Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des apostolischen Symbols mit Geschick in seiner Bedeutung für das moderne
Bewußtsein gezeichnet, man findet hier viele eigenthümliche oder doch zum ersten
Male popularisirte Momente, wir erinnern nur an die Darstellung der histo¬
rischen Unentbehrlichkeit alttestamentlicher Wundererzählungen für die Entwicke¬
lung des religiösen Bewußtseins. Für den irenischen Zweck des Buches tritt
allerdings die "destructive" Seite etwas zu grell hervor; in der Polemik ist
nicht immer Maß gehalten, sie wird öfter leidenschaftlich und bitter und ver¬
kennt die edleren Eigenschaften des Gegners über seinen Schwächen, doch dürfe"
wir hier einem Manne, der für sein ernstes, freies Wort einen solchen Sturm
von Befehdungen, in dem sich die niedrigsten und unlautersten Elemente beson¬
ders hervorthaten, muthig ausgehalten hat, manches zu Gute rechnen. Wirklich
mangelhaft ist die kirchenhistorische Darstellung, der ein etwas kleinlicher Prag¬
matismus Eintrag thut. Dagegen finden sich für die praktische Neugestaltung
des Christenthums im Einklange mit der Culturentwickelung die bedeutsamsten
Winke: das Buch ist hier der einzige annähernd vollständige Versuch, sie durch
alle geistigen Lebensgebiete populär durchzuführen, und wenn auch manches
Unhaltbare mit unterläuft (wie z. B. die Neubildung der christlichen Gemeinde
durch eine Art von Abstimmung innerhalb der bereits bestehenden Verbände),
sowie allerhand Unklares (namentlich in der Fixirung des Verhältnisses zwischen
Staat und Kirche), so ist doch überall in den Bestrebungen, jedem Gebiet echte
und volle Freiheit zu vindiciren, Lauterkeit und Energie anzuerkennen; am
fruchtbarsten wird sich das Buch für die Belebung und weitere Ausbildung der
Schule erweisen; für dieses Gebiet ruhen die Erörterungen des Verfassers
allenthalben auf werthvollen praktischen Erfahrungen.

Nicht dieselbe Achtung vermögen wir einem anderen jüngst erschienenen
Werke ähnlicher Tendenz zu zollen:


Richtung und Leben. Von Dr. A. Pierson. Aus dem Holländischen.
Mit einem Vorwort von H. Lang, Pfarrer. Berlin, Reimer.

Unläugbar mit Geist und Phantasie geschrieben, hat das Buch, das im
Gegensatz zu den herrschenden älteren Parteiungen die moderne Richtung zu
empfehlen sucht, in seinem Vaterlande vielen Beifall gefunden. Zwischen den
Ansprüchen des Herzens und des Verstandes fixirt es für die Religion das
mittlere Gebiet des "Wahrscheinlichen": wir dürfen von den sogenannten gött¬
lichen Offenbarungen in unsere Ueberzeugung aufnehmen, was den Bedürfnissen
unseres Herzens entspricht, soweit die Naturwissenschaft keinen stritten Gegen¬
beweis dawider zu führen vermag; vor allem das Grundprincip der Liebe,
für dessen Entfaltung und Befruchtung denn namentlich auf die Nothwendigkeit
wahrhaft ästhetischer Erziehung hingewiesen wird. Hier wäre in der Ausfüh¬
rung des Einzelnen mancher geistreiche Zug zu loben, aber die Anlage des
Ganzen ist schief und ve'fehlt. Das Mißlingen des ersten, philosophischen Theiles,


des apostolischen Symbols mit Geschick in seiner Bedeutung für das moderne
Bewußtsein gezeichnet, man findet hier viele eigenthümliche oder doch zum ersten
Male popularisirte Momente, wir erinnern nur an die Darstellung der histo¬
rischen Unentbehrlichkeit alttestamentlicher Wundererzählungen für die Entwicke¬
lung des religiösen Bewußtseins. Für den irenischen Zweck des Buches tritt
allerdings die „destructive" Seite etwas zu grell hervor; in der Polemik ist
nicht immer Maß gehalten, sie wird öfter leidenschaftlich und bitter und ver¬
kennt die edleren Eigenschaften des Gegners über seinen Schwächen, doch dürfe»
wir hier einem Manne, der für sein ernstes, freies Wort einen solchen Sturm
von Befehdungen, in dem sich die niedrigsten und unlautersten Elemente beson¬
ders hervorthaten, muthig ausgehalten hat, manches zu Gute rechnen. Wirklich
mangelhaft ist die kirchenhistorische Darstellung, der ein etwas kleinlicher Prag¬
matismus Eintrag thut. Dagegen finden sich für die praktische Neugestaltung
des Christenthums im Einklange mit der Culturentwickelung die bedeutsamsten
Winke: das Buch ist hier der einzige annähernd vollständige Versuch, sie durch
alle geistigen Lebensgebiete populär durchzuführen, und wenn auch manches
Unhaltbare mit unterläuft (wie z. B. die Neubildung der christlichen Gemeinde
durch eine Art von Abstimmung innerhalb der bereits bestehenden Verbände),
sowie allerhand Unklares (namentlich in der Fixirung des Verhältnisses zwischen
Staat und Kirche), so ist doch überall in den Bestrebungen, jedem Gebiet echte
und volle Freiheit zu vindiciren, Lauterkeit und Energie anzuerkennen; am
fruchtbarsten wird sich das Buch für die Belebung und weitere Ausbildung der
Schule erweisen; für dieses Gebiet ruhen die Erörterungen des Verfassers
allenthalben auf werthvollen praktischen Erfahrungen.

Nicht dieselbe Achtung vermögen wir einem anderen jüngst erschienenen
Werke ähnlicher Tendenz zu zollen:


Richtung und Leben. Von Dr. A. Pierson. Aus dem Holländischen.
Mit einem Vorwort von H. Lang, Pfarrer. Berlin, Reimer.

Unläugbar mit Geist und Phantasie geschrieben, hat das Buch, das im
Gegensatz zu den herrschenden älteren Parteiungen die moderne Richtung zu
empfehlen sucht, in seinem Vaterlande vielen Beifall gefunden. Zwischen den
Ansprüchen des Herzens und des Verstandes fixirt es für die Religion das
mittlere Gebiet des „Wahrscheinlichen": wir dürfen von den sogenannten gött¬
lichen Offenbarungen in unsere Ueberzeugung aufnehmen, was den Bedürfnissen
unseres Herzens entspricht, soweit die Naturwissenschaft keinen stritten Gegen¬
beweis dawider zu führen vermag; vor allem das Grundprincip der Liebe,
für dessen Entfaltung und Befruchtung denn namentlich auf die Nothwendigkeit
wahrhaft ästhetischer Erziehung hingewiesen wird. Hier wäre in der Ausfüh¬
rung des Einzelnen mancher geistreiche Zug zu loben, aber die Anlage des
Ganzen ist schief und ve'fehlt. Das Mißlingen des ersten, philosophischen Theiles,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191049"/>
            <p xml:id="ID_1224" prev="#ID_1223"> des apostolischen Symbols mit Geschick in seiner Bedeutung für das moderne<lb/>
Bewußtsein gezeichnet, man findet hier viele eigenthümliche oder doch zum ersten<lb/>
Male popularisirte Momente, wir erinnern nur an die Darstellung der histo¬<lb/>
rischen Unentbehrlichkeit alttestamentlicher Wundererzählungen für die Entwicke¬<lb/>
lung des religiösen Bewußtseins. Für den irenischen Zweck des Buches tritt<lb/>
allerdings die &#x201E;destructive" Seite etwas zu grell hervor; in der Polemik ist<lb/>
nicht immer Maß gehalten, sie wird öfter leidenschaftlich und bitter und ver¬<lb/>
kennt die edleren Eigenschaften des Gegners über seinen Schwächen, doch dürfe»<lb/>
wir hier einem Manne, der für sein ernstes, freies Wort einen solchen Sturm<lb/>
von Befehdungen, in dem sich die niedrigsten und unlautersten Elemente beson¬<lb/>
ders hervorthaten, muthig ausgehalten hat, manches zu Gute rechnen. Wirklich<lb/>
mangelhaft ist die kirchenhistorische Darstellung, der ein etwas kleinlicher Prag¬<lb/>
matismus Eintrag thut. Dagegen finden sich für die praktische Neugestaltung<lb/>
des Christenthums im Einklange mit der Culturentwickelung die bedeutsamsten<lb/>
Winke: das Buch ist hier der einzige annähernd vollständige Versuch, sie durch<lb/>
alle geistigen Lebensgebiete populär durchzuführen, und wenn auch manches<lb/>
Unhaltbare mit unterläuft (wie z. B. die Neubildung der christlichen Gemeinde<lb/>
durch eine Art von Abstimmung innerhalb der bereits bestehenden Verbände),<lb/>
sowie allerhand Unklares (namentlich in der Fixirung des Verhältnisses zwischen<lb/>
Staat und Kirche), so ist doch überall in den Bestrebungen, jedem Gebiet echte<lb/>
und volle Freiheit zu vindiciren, Lauterkeit und Energie anzuerkennen; am<lb/>
fruchtbarsten wird sich das Buch für die Belebung und weitere Ausbildung der<lb/>
Schule erweisen; für dieses Gebiet ruhen die Erörterungen des Verfassers<lb/>
allenthalben auf werthvollen praktischen Erfahrungen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1225"> Nicht dieselbe Achtung vermögen wir einem anderen jüngst erschienenen<lb/>
Werke ähnlicher Tendenz zu zollen:</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Richtung und Leben. Von Dr. A. Pierson. Aus dem Holländischen.<lb/>
Mit einem Vorwort von H. Lang, Pfarrer. Berlin, Reimer.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1226" next="#ID_1227"> Unläugbar mit Geist und Phantasie geschrieben, hat das Buch, das im<lb/>
Gegensatz zu den herrschenden älteren Parteiungen die moderne Richtung zu<lb/>
empfehlen sucht, in seinem Vaterlande vielen Beifall gefunden. Zwischen den<lb/>
Ansprüchen des Herzens und des Verstandes fixirt es für die Religion das<lb/>
mittlere Gebiet des &#x201E;Wahrscheinlichen": wir dürfen von den sogenannten gött¬<lb/>
lichen Offenbarungen in unsere Ueberzeugung aufnehmen, was den Bedürfnissen<lb/>
unseres Herzens entspricht, soweit die Naturwissenschaft keinen stritten Gegen¬<lb/>
beweis dawider zu führen vermag; vor allem das Grundprincip der Liebe,<lb/>
für dessen Entfaltung und Befruchtung denn namentlich auf die Nothwendigkeit<lb/>
wahrhaft ästhetischer Erziehung hingewiesen wird. Hier wäre in der Ausfüh¬<lb/>
rung des Einzelnen mancher geistreiche Zug zu loben, aber die Anlage des<lb/>
Ganzen ist schief und ve'fehlt. Das Mißlingen des ersten, philosophischen Theiles,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] des apostolischen Symbols mit Geschick in seiner Bedeutung für das moderne Bewußtsein gezeichnet, man findet hier viele eigenthümliche oder doch zum ersten Male popularisirte Momente, wir erinnern nur an die Darstellung der histo¬ rischen Unentbehrlichkeit alttestamentlicher Wundererzählungen für die Entwicke¬ lung des religiösen Bewußtseins. Für den irenischen Zweck des Buches tritt allerdings die „destructive" Seite etwas zu grell hervor; in der Polemik ist nicht immer Maß gehalten, sie wird öfter leidenschaftlich und bitter und ver¬ kennt die edleren Eigenschaften des Gegners über seinen Schwächen, doch dürfe» wir hier einem Manne, der für sein ernstes, freies Wort einen solchen Sturm von Befehdungen, in dem sich die niedrigsten und unlautersten Elemente beson¬ ders hervorthaten, muthig ausgehalten hat, manches zu Gute rechnen. Wirklich mangelhaft ist die kirchenhistorische Darstellung, der ein etwas kleinlicher Prag¬ matismus Eintrag thut. Dagegen finden sich für die praktische Neugestaltung des Christenthums im Einklange mit der Culturentwickelung die bedeutsamsten Winke: das Buch ist hier der einzige annähernd vollständige Versuch, sie durch alle geistigen Lebensgebiete populär durchzuführen, und wenn auch manches Unhaltbare mit unterläuft (wie z. B. die Neubildung der christlichen Gemeinde durch eine Art von Abstimmung innerhalb der bereits bestehenden Verbände), sowie allerhand Unklares (namentlich in der Fixirung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche), so ist doch überall in den Bestrebungen, jedem Gebiet echte und volle Freiheit zu vindiciren, Lauterkeit und Energie anzuerkennen; am fruchtbarsten wird sich das Buch für die Belebung und weitere Ausbildung der Schule erweisen; für dieses Gebiet ruhen die Erörterungen des Verfassers allenthalben auf werthvollen praktischen Erfahrungen. Nicht dieselbe Achtung vermögen wir einem anderen jüngst erschienenen Werke ähnlicher Tendenz zu zollen: Richtung und Leben. Von Dr. A. Pierson. Aus dem Holländischen. Mit einem Vorwort von H. Lang, Pfarrer. Berlin, Reimer. Unläugbar mit Geist und Phantasie geschrieben, hat das Buch, das im Gegensatz zu den herrschenden älteren Parteiungen die moderne Richtung zu empfehlen sucht, in seinem Vaterlande vielen Beifall gefunden. Zwischen den Ansprüchen des Herzens und des Verstandes fixirt es für die Religion das mittlere Gebiet des „Wahrscheinlichen": wir dürfen von den sogenannten gött¬ lichen Offenbarungen in unsere Ueberzeugung aufnehmen, was den Bedürfnissen unseres Herzens entspricht, soweit die Naturwissenschaft keinen stritten Gegen¬ beweis dawider zu führen vermag; vor allem das Grundprincip der Liebe, für dessen Entfaltung und Befruchtung denn namentlich auf die Nothwendigkeit wahrhaft ästhetischer Erziehung hingewiesen wird. Hier wäre in der Ausfüh¬ rung des Einzelnen mancher geistreiche Zug zu loben, aber die Anlage des Ganzen ist schief und ve'fehlt. Das Mißlingen des ersten, philosophischen Theiles,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/355>, abgerufen am 03.07.2024.