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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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liegenden Zweck geschickt abgewiesen, doch wird ein jeder, der Richard Rothes
System kennt, als dessen Schüler sich Längi" unverkennbar kundgiebt, den feh¬
lenden Hintergrund aus der Anschauung dieses Theologen zu ergänzen wissen.
Achtungswerth ist, daß der Verfasser sich nicht gescheut hat. von seinem Gegner
Strauß zu lernen, wo dieser eigenthümlich bedeutende Züge an dem Bilde
Jesu zu entdecken vermochte.

Wir erwähnen hierbei auch


Karl Harders Vorträge über die Entstehung und Ausbrei¬
tung des Christenthums in den ersten drei Jahrhunderten.
Zwei Theile. Neuwied. Heuser.

die von einer Vorurtheilsfreien und sorgfältigen Durchdringung des Materials
zeugen und von dem Charakter der Apostel sowie den religiösen Gegensätzen
ihrer Zeit eine anziehende Darstellung für gebildete Kreise darbieten.

Während Renan in seinen "Aposteln"*) hinter den Erwartungen, die man
für diese Fortsetzung des "Lebens Jesu" hegte, stark zurückgeblieben ist, hat sein
deutscher Nebenbuhler Schenkel mit vielem Glück die eignen kritischen Leistungen
mit dem Gebiete, auf dem er unbestriiten zu Hause ist und bedeutende Ver¬
dienste hat, mit der praktischen Theologie in Verbindung gesetzt in seiner
Schrift


Christenthum und Kirche im Einklange mit der Culturent¬
wickelung. Zwanzig Betrachtungen. Erster Theil: Religion und
Bibel. Zweiter Theil: Das Christenthum der Vergangenheit und der
Gegenwart. Wiesbaden, Kreidel.

Indem er an den Grundlagen eines persönlichen Gottes, eines sündlosen
Erlösers und individueller Unsterblichkeit festhält, wird er freilich dem Vorwurf
der Halbheit von Seiten der "ganzen" Kritiker nicht entgehen; in der That
hält er sich jedoch mit diesen Postulaten die einzige Möglichkeit offen, an einer
gemeindlichen (um nicht zu sagen kirchlichen) Gestaltung des Christenthums fest¬
zuhalten. Im Einzelnen kann er allerdings vielfach dem Vorwurf bedenklicher
Willkürlichkeit nicht-entgehen. wie wenn er z. B. den in seiner Schwierigkeit
doch mit allen Zeichen der Aechtheit überlieferten Ausspruch Matth. 5. 18 als
ein von Jesu bekämpftes, nur durch Nedactionsverseben ihm zugeschriebenes
pharisäisches Wort erklärt; oder den Hinweis auf eine bevorstehende Zerstörung
der Heiligthümer (für den es keines übernatürlichen Scharfblickes bedürfte) als
spätere Erfindung ansieht. Im Ganzen ist jedoch der Jdeenkreis der Bibel und



') Wir können nicht umhin, bei dieser Gelegenheit die Jncorrectheit, welche die autori-
sirte deutsche Ausgabe dieses Werkes an den Tag legt, mit einem Worte zu rügen; als ein
Beispiel führen wir nur an die Uebcrsejzung der Worte: "vieu u'cet xns <Z-ins ig, tourmsrits",
"Gott ist nicht in der Prüfung" anstatt "Gott ist nicht im Sturmwind." (!)

liegenden Zweck geschickt abgewiesen, doch wird ein jeder, der Richard Rothes
System kennt, als dessen Schüler sich Längi» unverkennbar kundgiebt, den feh¬
lenden Hintergrund aus der Anschauung dieses Theologen zu ergänzen wissen.
Achtungswerth ist, daß der Verfasser sich nicht gescheut hat. von seinem Gegner
Strauß zu lernen, wo dieser eigenthümlich bedeutende Züge an dem Bilde
Jesu zu entdecken vermochte.

Wir erwähnen hierbei auch


Karl Harders Vorträge über die Entstehung und Ausbrei¬
tung des Christenthums in den ersten drei Jahrhunderten.
Zwei Theile. Neuwied. Heuser.

die von einer Vorurtheilsfreien und sorgfältigen Durchdringung des Materials
zeugen und von dem Charakter der Apostel sowie den religiösen Gegensätzen
ihrer Zeit eine anziehende Darstellung für gebildete Kreise darbieten.

Während Renan in seinen „Aposteln"*) hinter den Erwartungen, die man
für diese Fortsetzung des „Lebens Jesu" hegte, stark zurückgeblieben ist, hat sein
deutscher Nebenbuhler Schenkel mit vielem Glück die eignen kritischen Leistungen
mit dem Gebiete, auf dem er unbestriiten zu Hause ist und bedeutende Ver¬
dienste hat, mit der praktischen Theologie in Verbindung gesetzt in seiner
Schrift


Christenthum und Kirche im Einklange mit der Culturent¬
wickelung. Zwanzig Betrachtungen. Erster Theil: Religion und
Bibel. Zweiter Theil: Das Christenthum der Vergangenheit und der
Gegenwart. Wiesbaden, Kreidel.

Indem er an den Grundlagen eines persönlichen Gottes, eines sündlosen
Erlösers und individueller Unsterblichkeit festhält, wird er freilich dem Vorwurf
der Halbheit von Seiten der „ganzen" Kritiker nicht entgehen; in der That
hält er sich jedoch mit diesen Postulaten die einzige Möglichkeit offen, an einer
gemeindlichen (um nicht zu sagen kirchlichen) Gestaltung des Christenthums fest¬
zuhalten. Im Einzelnen kann er allerdings vielfach dem Vorwurf bedenklicher
Willkürlichkeit nicht-entgehen. wie wenn er z. B. den in seiner Schwierigkeit
doch mit allen Zeichen der Aechtheit überlieferten Ausspruch Matth. 5. 18 als
ein von Jesu bekämpftes, nur durch Nedactionsverseben ihm zugeschriebenes
pharisäisches Wort erklärt; oder den Hinweis auf eine bevorstehende Zerstörung
der Heiligthümer (für den es keines übernatürlichen Scharfblickes bedürfte) als
spätere Erfindung ansieht. Im Ganzen ist jedoch der Jdeenkreis der Bibel und



') Wir können nicht umhin, bei dieser Gelegenheit die Jncorrectheit, welche die autori-
sirte deutsche Ausgabe dieses Werkes an den Tag legt, mit einem Worte zu rügen; als ein
Beispiel führen wir nur an die Uebcrsejzung der Worte: „vieu u'cet xns <Z-ins ig, tourmsrits",
„Gott ist nicht in der Prüfung" anstatt „Gott ist nicht im Sturmwind." (!)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/354>, abgerufen am 01.07.2024.