Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die französische Armee murrt? Nichts dieser Art ist mir zu Ohren gekommen.
Und sollte eine Generalität, die so eng mit der neuen Dynastie zusammen-
hängt, durchaus für einen Krieg agitiren, welcher so sehnlich von den
Orleanisten herbeigewünscht wird? Die französischen Marschälle schlafen auch
Stern in weichen Betten. Wenn man dennoch rüstete, so geschah es vielleicht
aus übergroßer Vorsicht, aus übermächtigen Aerger über getäuschte Hoffnungen,
aus Mißtrauen gegen die kriegerischen Pläne eines Andern, vielleicht um jene
friedseligen Petitionen zu provociren, welche jetzt die pariser Zeitungen füllen.
Erst neulich hat ja der Kaiser sein Verhalten im vorige" Jahre durch die
Berufungen auf solche Kundgebungen gerechtfertigt. So etwas läßt sich immer
wieder einmal verwenden. -- Vielleicht auch war der letzte Grund aller Rü¬
stungen, die man jetzt so gern als innere Angelegenheit, darstellen möchte, in
der Seele des Kaisers dieselbe unbestimmte, undeutliche, beengende, lauernde Sorge
vor einer herannahenden Revolution, die ich bei so vielen Franzosen gefunden.

Und diese angesägte Revolution? -- wann haben wir sie zu erwarten?
Vielleicht gar nicht. Jedenfalls nicht deshalb, weil die Pariser mit angenehmem
Grausen davon schwatzen. Daß eine Revolution aber den Kaiser -- diesen
Kaiser -- nicht nothwendig auf die Seite zu schieben braucht, scheint einleuch¬
tend. Ich habe gesehen, wie ihn die Arbeiter grüßen und gehört, wie sie von
ihm reden. Es ließe sich eine große Umwälzung aller Besitzverhälinisfe denken,
ohne daß dabei ein Zuwachs an politischen Freiheiten in unserem Sinne für
Frankreich nothwendig würde, und das Heer -- das bewaffnete Proletariat --
könnte füglich, Gewehr am Fuß, die Zuschauerrolle übernehmen. Von einer
Erschütterung der Herrschermacht Louis Napoleons ist. glaube ich, für lange
nicht die Rede.

Es geschieht wohl, daß künftige Ereignisse ihre dunklen Schatten in die
Seelen der Menschen voraussenden. Und es ist ja nicht undenkbar, daß es
bedeutsame Träume sind, welche den Pariser mit der UnHaltbarkeit seines gegen¬
wärtigen Zustandes ängstigen. Aber wenn ich an alle politischen Träume und
Prophezeihungen zurückdenke, welche auf beiden Seiten des Rheins in den letzten
neunzehn Jahren als eitle Träume aus der trügerischen Pforte von Elfenbein
auf die Häupter der Zeitgenossen herabschwebtcn. so wage ich von Paris aus¬
zusprechen: ich glaube nicht, daß die Stellung des Kaisers erschüttert ist, und
ich glaube nicht an die Vorzeichen einer nahenden Revolution. Denn ich sehe
in ganz Frankreich zur Zeit niemanden, nicht Mann, nicht Partei, nicht großes
Interesse, welche eine Revolution zu machen im Stande wären.




44*

die französische Armee murrt? Nichts dieser Art ist mir zu Ohren gekommen.
Und sollte eine Generalität, die so eng mit der neuen Dynastie zusammen-
hängt, durchaus für einen Krieg agitiren, welcher so sehnlich von den
Orleanisten herbeigewünscht wird? Die französischen Marschälle schlafen auch
Stern in weichen Betten. Wenn man dennoch rüstete, so geschah es vielleicht
aus übergroßer Vorsicht, aus übermächtigen Aerger über getäuschte Hoffnungen,
aus Mißtrauen gegen die kriegerischen Pläne eines Andern, vielleicht um jene
friedseligen Petitionen zu provociren, welche jetzt die pariser Zeitungen füllen.
Erst neulich hat ja der Kaiser sein Verhalten im vorige» Jahre durch die
Berufungen auf solche Kundgebungen gerechtfertigt. So etwas läßt sich immer
wieder einmal verwenden. — Vielleicht auch war der letzte Grund aller Rü¬
stungen, die man jetzt so gern als innere Angelegenheit, darstellen möchte, in
der Seele des Kaisers dieselbe unbestimmte, undeutliche, beengende, lauernde Sorge
vor einer herannahenden Revolution, die ich bei so vielen Franzosen gefunden.

Und diese angesägte Revolution? — wann haben wir sie zu erwarten?
Vielleicht gar nicht. Jedenfalls nicht deshalb, weil die Pariser mit angenehmem
Grausen davon schwatzen. Daß eine Revolution aber den Kaiser — diesen
Kaiser — nicht nothwendig auf die Seite zu schieben braucht, scheint einleuch¬
tend. Ich habe gesehen, wie ihn die Arbeiter grüßen und gehört, wie sie von
ihm reden. Es ließe sich eine große Umwälzung aller Besitzverhälinisfe denken,
ohne daß dabei ein Zuwachs an politischen Freiheiten in unserem Sinne für
Frankreich nothwendig würde, und das Heer — das bewaffnete Proletariat —
könnte füglich, Gewehr am Fuß, die Zuschauerrolle übernehmen. Von einer
Erschütterung der Herrschermacht Louis Napoleons ist. glaube ich, für lange
nicht die Rede.

Es geschieht wohl, daß künftige Ereignisse ihre dunklen Schatten in die
Seelen der Menschen voraussenden. Und es ist ja nicht undenkbar, daß es
bedeutsame Träume sind, welche den Pariser mit der UnHaltbarkeit seines gegen¬
wärtigen Zustandes ängstigen. Aber wenn ich an alle politischen Träume und
Prophezeihungen zurückdenke, welche auf beiden Seiten des Rheins in den letzten
neunzehn Jahren als eitle Träume aus der trügerischen Pforte von Elfenbein
auf die Häupter der Zeitgenossen herabschwebtcn. so wage ich von Paris aus¬
zusprechen: ich glaube nicht, daß die Stellung des Kaisers erschüttert ist, und
ich glaube nicht an die Vorzeichen einer nahenden Revolution. Denn ich sehe
in ganz Frankreich zur Zeit niemanden, nicht Mann, nicht Partei, nicht großes
Interesse, welche eine Revolution zu machen im Stande wären.




44*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191045"/>
          <p xml:id="ID_1208" prev="#ID_1207"> die französische Armee murrt? Nichts dieser Art ist mir zu Ohren gekommen.<lb/>
Und sollte eine Generalität, die so eng mit der neuen Dynastie zusammen-<lb/>
hängt, durchaus für einen Krieg agitiren, welcher so sehnlich von den<lb/>
Orleanisten herbeigewünscht wird? Die französischen Marschälle schlafen auch<lb/>
Stern in weichen Betten. Wenn man dennoch rüstete, so geschah es vielleicht<lb/>
aus übergroßer Vorsicht, aus übermächtigen Aerger über getäuschte Hoffnungen,<lb/>
aus Mißtrauen gegen die kriegerischen Pläne eines Andern, vielleicht um jene<lb/>
friedseligen Petitionen zu provociren, welche jetzt die pariser Zeitungen füllen.<lb/>
Erst neulich hat ja der Kaiser sein Verhalten im vorige» Jahre durch die<lb/>
Berufungen auf solche Kundgebungen gerechtfertigt. So etwas läßt sich immer<lb/>
wieder einmal verwenden. &#x2014; Vielleicht auch war der letzte Grund aller Rü¬<lb/>
stungen, die man jetzt so gern als innere Angelegenheit, darstellen möchte, in<lb/>
der Seele des Kaisers dieselbe unbestimmte, undeutliche, beengende, lauernde Sorge<lb/>
vor einer herannahenden Revolution, die ich bei so vielen Franzosen gefunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1209"> Und diese angesägte Revolution? &#x2014; wann haben wir sie zu erwarten?<lb/>
Vielleicht gar nicht. Jedenfalls nicht deshalb, weil die Pariser mit angenehmem<lb/>
Grausen davon schwatzen. Daß eine Revolution aber den Kaiser &#x2014; diesen<lb/>
Kaiser &#x2014; nicht nothwendig auf die Seite zu schieben braucht, scheint einleuch¬<lb/>
tend. Ich habe gesehen, wie ihn die Arbeiter grüßen und gehört, wie sie von<lb/>
ihm reden. Es ließe sich eine große Umwälzung aller Besitzverhälinisfe denken,<lb/>
ohne daß dabei ein Zuwachs an politischen Freiheiten in unserem Sinne für<lb/>
Frankreich nothwendig würde, und das Heer &#x2014; das bewaffnete Proletariat &#x2014;<lb/>
könnte füglich, Gewehr am Fuß, die Zuschauerrolle übernehmen. Von einer<lb/>
Erschütterung der Herrschermacht Louis Napoleons ist. glaube ich, für lange<lb/>
nicht die Rede.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1210"> Es geschieht wohl, daß künftige Ereignisse ihre dunklen Schatten in die<lb/>
Seelen der Menschen voraussenden. Und es ist ja nicht undenkbar, daß es<lb/>
bedeutsame Träume sind, welche den Pariser mit der UnHaltbarkeit seines gegen¬<lb/>
wärtigen Zustandes ängstigen. Aber wenn ich an alle politischen Träume und<lb/>
Prophezeihungen zurückdenke, welche auf beiden Seiten des Rheins in den letzten<lb/>
neunzehn Jahren als eitle Träume aus der trügerischen Pforte von Elfenbein<lb/>
auf die Häupter der Zeitgenossen herabschwebtcn. so wage ich von Paris aus¬<lb/>
zusprechen: ich glaube nicht, daß die Stellung des Kaisers erschüttert ist, und<lb/>
ich glaube nicht an die Vorzeichen einer nahenden Revolution. Denn ich sehe<lb/>
in ganz Frankreich zur Zeit niemanden, nicht Mann, nicht Partei, nicht großes<lb/>
Interesse, welche eine Revolution zu machen im Stande wären.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 44*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0351] die französische Armee murrt? Nichts dieser Art ist mir zu Ohren gekommen. Und sollte eine Generalität, die so eng mit der neuen Dynastie zusammen- hängt, durchaus für einen Krieg agitiren, welcher so sehnlich von den Orleanisten herbeigewünscht wird? Die französischen Marschälle schlafen auch Stern in weichen Betten. Wenn man dennoch rüstete, so geschah es vielleicht aus übergroßer Vorsicht, aus übermächtigen Aerger über getäuschte Hoffnungen, aus Mißtrauen gegen die kriegerischen Pläne eines Andern, vielleicht um jene friedseligen Petitionen zu provociren, welche jetzt die pariser Zeitungen füllen. Erst neulich hat ja der Kaiser sein Verhalten im vorige» Jahre durch die Berufungen auf solche Kundgebungen gerechtfertigt. So etwas läßt sich immer wieder einmal verwenden. — Vielleicht auch war der letzte Grund aller Rü¬ stungen, die man jetzt so gern als innere Angelegenheit, darstellen möchte, in der Seele des Kaisers dieselbe unbestimmte, undeutliche, beengende, lauernde Sorge vor einer herannahenden Revolution, die ich bei so vielen Franzosen gefunden. Und diese angesägte Revolution? — wann haben wir sie zu erwarten? Vielleicht gar nicht. Jedenfalls nicht deshalb, weil die Pariser mit angenehmem Grausen davon schwatzen. Daß eine Revolution aber den Kaiser — diesen Kaiser — nicht nothwendig auf die Seite zu schieben braucht, scheint einleuch¬ tend. Ich habe gesehen, wie ihn die Arbeiter grüßen und gehört, wie sie von ihm reden. Es ließe sich eine große Umwälzung aller Besitzverhälinisfe denken, ohne daß dabei ein Zuwachs an politischen Freiheiten in unserem Sinne für Frankreich nothwendig würde, und das Heer — das bewaffnete Proletariat — könnte füglich, Gewehr am Fuß, die Zuschauerrolle übernehmen. Von einer Erschütterung der Herrschermacht Louis Napoleons ist. glaube ich, für lange nicht die Rede. Es geschieht wohl, daß künftige Ereignisse ihre dunklen Schatten in die Seelen der Menschen voraussenden. Und es ist ja nicht undenkbar, daß es bedeutsame Träume sind, welche den Pariser mit der UnHaltbarkeit seines gegen¬ wärtigen Zustandes ängstigen. Aber wenn ich an alle politischen Träume und Prophezeihungen zurückdenke, welche auf beiden Seiten des Rheins in den letzten neunzehn Jahren als eitle Träume aus der trügerischen Pforte von Elfenbein auf die Häupter der Zeitgenossen herabschwebtcn. so wage ich von Paris aus¬ zusprechen: ich glaube nicht, daß die Stellung des Kaisers erschüttert ist, und ich glaube nicht an die Vorzeichen einer nahenden Revolution. Denn ich sehe in ganz Frankreich zur Zeit niemanden, nicht Mann, nicht Partei, nicht großes Interesse, welche eine Revolution zu machen im Stande wären. 44*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/351
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/351>, abgerufen am 02.10.2024.