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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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keineswegs ausgeschlossen. Alle jene Männer, welche entweder die Reserve¬
dienstzeit schon vollstreckt haben oder gar nicht enrollirt wurden, werden der
"Landesvertheidigung" zugewiesen. Dieselbe hat nur dann, wenn der Feind
ihre Provinz bereits betreten hat oder mit einem Einfalle bedroht, in Thätig¬
keit zu treten. Sie kann als Landsturm. Bürgergarde und Volkswehr oder als
bürgerliche Sicherheitswache organisirt werden. Loskauf und Stellvertretung
sind abgeschafft. In Tirol, in einigen Theilen Dalmatiens (Pastrovich) und
der Militärgrenze bleibt die bisherige Wehrverfassung ""geändert.

Dieses Wehrgesetz wäre an sich ein Fortschritt gewesen, aber die Form
seiner Veröffentlichung und seine Durchführung mußten Unwillen, ja Erbitterung
erregen. Denn es wurde ohne Zuziehung irgendeiner gesetzgebenden Gewalt
dem Reiche einfach octroyirt; noch mehr mußte das Rechtsgefühl und das Ver¬
trauen der Bevölkerung dadurch erschüttert werden, daß man, obgleich das Ge¬
setz bereits ausgearbeitet war, noch in der letzten Frist den Loskauf zuließ,
ja dazu aufforderte. schreiender aber war die Rechtsverletzung, die man dadurch
beging, daß man selbst nach der Publication des Gesetzes angeblich ausnahms¬
weise in einigen Bezirken, thatsächlich aber in den meisten Provinzen den Los¬
kauf ferner gestattete. Es geschah nun, daß Väter ihre im Knabenalter befind¬
lichen Söhne, ja sogar Säuglinge durch Erlegung der Taxe von der Wehrpflicht
befreiten. Nahe an zwölf Millionen wurden auf diese Weise eingenommen,
und es erhält die Sache ein noch gehässigeres Ansehen, da die Wieder¬
anwerbung gedienter Soldaten nach den bisherigen günstigen Bestimmungen ein¬
gestellt wurde und über die eingegangenen Taxgelder wohl niemals eine Rech¬
nung abgelegt werden wird. Darum f.ab das Wehrgcsetz überall schlechte
Aufnahme. Wie die Ungarn dasselbe aufgenommen haben, ist bekannt. Sie
machten die Zurücknahme zur ersten Bedingung der Ausgleichsverhandlungcn,
ja sie brachten offen die Drohung der Empörung vor. Und die östreichische
Negierung gab ihrem Drängen nach und erfüllte ihre Wünsche in einer Weise,
wie es kaum die exaltirtesten Ungarn gehofft haben mochten. Dabei aber handelte
man abermals in versteckter Weise, indem man das Wchrgesctz "für die Länder
der ungarischen Krone außer Giltigkeit" setzte, gleichwohl aber in Kroatien und
Slavonien mit Gewaltmaßregeln zur Durchführung brockte. Am übelsten kamen
wie gewöhnlich Galizien und die deutschöstreichischen Provinzen weg. Anfangs
wurde die Durchführung des Wertgesetzes in einigen Provinzen sistirt, dann
aber ohne Weiteres wieder aufgenommen und die von den verschiedenen Land¬
tagen vorgebrachten Bitten, Vorstellungen und Beschwerden entweder gar nicht
oder ohne Angabe der Gründe ablehnend beantwortet. Zur Steuer der Wahr¬
heit muß übrigens bemerkt werden, daß die in diesem Frühjahre vorgenommene
Recrutirung auf ein sehr bescheidenes Maß beschränkt wurde und daß die Ungarn-
leichsam um zu zeigen, daß sie nicht gegen die allgemeine Wehrpflicht, sondern


Grenzboten II. 1867. 43

keineswegs ausgeschlossen. Alle jene Männer, welche entweder die Reserve¬
dienstzeit schon vollstreckt haben oder gar nicht enrollirt wurden, werden der
„Landesvertheidigung" zugewiesen. Dieselbe hat nur dann, wenn der Feind
ihre Provinz bereits betreten hat oder mit einem Einfalle bedroht, in Thätig¬
keit zu treten. Sie kann als Landsturm. Bürgergarde und Volkswehr oder als
bürgerliche Sicherheitswache organisirt werden. Loskauf und Stellvertretung
sind abgeschafft. In Tirol, in einigen Theilen Dalmatiens (Pastrovich) und
der Militärgrenze bleibt die bisherige Wehrverfassung »»geändert.

Dieses Wehrgesetz wäre an sich ein Fortschritt gewesen, aber die Form
seiner Veröffentlichung und seine Durchführung mußten Unwillen, ja Erbitterung
erregen. Denn es wurde ohne Zuziehung irgendeiner gesetzgebenden Gewalt
dem Reiche einfach octroyirt; noch mehr mußte das Rechtsgefühl und das Ver¬
trauen der Bevölkerung dadurch erschüttert werden, daß man, obgleich das Ge¬
setz bereits ausgearbeitet war, noch in der letzten Frist den Loskauf zuließ,
ja dazu aufforderte. schreiender aber war die Rechtsverletzung, die man dadurch
beging, daß man selbst nach der Publication des Gesetzes angeblich ausnahms¬
weise in einigen Bezirken, thatsächlich aber in den meisten Provinzen den Los¬
kauf ferner gestattete. Es geschah nun, daß Väter ihre im Knabenalter befind¬
lichen Söhne, ja sogar Säuglinge durch Erlegung der Taxe von der Wehrpflicht
befreiten. Nahe an zwölf Millionen wurden auf diese Weise eingenommen,
und es erhält die Sache ein noch gehässigeres Ansehen, da die Wieder¬
anwerbung gedienter Soldaten nach den bisherigen günstigen Bestimmungen ein¬
gestellt wurde und über die eingegangenen Taxgelder wohl niemals eine Rech¬
nung abgelegt werden wird. Darum f.ab das Wehrgcsetz überall schlechte
Aufnahme. Wie die Ungarn dasselbe aufgenommen haben, ist bekannt. Sie
machten die Zurücknahme zur ersten Bedingung der Ausgleichsverhandlungcn,
ja sie brachten offen die Drohung der Empörung vor. Und die östreichische
Negierung gab ihrem Drängen nach und erfüllte ihre Wünsche in einer Weise,
wie es kaum die exaltirtesten Ungarn gehofft haben mochten. Dabei aber handelte
man abermals in versteckter Weise, indem man das Wchrgesctz „für die Länder
der ungarischen Krone außer Giltigkeit" setzte, gleichwohl aber in Kroatien und
Slavonien mit Gewaltmaßregeln zur Durchführung brockte. Am übelsten kamen
wie gewöhnlich Galizien und die deutschöstreichischen Provinzen weg. Anfangs
wurde die Durchführung des Wertgesetzes in einigen Provinzen sistirt, dann
aber ohne Weiteres wieder aufgenommen und die von den verschiedenen Land¬
tagen vorgebrachten Bitten, Vorstellungen und Beschwerden entweder gar nicht
oder ohne Angabe der Gründe ablehnend beantwortet. Zur Steuer der Wahr¬
heit muß übrigens bemerkt werden, daß die in diesem Frühjahre vorgenommene
Recrutirung auf ein sehr bescheidenes Maß beschränkt wurde und daß die Ungarn-
leichsam um zu zeigen, daß sie nicht gegen die allgemeine Wehrpflicht, sondern


Grenzboten II. 1867. 43
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[0341] keineswegs ausgeschlossen. Alle jene Männer, welche entweder die Reserve¬ dienstzeit schon vollstreckt haben oder gar nicht enrollirt wurden, werden der „Landesvertheidigung" zugewiesen. Dieselbe hat nur dann, wenn der Feind ihre Provinz bereits betreten hat oder mit einem Einfalle bedroht, in Thätig¬ keit zu treten. Sie kann als Landsturm. Bürgergarde und Volkswehr oder als bürgerliche Sicherheitswache organisirt werden. Loskauf und Stellvertretung sind abgeschafft. In Tirol, in einigen Theilen Dalmatiens (Pastrovich) und der Militärgrenze bleibt die bisherige Wehrverfassung »»geändert. Dieses Wehrgesetz wäre an sich ein Fortschritt gewesen, aber die Form seiner Veröffentlichung und seine Durchführung mußten Unwillen, ja Erbitterung erregen. Denn es wurde ohne Zuziehung irgendeiner gesetzgebenden Gewalt dem Reiche einfach octroyirt; noch mehr mußte das Rechtsgefühl und das Ver¬ trauen der Bevölkerung dadurch erschüttert werden, daß man, obgleich das Ge¬ setz bereits ausgearbeitet war, noch in der letzten Frist den Loskauf zuließ, ja dazu aufforderte. schreiender aber war die Rechtsverletzung, die man dadurch beging, daß man selbst nach der Publication des Gesetzes angeblich ausnahms¬ weise in einigen Bezirken, thatsächlich aber in den meisten Provinzen den Los¬ kauf ferner gestattete. Es geschah nun, daß Väter ihre im Knabenalter befind¬ lichen Söhne, ja sogar Säuglinge durch Erlegung der Taxe von der Wehrpflicht befreiten. Nahe an zwölf Millionen wurden auf diese Weise eingenommen, und es erhält die Sache ein noch gehässigeres Ansehen, da die Wieder¬ anwerbung gedienter Soldaten nach den bisherigen günstigen Bestimmungen ein¬ gestellt wurde und über die eingegangenen Taxgelder wohl niemals eine Rech¬ nung abgelegt werden wird. Darum f.ab das Wehrgcsetz überall schlechte Aufnahme. Wie die Ungarn dasselbe aufgenommen haben, ist bekannt. Sie machten die Zurücknahme zur ersten Bedingung der Ausgleichsverhandlungcn, ja sie brachten offen die Drohung der Empörung vor. Und die östreichische Negierung gab ihrem Drängen nach und erfüllte ihre Wünsche in einer Weise, wie es kaum die exaltirtesten Ungarn gehofft haben mochten. Dabei aber handelte man abermals in versteckter Weise, indem man das Wchrgesctz „für die Länder der ungarischen Krone außer Giltigkeit" setzte, gleichwohl aber in Kroatien und Slavonien mit Gewaltmaßregeln zur Durchführung brockte. Am übelsten kamen wie gewöhnlich Galizien und die deutschöstreichischen Provinzen weg. Anfangs wurde die Durchführung des Wertgesetzes in einigen Provinzen sistirt, dann aber ohne Weiteres wieder aufgenommen und die von den verschiedenen Land¬ tagen vorgebrachten Bitten, Vorstellungen und Beschwerden entweder gar nicht oder ohne Angabe der Gründe ablehnend beantwortet. Zur Steuer der Wahr¬ heit muß übrigens bemerkt werden, daß die in diesem Frühjahre vorgenommene Recrutirung auf ein sehr bescheidenes Maß beschränkt wurde und daß die Ungarn- leichsam um zu zeigen, daß sie nicht gegen die allgemeine Wehrpflicht, sondern Grenzboten II. 1867. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/341>, abgerufen am 22.07.2024.