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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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werde; es verbesserte die Laune des Hauses nicht, daß Lord Derby die Haupt"
punkte desselben seinen Anhängern zwei Tage vorher mittheilte, ehe die Bill
eingebracht ward und als dies geschah, war die Stimmung für dieselbe so un¬
günstig wie möglich. Der Kern der Maßregel war, daß jeder Hausbesitzer, welcher
zwei Jahre in einem Orte gewohnt und persönlich seine Gemeindesteuern be¬
zahle, das Wahlrecht haben solle, dagegen aber jeder, der 40 Shilling directe
Steuern bezahle, eine zweite Stimme abgeben dürfe (anat vote). Alle Welt
war darin einig, daß eine derartige Maßregel nicht durchgehen könne und der
Schatzkanzler weigerte sich zu erklären, welche Punkte der Bill er als wesentlich
betrachte. Die Sache schien so schlecht wie möglich für die Regierung zu stehen,
aber jetzt begannen die Fehler der Opposition. Bisher hatte Gladstone eine
weise Zurückhaltung beobachtet, aber in dem Augenblick, wo das Ministerium
sich selbst in unlösbare Schwierigkeit gebracht, konnte er seine Erbitterung nicht
länger bemeistern und kündigte in einer heftigen Rede seine "unversöhnliche
Feindschaft" gegen die Grundsätze der Bill an. Dies mißfiel der Opposition
und als er sie kurz darauf bei sich versammelte, um einen entscheidenden Schritt
gegen die Regierung zu berathen, weigerte sie sich ihrem Führer zu folgen und
Verlangte abzuwarten, ob nicht der Schatzkanzler bei der zweiten Lesung Con¬
cessionen machen würde.

Zunächst schien dazu keine Aussicht, vielmehr hielt am 25. der Minister
Hardy eine Rede, welche das Princip des doppelten Stimmrechts vertheidigte
und das allgemein geforderte Wahlrecht für Miether von Zimmern (loägerg
trimelrisö) ablehnte, man glaubte allgemein, daß es am nächsten Tage zu einer
Abstimmung kommen würde, welche nur nachtheilig/für das Ministerium aus¬
fallen konnte. Aber am folgenden Abend erhob sich nach einer unbedeutenden
Debatte der Schatzkanzler, dcsavouirte seinen College", gab das doppelte Stimm¬
recht auf und versicherte das Haus in der einschmeichelndsten Weise, daß er sich
ganz seinem Urtheile unterwerfen würde, alle Einwürfe könnten im Comite
discutirt und beseitigt werden, er werde sich nur von dem "unfehlbaren Jnstinct"
dieser erlauchten Versammlung leiten lassen. Unter dem Eindruck dieser
Ueberraschung ward ohne Abstimmung, ja ohne Debatte die zweite Lesung
einer Bill angenommen, deren eigentliche Principien man noch gar nicht kannte.
Es war begreiflich, daß Gladstone durch diese Parteitaktik erbittert war, aber
er ließ sich zu einem Gegenzug verleiten, welcher zu einer directen Niederlage
für ihn ward. Disraeli hatte, sobald er jenen Sieg erfochten, eine festere
Stellung angenommen und erklärte, die Negierung werde daran festhalten, daß
niemand das Wahlrecht erhalten solle, der nicht seine Gemeindesteuern persön¬
lich entrichte und nicht zwei Jahre in seinem Wahlort gewohnt habe.

Ganz unerwartet rief nun Gladstone am 6. April seine Anhänger zusammen
und legte ihnen eine Instruction vor, welche dem Comite als maßgebend er-


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werde; es verbesserte die Laune des Hauses nicht, daß Lord Derby die Haupt«
punkte desselben seinen Anhängern zwei Tage vorher mittheilte, ehe die Bill
eingebracht ward und als dies geschah, war die Stimmung für dieselbe so un¬
günstig wie möglich. Der Kern der Maßregel war, daß jeder Hausbesitzer, welcher
zwei Jahre in einem Orte gewohnt und persönlich seine Gemeindesteuern be¬
zahle, das Wahlrecht haben solle, dagegen aber jeder, der 40 Shilling directe
Steuern bezahle, eine zweite Stimme abgeben dürfe (anat vote). Alle Welt
war darin einig, daß eine derartige Maßregel nicht durchgehen könne und der
Schatzkanzler weigerte sich zu erklären, welche Punkte der Bill er als wesentlich
betrachte. Die Sache schien so schlecht wie möglich für die Regierung zu stehen,
aber jetzt begannen die Fehler der Opposition. Bisher hatte Gladstone eine
weise Zurückhaltung beobachtet, aber in dem Augenblick, wo das Ministerium
sich selbst in unlösbare Schwierigkeit gebracht, konnte er seine Erbitterung nicht
länger bemeistern und kündigte in einer heftigen Rede seine „unversöhnliche
Feindschaft" gegen die Grundsätze der Bill an. Dies mißfiel der Opposition
und als er sie kurz darauf bei sich versammelte, um einen entscheidenden Schritt
gegen die Regierung zu berathen, weigerte sie sich ihrem Führer zu folgen und
Verlangte abzuwarten, ob nicht der Schatzkanzler bei der zweiten Lesung Con¬
cessionen machen würde.

Zunächst schien dazu keine Aussicht, vielmehr hielt am 25. der Minister
Hardy eine Rede, welche das Princip des doppelten Stimmrechts vertheidigte
und das allgemein geforderte Wahlrecht für Miether von Zimmern (loägerg
trimelrisö) ablehnte, man glaubte allgemein, daß es am nächsten Tage zu einer
Abstimmung kommen würde, welche nur nachtheilig/für das Ministerium aus¬
fallen konnte. Aber am folgenden Abend erhob sich nach einer unbedeutenden
Debatte der Schatzkanzler, dcsavouirte seinen College», gab das doppelte Stimm¬
recht auf und versicherte das Haus in der einschmeichelndsten Weise, daß er sich
ganz seinem Urtheile unterwerfen würde, alle Einwürfe könnten im Comite
discutirt und beseitigt werden, er werde sich nur von dem „unfehlbaren Jnstinct"
dieser erlauchten Versammlung leiten lassen. Unter dem Eindruck dieser
Ueberraschung ward ohne Abstimmung, ja ohne Debatte die zweite Lesung
einer Bill angenommen, deren eigentliche Principien man noch gar nicht kannte.
Es war begreiflich, daß Gladstone durch diese Parteitaktik erbittert war, aber
er ließ sich zu einem Gegenzug verleiten, welcher zu einer directen Niederlage
für ihn ward. Disraeli hatte, sobald er jenen Sieg erfochten, eine festere
Stellung angenommen und erklärte, die Negierung werde daran festhalten, daß
niemand das Wahlrecht erhalten solle, der nicht seine Gemeindesteuern persön¬
lich entrichte und nicht zwei Jahre in seinem Wahlort gewohnt habe.

Ganz unerwartet rief nun Gladstone am 6. April seine Anhänger zusammen
und legte ihnen eine Instruction vor, welche dem Comite als maßgebend er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/367>, abgerufen am 02.07.2024.