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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Reichard von Dalwigk so geistreich ausdrückte, "dem rastlosen unruhigen
Preußenvolke" nicht. Man mußte daher alle, aber auch alle und jede Even¬
tualitäten in Betracht ziehen; und so kam es denn, daß man gegen jeden
Damm und gegen jede Brücke strategische Verdachtsgründe hegte, daß sie "der
Feind" zu seinen Operationen benutzen könne, und dadurch veranlaßt, die An¬
lage neuer Eisenbahnlinien verweigerte, verzögerte, erschwerte, vcitheuerte.

Endlich erschien rede" dem Staat als Gewalt, dem Staat als Geschäfts¬
mann, dem Staatmvnopolisten, dem Staalkriegshcrrn, auch noch -- als letzter
nicht als lässigster -- der Staat als Giiadcnspcnbcr. Man weiß, wie noch
1866 in einem süddeutschen Staat (welchen der alte Welcker und seine zwar
jüngeren, aber nicht einsichtigerm Freunde als den alleinigen "Hort der deut¬
schen Freiheit" preisen, obgleich dort der Adel, die Geistlichkeit und die Schreiber¬
kaste regieren und dem "Volke" nichts gestattet ist, als zu kneipen, zu turnen,
zu reden und zu drucken, zu suppliciren und Wasser zu trinken), wie in diesem
Staate eine geschickte Combination von Eisenbahnprojecten dem Minister des
Auswärtigen, der zugleich auch Minister der Eisenbahnen war, eine gefügige
Majorität in der zweiten Kammer zuführte, welche nicht nur Eisenbahnprojecte,
sondern auch Kriegsprojectc polirte und infolge dessen schließlich dann nicht nur
El send ah "schulden, sondern auch Kriegsschulden zu vcrwilligcn hatte. In
der That eine etwas eigenthümliche Art, Gnaden zu spenden! Indessen wir
dürfen die berechtigte Eigenthümlichkeit und das Selbstbestimmungsrecht des be¬
gabtesten aller deutsche" Sterne nicht antasten.

Je kleiner ein Staat ist, desto größer wünscht er seine Haupt- und Residenz¬
stadt; und wenn sie nicht von selber wachsen will, so müssen künstliche Mittel
angewandt werden, welche außerdem noch das Gute an sich haben, daß die
Regierung mit Stolz sagen kann: "Nicht die Gunst der Lage oder sonstige
natürliche Voraussetzungen waren d/e Ursache, -- nein, ich bin es. einzig und
allein ich, der Staat, bin es, der diese seine Stadt groß und reich gemacht hat."
Unter jene künstlichen Mittel gehören denn neben Begünstigung der Bauunter¬
nehmer (welche natürlich nur auf Kosten der Städte'asse und der steuerpflichtigen
übrigen Bürger ausgeführt werden kann) und anderem, vor allem die Eisen¬
bahnen. So hat der Mittel- und Kleinstaat Residenzen, die infolge einer fürst¬
lichen Gunst oder Ungunst an geographisch, culturhisiorisch und volkswirtschaft¬
lich völlig unmotivirten und voraussetzungslosen Punkten angelegt worden sind,
dadurch "gehoben", daß er sie zu einem Central- und Knotenpunkt des Eisen¬
bahnsystems machte, ohne darauf zu achten, daß dadurch die Naturgesetze der
Transportleistung aus das gröblichste gestört und vecletzt und der Handel, die
Industrie sowie alle übrigen Transportinteressenten geschädigt wurden.

Eine vormals freie Reichsstadt hat kraft ihrer nunmehr erloschenen politi¬
schen Souverainetät ihren Eisenbahnverwaltungen eine solche Richtung gegeben.


Reichard von Dalwigk so geistreich ausdrückte, „dem rastlosen unruhigen
Preußenvolke" nicht. Man mußte daher alle, aber auch alle und jede Even¬
tualitäten in Betracht ziehen; und so kam es denn, daß man gegen jeden
Damm und gegen jede Brücke strategische Verdachtsgründe hegte, daß sie „der
Feind" zu seinen Operationen benutzen könne, und dadurch veranlaßt, die An¬
lage neuer Eisenbahnlinien verweigerte, verzögerte, erschwerte, vcitheuerte.

Endlich erschien rede» dem Staat als Gewalt, dem Staat als Geschäfts¬
mann, dem Staatmvnopolisten, dem Staalkriegshcrrn, auch noch — als letzter
nicht als lässigster — der Staat als Giiadcnspcnbcr. Man weiß, wie noch
1866 in einem süddeutschen Staat (welchen der alte Welcker und seine zwar
jüngeren, aber nicht einsichtigerm Freunde als den alleinigen „Hort der deut¬
schen Freiheit" preisen, obgleich dort der Adel, die Geistlichkeit und die Schreiber¬
kaste regieren und dem „Volke" nichts gestattet ist, als zu kneipen, zu turnen,
zu reden und zu drucken, zu suppliciren und Wasser zu trinken), wie in diesem
Staate eine geschickte Combination von Eisenbahnprojecten dem Minister des
Auswärtigen, der zugleich auch Minister der Eisenbahnen war, eine gefügige
Majorität in der zweiten Kammer zuführte, welche nicht nur Eisenbahnprojecte,
sondern auch Kriegsprojectc polirte und infolge dessen schließlich dann nicht nur
El send ah »schulden, sondern auch Kriegsschulden zu vcrwilligcn hatte. In
der That eine etwas eigenthümliche Art, Gnaden zu spenden! Indessen wir
dürfen die berechtigte Eigenthümlichkeit und das Selbstbestimmungsrecht des be¬
gabtesten aller deutsche» Sterne nicht antasten.

Je kleiner ein Staat ist, desto größer wünscht er seine Haupt- und Residenz¬
stadt; und wenn sie nicht von selber wachsen will, so müssen künstliche Mittel
angewandt werden, welche außerdem noch das Gute an sich haben, daß die
Regierung mit Stolz sagen kann: „Nicht die Gunst der Lage oder sonstige
natürliche Voraussetzungen waren d/e Ursache, — nein, ich bin es. einzig und
allein ich, der Staat, bin es, der diese seine Stadt groß und reich gemacht hat."
Unter jene künstlichen Mittel gehören denn neben Begünstigung der Bauunter¬
nehmer (welche natürlich nur auf Kosten der Städte'asse und der steuerpflichtigen
übrigen Bürger ausgeführt werden kann) und anderem, vor allem die Eisen¬
bahnen. So hat der Mittel- und Kleinstaat Residenzen, die infolge einer fürst¬
lichen Gunst oder Ungunst an geographisch, culturhisiorisch und volkswirtschaft¬
lich völlig unmotivirten und voraussetzungslosen Punkten angelegt worden sind,
dadurch „gehoben", daß er sie zu einem Central- und Knotenpunkt des Eisen¬
bahnsystems machte, ohne darauf zu achten, daß dadurch die Naturgesetze der
Transportleistung aus das gröblichste gestört und vecletzt und der Handel, die
Industrie sowie alle übrigen Transportinteressenten geschädigt wurden.

Eine vormals freie Reichsstadt hat kraft ihrer nunmehr erloschenen politi¬
schen Souverainetät ihren Eisenbahnverwaltungen eine solche Richtung gegeben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/32>, abgerufen am 22.07.2024.