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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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das dienstliche Haupteinkommen überstiegen. Gute Gesinnung, recht demon¬
strativ zur Schau getragen, correctes, streng bureaukratisches Verhalten und ein
zügelloser Diensteifer bei den permanenten Wahlen zu dem jedes Jahr auf¬
gelösten Landtag deckten alles. Man sah mehr auf den Glauben, als aus
die Werke.

Noch mehr aber verstand es sich von selbst, daß ein bürgerliches Metier
für die Relicten eines Beamten oder eines Geistlichen eine Entehrung war,
woraus denn mit Nothwendigkeit sich ergab, daß die Beamtentöchter (auch der
niedrigsten Classen) aus Kosten der Steuerzahler ihr Leben lang unterhalten
werden mußten.

Obgleich die preußische Verwaltung in allen diesen Dingen auf das scho-
nendste verfährt, so dämmert doch allen, welche von den bisherigen Mißbräuchen
Vortheil zogen, ein Bewußtsein, daß solche zarte Gewächse, wie die soeben
geschilderten, in der scharfen reinen Lust eines Großstaats auf die Dauer nicht
gedeihen können, sondern nach und nach verkümmern. Der Accessist vermißt die
Besoldungszulage, welche er sonst bekam, wenn er mit dem Negierungsdirector
Werren eine Wahlagitationsreise machte und auf derselben die Gemeindebeamten
mit göttlicher Amtsgrobheit anschnauzte; der Oberförster, der das fürstliche Jagd¬
revier besser gepflegt als den Wald der Gemeinde, die ihn bezahlt, wartet ver¬
geblich auf die Remunerationen, welche für Achtzehnender aus der Staatskasse
erfielen; der Kanzlist, der seinen Vorgesetzten denuncirt hatte, daß er einmal
in der Dämmerung auf der Straße bei einem liberalen Ständemitglied ge¬
standen und mit ihm über die Weinernte gesprochen habe, seufzt: "In diesem
abscheulichen Preußen will man von Gratificationen nichts wissen, die Kerls
muthen einem zu, daß man die Arbeit umsonst thut." Wenn er französisch
Verstände, würde er sagen: "av travailler xour Is roi as ?russe". Er bekommt
zwar eine im Verhältniß zu seiner Qualification sehr hohe Besoldung. Allein
die rechnet er nicht. Das ist ein Ding für sich; denn die hat er einmal
"decretmäßig". Wenn er dafür etwas arbeiten soll, dann verlangt er außerdem
noch eine Gratification, auf deutsch: ein Trinkgeld. Von dieser segensreichen
Institution will der schwarzweiße Eindringling nichts wissen und deshalb ist er
in den Augen der blau-orangefarbigen Autochthonen ein nordischer Barbar.
Der Oberbeamte seufzt: "Es sollen alle guten Stellen bis herunter auf die
Landrathsposten mit Altpreußen besetzt werden" (was allerdings, wenn es
geschähe, sehr unklug wäre, namentlich bezüglich der Landräthe, welche doch in
ihrem Bezirk nicht Fremdlinge sein dürfen). Der Unterbeamte hat die schreck¬
lichen Worte "Gumbinnen" und "Stallupönen" vernommen; und wenn er
Abends zu spät, oder zu viel, oder zu schwer verdauliche Speisen gegessen hat,
dann träumt er Nachts, er sei Kanzleirath in "Stallupönen" geworden; er sieht
sich mit seinen Acten in einem offenen Holzschuppen, ringsum Schnee und immer


das dienstliche Haupteinkommen überstiegen. Gute Gesinnung, recht demon¬
strativ zur Schau getragen, correctes, streng bureaukratisches Verhalten und ein
zügelloser Diensteifer bei den permanenten Wahlen zu dem jedes Jahr auf¬
gelösten Landtag deckten alles. Man sah mehr auf den Glauben, als aus
die Werke.

Noch mehr aber verstand es sich von selbst, daß ein bürgerliches Metier
für die Relicten eines Beamten oder eines Geistlichen eine Entehrung war,
woraus denn mit Nothwendigkeit sich ergab, daß die Beamtentöchter (auch der
niedrigsten Classen) aus Kosten der Steuerzahler ihr Leben lang unterhalten
werden mußten.

Obgleich die preußische Verwaltung in allen diesen Dingen auf das scho-
nendste verfährt, so dämmert doch allen, welche von den bisherigen Mißbräuchen
Vortheil zogen, ein Bewußtsein, daß solche zarte Gewächse, wie die soeben
geschilderten, in der scharfen reinen Lust eines Großstaats auf die Dauer nicht
gedeihen können, sondern nach und nach verkümmern. Der Accessist vermißt die
Besoldungszulage, welche er sonst bekam, wenn er mit dem Negierungsdirector
Werren eine Wahlagitationsreise machte und auf derselben die Gemeindebeamten
mit göttlicher Amtsgrobheit anschnauzte; der Oberförster, der das fürstliche Jagd¬
revier besser gepflegt als den Wald der Gemeinde, die ihn bezahlt, wartet ver¬
geblich auf die Remunerationen, welche für Achtzehnender aus der Staatskasse
erfielen; der Kanzlist, der seinen Vorgesetzten denuncirt hatte, daß er einmal
in der Dämmerung auf der Straße bei einem liberalen Ständemitglied ge¬
standen und mit ihm über die Weinernte gesprochen habe, seufzt: „In diesem
abscheulichen Preußen will man von Gratificationen nichts wissen, die Kerls
muthen einem zu, daß man die Arbeit umsonst thut." Wenn er französisch
Verstände, würde er sagen: „av travailler xour Is roi as ?russe". Er bekommt
zwar eine im Verhältniß zu seiner Qualification sehr hohe Besoldung. Allein
die rechnet er nicht. Das ist ein Ding für sich; denn die hat er einmal
„decretmäßig". Wenn er dafür etwas arbeiten soll, dann verlangt er außerdem
noch eine Gratification, auf deutsch: ein Trinkgeld. Von dieser segensreichen
Institution will der schwarzweiße Eindringling nichts wissen und deshalb ist er
in den Augen der blau-orangefarbigen Autochthonen ein nordischer Barbar.
Der Oberbeamte seufzt: „Es sollen alle guten Stellen bis herunter auf die
Landrathsposten mit Altpreußen besetzt werden" (was allerdings, wenn es
geschähe, sehr unklug wäre, namentlich bezüglich der Landräthe, welche doch in
ihrem Bezirk nicht Fremdlinge sein dürfen). Der Unterbeamte hat die schreck¬
lichen Worte „Gumbinnen" und „Stallupönen" vernommen; und wenn er
Abends zu spät, oder zu viel, oder zu schwer verdauliche Speisen gegessen hat,
dann träumt er Nachts, er sei Kanzleirath in „Stallupönen" geworden; er sieht
sich mit seinen Acten in einem offenen Holzschuppen, ringsum Schnee und immer


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[0392] das dienstliche Haupteinkommen überstiegen. Gute Gesinnung, recht demon¬ strativ zur Schau getragen, correctes, streng bureaukratisches Verhalten und ein zügelloser Diensteifer bei den permanenten Wahlen zu dem jedes Jahr auf¬ gelösten Landtag deckten alles. Man sah mehr auf den Glauben, als aus die Werke. Noch mehr aber verstand es sich von selbst, daß ein bürgerliches Metier für die Relicten eines Beamten oder eines Geistlichen eine Entehrung war, woraus denn mit Nothwendigkeit sich ergab, daß die Beamtentöchter (auch der niedrigsten Classen) aus Kosten der Steuerzahler ihr Leben lang unterhalten werden mußten. Obgleich die preußische Verwaltung in allen diesen Dingen auf das scho- nendste verfährt, so dämmert doch allen, welche von den bisherigen Mißbräuchen Vortheil zogen, ein Bewußtsein, daß solche zarte Gewächse, wie die soeben geschilderten, in der scharfen reinen Lust eines Großstaats auf die Dauer nicht gedeihen können, sondern nach und nach verkümmern. Der Accessist vermißt die Besoldungszulage, welche er sonst bekam, wenn er mit dem Negierungsdirector Werren eine Wahlagitationsreise machte und auf derselben die Gemeindebeamten mit göttlicher Amtsgrobheit anschnauzte; der Oberförster, der das fürstliche Jagd¬ revier besser gepflegt als den Wald der Gemeinde, die ihn bezahlt, wartet ver¬ geblich auf die Remunerationen, welche für Achtzehnender aus der Staatskasse erfielen; der Kanzlist, der seinen Vorgesetzten denuncirt hatte, daß er einmal in der Dämmerung auf der Straße bei einem liberalen Ständemitglied ge¬ standen und mit ihm über die Weinernte gesprochen habe, seufzt: „In diesem abscheulichen Preußen will man von Gratificationen nichts wissen, die Kerls muthen einem zu, daß man die Arbeit umsonst thut." Wenn er französisch Verstände, würde er sagen: „av travailler xour Is roi as ?russe". Er bekommt zwar eine im Verhältniß zu seiner Qualification sehr hohe Besoldung. Allein die rechnet er nicht. Das ist ein Ding für sich; denn die hat er einmal „decretmäßig". Wenn er dafür etwas arbeiten soll, dann verlangt er außerdem noch eine Gratification, auf deutsch: ein Trinkgeld. Von dieser segensreichen Institution will der schwarzweiße Eindringling nichts wissen und deshalb ist er in den Augen der blau-orangefarbigen Autochthonen ein nordischer Barbar. Der Oberbeamte seufzt: „Es sollen alle guten Stellen bis herunter auf die Landrathsposten mit Altpreußen besetzt werden" (was allerdings, wenn es geschähe, sehr unklug wäre, namentlich bezüglich der Landräthe, welche doch in ihrem Bezirk nicht Fremdlinge sein dürfen). Der Unterbeamte hat die schreck¬ lichen Worte „Gumbinnen" und „Stallupönen" vernommen; und wenn er Abends zu spät, oder zu viel, oder zu schwer verdauliche Speisen gegessen hat, dann träumt er Nachts, er sei Kanzleirath in „Stallupönen" geworden; er sieht sich mit seinen Acten in einem offenen Holzschuppen, ringsum Schnee und immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/392>, abgerufen am 03.07.2024.