmermehr eine militärische Widerstandsfähigkeit zu erlangen Hoffnung
giebt und daß jeder Monat, der seine Einfügung in die Heeresordnung deS
deutschen Bundes verzögert, für ihn und uns vom Uebel ist.

Man hatte preußischer Seits zu viel auf die Fähigkeit der süddeutschen
Staaten gerechnet, sich unter einander zu verbinden und man scheint sich in allem
Ernst mit der Hoffnung getragen zu haben, daß ein süddeutscher Bund, schwach,
uneinig und durch sein Parlament gedrängt, sich sofort der norddeutschen Con-
föderativ" anschließen würde. Aber dieser Südbund wollte durchaus nicht zu
Stande kommen.

Und es war wieder ein Irrthum, als man während des Reichstags in
Berlin annahm und d.urch die officiöse Presse verkündigte, dem Eintritt der


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vermittelst starke Pressuren deren Kündigung erzwänge, um Regierungen und Be¬
völkerungen durch Entziehung der Lebensluft zu höchst Unwillkommenem zu
nöthigen. Denn in der zunächst folgenden Periode des Unwillens gegen
Preußen und des rathlosen Durcheinanders der Parteien würden die Regie¬
rungen auch bei der eigenen Bevölkerung Unterstützung finden, wenn sie das
Aeußerste für ihre Souveränetät wagten, offenen Widerstand im Bunde mit
intriguirenden Nachbarn.

Ja schon jetzt stützt sich der particularistische Widerstand im Süden doch auf
die Annahme, daß Frankreich und Oestreich einem Zwange, der durch den
Nordbund den Südstaaten zugemuthet wird, bewaffnetes Bündniß entgegen¬
setzen würden. Daß diese Annahme kein Trugbild ist. haben die letzten Wochen
gelehrt. Weder Frankreich noch Oestreich werden einem durch die Völker des
deutschen Südens geforderten, durch ihre Regierungen pactirten Eintritt in den
Bund andere Opposition machen, als daß sie an den betreffenden Höfen alles
aufbieten, um den bevorstehenden Abschluß zu hindern, und daß sie ihr äußerstes
Mißfallen über eine selbstmörderische Politik ausdrücken. Aber jeder Zwanz.
der vom deutschen Norden geübt wird und jeder Hilferuf der süddeutschen Ca-
binete mag für eine Allianz zwischen Wien und Paris willkommene oder unwill¬
kommene Veranlassung werden.

Die Axiome, welche das officielle Preußen seit dem Sommer 1866 in Be¬
treff der Mainlinie aussprach, haben sich zur Zeit nicht bewährt. Zuerst wurden
die nikolsburger Verträge und die Mainlinie nicht aus dem aufgelegten äußern
Zwang, sondern aus Gründen innerer Zweckmäßigkeit vertheidigt. Wir wollten
uns erst nördlich vom Main organisiren. Das hätte die höchste Berechtigung
gehabt, wenn es möglich gewesen wäre, das deutsche Gebiet im Süden des
Mains bis nach vollendeter Organisation des Nordens vom Ausland gänzlich
zu isoliren. Aber die Erfahrung weniger Monate hat gelehrt, daß man den
Süden, gleichviel ob er in oder außerhalb des Bundes steht, als deutsches
Gebiet mit den Waffen vertheidigen Muß. und ferner, daß derselbe durch eigene
Kraft nimmermehr eine militärische Widerstandsfähigkeit zu erlangen Hoffnung
giebt und daß jeder Monat, der seine Einfügung in die Heeresordnung deS
deutschen Bundes verzögert, für ihn und uns vom Uebel ist.

Man hatte preußischer Seits zu viel auf die Fähigkeit der süddeutschen
Staaten gerechnet, sich unter einander zu verbinden und man scheint sich in allem
Ernst mit der Hoffnung getragen zu haben, daß ein süddeutscher Bund, schwach,
uneinig und durch sein Parlament gedrängt, sich sofort der norddeutschen Con-
föderativ» anschließen würde. Aber dieser Südbund wollte durchaus nicht zu
Stande kommen.

Und es war wieder ein Irrthum, als man während des Reichstags in
Berlin annahm und d.urch die officiöse Presse verkündigte, dem Eintritt der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/411>, abgerufen am 22.07.2024.