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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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besprochene eomxounäczr abgeschafft. Vielleicht wird er auch den ganzen Plan
der Neuvertheilung einzuziehender Sitze fallen lassen, während er im vorigen
Jahre seine Taktik gegen Gladstone darauf gründete, daß derselbe die Neuver¬
theilung durch eine besondere Bill bewirken wollte; Consequenz kümmert den
vielgewandten Schatzkanzler nicht, ihm liegt nur daran, sein Ziel zu erreichen.

Daß ein Mann wie Disraeli eine solche Stellung in England einnehmen
kann, ist in der That höchst merkwürdig. Sein Gegner Gladstone hat anschei¬
nend eine große Überlegenheit über ihn, hohe Begabung, feste Grundsätze,
reine Absichten, allgemeine Achtung, aber diese Vorzüge werden beeinträchtigt
' durch Heftigkeit und Mangel an Menschenkenntniß; Gladstone ist kein Taktiker,
er handelt zu sehr unter dem Impuls des Augenblicks. Disraeli hat keine
Grundsätze, genießt nirgends Achtung, aber kennt seine Leute, verliert keinen
Augenblick die Herrschaft über sich selbst und läßt keinen Augenblick sein Ziel
außer Auge. So ist er langsam aus dem Nichts von Stufe zu Stufe bis zu
seiner jetzigen Stellung gekommen, der Sohn eines jüdischen Literaten steht an
der Spitze der Torypartei. Der merkwürdigste Zug in diesem Charakter ist wie
in dem Napoleons des Dritten der unbeugsame Glaube an sich selbst. Er bat zuerst,
nachdem er einige Romane geschrieben, die Beachtung fanden, Lord Melbourne
um eine Anstellung, und derselbe war bereit, ihn zu seinem Privatsecretär zu
machen; Benjamin aber erklärte dem erstaunten Premier, das sei keine ange¬
messene Stellung für jemanden, der künftig selbst Premierminister sein werde.
Er suchte darauf als Radicaler durch Benthams Empfehlung ins Parlament zu
kommen, ward aber geschlagen; hierauf versuchte er es als Konservativer und
siegte durch das Geld eines Freundes Mr. Lewis, dessen Frau er nach dem
Tod ihres Gatten heirathete, 1837 trat er ins Unterhaus. Da sein Name als
Schriftsteller bekannt war, erwartete man seine erste Rede mit Spannung, er
machte aber durch sein verkehrtes Pathos solches Fiasko, daß er nicht aus¬
sprechen konnte, sondern niedergelacht ward; da erhob er sich noch einmal und
rief ingrimmig: "die Zeit wird kommen, wo ihr mich hören müßt!" -- Er
hielt sich zunächst ruhig, aber machte sich hier und da durch kaustische Invective
bemerkbar; als nun der große Bruch zwischen Peel und den Tories über die
Kornzölle erfolgte, forderten einige der letzteren Disraeli auf, den Minister
wöchentlich einmal auf das bitterste anzugreifen, sie wollten ihn dafür jedesmal,
wenn er spreche, mit lautem Beifall begrüßen. Nach einiger Ueberlegung ging
Disraeli auf den Handel ein und einen.it in Verbindung mit den Führern der
Partei, wußte er sich ihnen nach und nach immer unentbehrlicher zu machen,
bis er 1832 wirklich das Ziel seines Ehrgeizes erreichte und unter Lord Derby
Schatzkanzlcr und Führer des Hauses der Gemeinen ward.

Sein erster Versuch als Minister war nicht viel erfolgreicher als seine
Jungfernrede, das Budget, welches er vorlegte, stürzte ihn und das Ministerium


besprochene eomxounäczr abgeschafft. Vielleicht wird er auch den ganzen Plan
der Neuvertheilung einzuziehender Sitze fallen lassen, während er im vorigen
Jahre seine Taktik gegen Gladstone darauf gründete, daß derselbe die Neuver¬
theilung durch eine besondere Bill bewirken wollte; Consequenz kümmert den
vielgewandten Schatzkanzler nicht, ihm liegt nur daran, sein Ziel zu erreichen.

Daß ein Mann wie Disraeli eine solche Stellung in England einnehmen
kann, ist in der That höchst merkwürdig. Sein Gegner Gladstone hat anschei¬
nend eine große Überlegenheit über ihn, hohe Begabung, feste Grundsätze,
reine Absichten, allgemeine Achtung, aber diese Vorzüge werden beeinträchtigt
' durch Heftigkeit und Mangel an Menschenkenntniß; Gladstone ist kein Taktiker,
er handelt zu sehr unter dem Impuls des Augenblicks. Disraeli hat keine
Grundsätze, genießt nirgends Achtung, aber kennt seine Leute, verliert keinen
Augenblick die Herrschaft über sich selbst und läßt keinen Augenblick sein Ziel
außer Auge. So ist er langsam aus dem Nichts von Stufe zu Stufe bis zu
seiner jetzigen Stellung gekommen, der Sohn eines jüdischen Literaten steht an
der Spitze der Torypartei. Der merkwürdigste Zug in diesem Charakter ist wie
in dem Napoleons des Dritten der unbeugsame Glaube an sich selbst. Er bat zuerst,
nachdem er einige Romane geschrieben, die Beachtung fanden, Lord Melbourne
um eine Anstellung, und derselbe war bereit, ihn zu seinem Privatsecretär zu
machen; Benjamin aber erklärte dem erstaunten Premier, das sei keine ange¬
messene Stellung für jemanden, der künftig selbst Premierminister sein werde.
Er suchte darauf als Radicaler durch Benthams Empfehlung ins Parlament zu
kommen, ward aber geschlagen; hierauf versuchte er es als Konservativer und
siegte durch das Geld eines Freundes Mr. Lewis, dessen Frau er nach dem
Tod ihres Gatten heirathete, 1837 trat er ins Unterhaus. Da sein Name als
Schriftsteller bekannt war, erwartete man seine erste Rede mit Spannung, er
machte aber durch sein verkehrtes Pathos solches Fiasko, daß er nicht aus¬
sprechen konnte, sondern niedergelacht ward; da erhob er sich noch einmal und
rief ingrimmig: „die Zeit wird kommen, wo ihr mich hören müßt!" — Er
hielt sich zunächst ruhig, aber machte sich hier und da durch kaustische Invective
bemerkbar; als nun der große Bruch zwischen Peel und den Tories über die
Kornzölle erfolgte, forderten einige der letzteren Disraeli auf, den Minister
wöchentlich einmal auf das bitterste anzugreifen, sie wollten ihn dafür jedesmal,
wenn er spreche, mit lautem Beifall begrüßen. Nach einiger Ueberlegung ging
Disraeli auf den Handel ein und einen.it in Verbindung mit den Führern der
Partei, wußte er sich ihnen nach und nach immer unentbehrlicher zu machen,
bis er 1832 wirklich das Ziel seines Ehrgeizes erreichte und unter Lord Derby
Schatzkanzlcr und Führer des Hauses der Gemeinen ward.

Sein erster Versuch als Minister war nicht viel erfolgreicher als seine
Jungfernrede, das Budget, welches er vorlegte, stürzte ihn und das Ministerium


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/371>, abgerufen am 22.07.2024.