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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Daß Sie in Ihrem Ernst und Scherz auf einem reinen Boden stehen
wollen, hat uns sehr, sehr erfreut.

Gellen Sie uns so viel als möglich das Positive, Wahre, Gute und
sa'one -- und so wenig als möglich das Negative. Das Dasein wird von
lauter Karrikaturen und Fata Morgana zerrissen -- werdet Gott ähnlich und
schaffet das Seiende.

Nun leben Sie tausend Mal wohl, lieber verständiger Freund, von meinem
Mann und Allen herzlich gegrüßt. Ihre


Caroline Herder.

Gernings Reise haben Sie recensirt, ohne sie gelesen zu haben. Gerning
hatte die Unklugheit, vor mehreren Jahren seine gesammelten Nttsematerialien
einigen gelehrten Herrens hier mitzutheilen, die denn freilich, wie es auch da¬
mals war, alles im Chaos fanden und ihren Spott damit trieben. Seit dem
ist sie geordnet worden und vieles weggeblieben. Man kann sie als eine Er¬
innerung der Denkwürdigkeit und Merkwürdigkeit Italiens an¬
sehen. Jede Materie steht an ihrem Ort -- und das Ganze ist ja voll
Interesse und lockt an selbst zu sehen. Gerning hat diese 3 Bändchen meinem
Mann vorgelesen und hat seinen freundschaftl. Nath meist angenommen. Für
die Poesien hat er eine zu große Vorliebe, er wollte sie nicht weglassen. Wer
sie nicht lesen will, überschlage sie. --

Aber gestehen Sie nur, Sie haben diese Reise keines Blicks gewürdigt.

Ware der Claudiussche Nachahmer Seume (der Claudiusens Geist nicht
hat) nicht Ihr Freund, mit welcher Geißel hätten Sie seinen arroganten sich
selbst nur malenden Spaziergang nach Syrakus gegeißelt. Dieser Seumcsche
Originalton ist doch etwas unausstehlich und ungracios. Nochmals Verzeihung
dieses langen Briefs. Nehmen Sie ihn so freundlich auf. als ich ihn Ihnen
C. H. in einer vertrauten Stunde schreibe.

10) Dieselbe an M. Weimar, den 16. Januar 1804. Daß Sie an meinem
und meiner Kinder unersetzlichen Verlust den größten Antheil genommen haben,
das weiß mein Herz, theuerster Freund, und dafür birgt mir die Achtung und Liebe,
die Sie dem Seligen geweiht und sie öffentlich an den Tag gelegt haben. Ach
Sie hatten ihn ja mit Geist und Seele erkannt. -- Von meinem unaussprech¬
lichen Schmerz will ich nicht reden -- der unerwartete Schlag ist mir noch ein
Traum -- ich kann es nicht fassen, daß dieser Genius, dies unvergleich¬
liche Gemüth von uns geschieden ist. Wie viel große gute Gedanken wollte
er noch ausführen -- und mußte bei Arbeiten und Eindrücken, die nicht für
seine zartfühlende Seele waren, zu Grunde gehen! wenn ich daran denke, so
bricht mir das Herz.

Ach daß in Deutschland nicht Ein, Ein Fürst war. der ihm die Hand


Daß Sie in Ihrem Ernst und Scherz auf einem reinen Boden stehen
wollen, hat uns sehr, sehr erfreut.

Gellen Sie uns so viel als möglich das Positive, Wahre, Gute und
sa'one — und so wenig als möglich das Negative. Das Dasein wird von
lauter Karrikaturen und Fata Morgana zerrissen — werdet Gott ähnlich und
schaffet das Seiende.

Nun leben Sie tausend Mal wohl, lieber verständiger Freund, von meinem
Mann und Allen herzlich gegrüßt. Ihre


Caroline Herder.

Gernings Reise haben Sie recensirt, ohne sie gelesen zu haben. Gerning
hatte die Unklugheit, vor mehreren Jahren seine gesammelten Nttsematerialien
einigen gelehrten Herrens hier mitzutheilen, die denn freilich, wie es auch da¬
mals war, alles im Chaos fanden und ihren Spott damit trieben. Seit dem
ist sie geordnet worden und vieles weggeblieben. Man kann sie als eine Er¬
innerung der Denkwürdigkeit und Merkwürdigkeit Italiens an¬
sehen. Jede Materie steht an ihrem Ort — und das Ganze ist ja voll
Interesse und lockt an selbst zu sehen. Gerning hat diese 3 Bändchen meinem
Mann vorgelesen und hat seinen freundschaftl. Nath meist angenommen. Für
die Poesien hat er eine zu große Vorliebe, er wollte sie nicht weglassen. Wer
sie nicht lesen will, überschlage sie. —

Aber gestehen Sie nur, Sie haben diese Reise keines Blicks gewürdigt.

Ware der Claudiussche Nachahmer Seume (der Claudiusens Geist nicht
hat) nicht Ihr Freund, mit welcher Geißel hätten Sie seinen arroganten sich
selbst nur malenden Spaziergang nach Syrakus gegeißelt. Dieser Seumcsche
Originalton ist doch etwas unausstehlich und ungracios. Nochmals Verzeihung
dieses langen Briefs. Nehmen Sie ihn so freundlich auf. als ich ihn Ihnen
C. H. in einer vertrauten Stunde schreibe.

10) Dieselbe an M. Weimar, den 16. Januar 1804. Daß Sie an meinem
und meiner Kinder unersetzlichen Verlust den größten Antheil genommen haben,
das weiß mein Herz, theuerster Freund, und dafür birgt mir die Achtung und Liebe,
die Sie dem Seligen geweiht und sie öffentlich an den Tag gelegt haben. Ach
Sie hatten ihn ja mit Geist und Seele erkannt. — Von meinem unaussprech¬
lichen Schmerz will ich nicht reden — der unerwartete Schlag ist mir noch ein
Traum — ich kann es nicht fassen, daß dieser Genius, dies unvergleich¬
liche Gemüth von uns geschieden ist. Wie viel große gute Gedanken wollte
er noch ausführen — und mußte bei Arbeiten und Eindrücken, die nicht für
seine zartfühlende Seele waren, zu Grunde gehen! wenn ich daran denke, so
bricht mir das Herz.

Ach daß in Deutschland nicht Ein, Ein Fürst war. der ihm die Hand


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[0304] Daß Sie in Ihrem Ernst und Scherz auf einem reinen Boden stehen wollen, hat uns sehr, sehr erfreut. Gellen Sie uns so viel als möglich das Positive, Wahre, Gute und sa'one — und so wenig als möglich das Negative. Das Dasein wird von lauter Karrikaturen und Fata Morgana zerrissen — werdet Gott ähnlich und schaffet das Seiende. Nun leben Sie tausend Mal wohl, lieber verständiger Freund, von meinem Mann und Allen herzlich gegrüßt. Ihre Caroline Herder. Gernings Reise haben Sie recensirt, ohne sie gelesen zu haben. Gerning hatte die Unklugheit, vor mehreren Jahren seine gesammelten Nttsematerialien einigen gelehrten Herrens hier mitzutheilen, die denn freilich, wie es auch da¬ mals war, alles im Chaos fanden und ihren Spott damit trieben. Seit dem ist sie geordnet worden und vieles weggeblieben. Man kann sie als eine Er¬ innerung der Denkwürdigkeit und Merkwürdigkeit Italiens an¬ sehen. Jede Materie steht an ihrem Ort — und das Ganze ist ja voll Interesse und lockt an selbst zu sehen. Gerning hat diese 3 Bändchen meinem Mann vorgelesen und hat seinen freundschaftl. Nath meist angenommen. Für die Poesien hat er eine zu große Vorliebe, er wollte sie nicht weglassen. Wer sie nicht lesen will, überschlage sie. — Aber gestehen Sie nur, Sie haben diese Reise keines Blicks gewürdigt. Ware der Claudiussche Nachahmer Seume (der Claudiusens Geist nicht hat) nicht Ihr Freund, mit welcher Geißel hätten Sie seinen arroganten sich selbst nur malenden Spaziergang nach Syrakus gegeißelt. Dieser Seumcsche Originalton ist doch etwas unausstehlich und ungracios. Nochmals Verzeihung dieses langen Briefs. Nehmen Sie ihn so freundlich auf. als ich ihn Ihnen C. H. in einer vertrauten Stunde schreibe. 10) Dieselbe an M. Weimar, den 16. Januar 1804. Daß Sie an meinem und meiner Kinder unersetzlichen Verlust den größten Antheil genommen haben, das weiß mein Herz, theuerster Freund, und dafür birgt mir die Achtung und Liebe, die Sie dem Seligen geweiht und sie öffentlich an den Tag gelegt haben. Ach Sie hatten ihn ja mit Geist und Seele erkannt. — Von meinem unaussprech¬ lichen Schmerz will ich nicht reden — der unerwartete Schlag ist mir noch ein Traum — ich kann es nicht fassen, daß dieser Genius, dies unvergleich¬ liche Gemüth von uns geschieden ist. Wie viel große gute Gedanken wollte er noch ausführen — und mußte bei Arbeiten und Eindrücken, die nicht für seine zartfühlende Seele waren, zu Grunde gehen! wenn ich daran denke, so bricht mir das Herz. Ach daß in Deutschland nicht Ein, Ein Fürst war. der ihm die Hand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/304>, abgerufen am 22.07.2024.