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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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im vorigen Winter beehrten und für die gütigen Gesinnungen und einsichts-
vollen Rathschläge, die er enthält. Er hat mich stolz gemacht, obgleich ich mich
lange Zeit nicht ruhig genug fühlte, Ihnen meine Erkenntlichkeit zu bezeugen.
Ich habe diesen Winter viel gelebt, nehmlich in einem schnellen und lebhaften
Wechsel von Wünschen, Plänen, Versuchen. Ungeachtet er mir vielen Genuß
gewährt hat, möchte ich keinen zweiten von der Art verbringen, aber ich glaube,
daß ich einen solchen auch nicht mehr zu fürchten oder vielmehr zu hoffen habe.
Lagen, die mich in mich selbst zurück drückten, machten mich in meinem 23. Jahre
zu einem verschlossenen, festen Manne. Frohere Lagen haben mich im dreißig¬
sten Jahre zum Jünglinge gemacht: aber ich habe meine Assiette wieder gewon¬
nen und nun hoffentlich auf immer. Doch verzeihen Sie, daß ich so viel von
mir selbst spreche. Mir ist, wenn ich mit Ihnen rede, als wenn ich Ihren
scharfen Blick in meiner Seele lesen fühlte und da fange ich eine Beichte an,
ehe ich mich dessen versehe.

Beigehend habe ich die Ehre. Ihnen meine Völkergemälde zu übersenden.
Ich gestehe es Ihnen, in Rücksicht auf die kleine Abhandlung hat Ihr Brief
mich sehr gedemüthigt. Ich habe das was Sie, mein verehrter Gönner, Lobes¬
erhebungen nannten, weggelassen, aber da ich doch von Ihnen sprechen und
wahr sprechen mußte, laufe ich Gefahr, daß Ihnen das was ize dasteht, eben
so misfällt. Verzeihen Sie es mir, und sehen Sie es an, als wenn es nicht
geschrieben wäre.

Ihre Aufforderungen wegen der Blüthensammlungen aus dem Talmud hab'
ich Friedländern und Euchel mitgetheilt. Die Folge derselben war in Rücksicht
des erster", daß die Proben ravbinischer Weisheit im 3. Theile von Engels
Philosophen fortgesetzt werden: aber Friedländer ist durch Schwindel, Gicht und
Hypochondrie und, was schlimmer ist als alles dieses, durch überhäufte merkan-
tilische Geschäfte für die Literatur getödtet. Euchel hingegen hat sich ernstlich
vorgenommen, wirklich eine solche Sammlung zu verfertigen und ist wirklich
schon damit beschäftigt. Beide haben mir oft aufgetragen, Sie ihrer unbeschränkten
Hochachtung zu versichern.

Gegenwärtig leb' ich in Potsdam in dem Hause meines Freundes, der dar¬
auf bestand, daß ich mein gemiethetes Logis verlassen und zu ihm ziehen sollte.
Es ist der Consul Lecoq, ein wohlhabender Kaufmann, der sich aus Hamburg
Hieher zur Ruhe begeben hat, übrigens ein junger Mann von sehr Hellem
Kopfe. Die köstliche Gegend, das paradiesische Sans-souci, vor allem die
liebenswürdige Gastfreiheit meines Freundes und seiner Frau und der frohe
Zirkel von Franzosen, in dem ich hier lebe, machen mir diesen Frühling zu
dem glücklichsten, den ich noch verbracht habe. Erst am Ende des Junius denk
ich Potsdam zu verlassen, um nach Freienwalde zu gehn: denn ein Badeort ist
es vorzüglich, was mir noch zu meinen Ansichten fehlt. Mit jeder neuen, ich


im vorigen Winter beehrten und für die gütigen Gesinnungen und einsichts-
vollen Rathschläge, die er enthält. Er hat mich stolz gemacht, obgleich ich mich
lange Zeit nicht ruhig genug fühlte, Ihnen meine Erkenntlichkeit zu bezeugen.
Ich habe diesen Winter viel gelebt, nehmlich in einem schnellen und lebhaften
Wechsel von Wünschen, Plänen, Versuchen. Ungeachtet er mir vielen Genuß
gewährt hat, möchte ich keinen zweiten von der Art verbringen, aber ich glaube,
daß ich einen solchen auch nicht mehr zu fürchten oder vielmehr zu hoffen habe.
Lagen, die mich in mich selbst zurück drückten, machten mich in meinem 23. Jahre
zu einem verschlossenen, festen Manne. Frohere Lagen haben mich im dreißig¬
sten Jahre zum Jünglinge gemacht: aber ich habe meine Assiette wieder gewon¬
nen und nun hoffentlich auf immer. Doch verzeihen Sie, daß ich so viel von
mir selbst spreche. Mir ist, wenn ich mit Ihnen rede, als wenn ich Ihren
scharfen Blick in meiner Seele lesen fühlte und da fange ich eine Beichte an,
ehe ich mich dessen versehe.

Beigehend habe ich die Ehre. Ihnen meine Völkergemälde zu übersenden.
Ich gestehe es Ihnen, in Rücksicht auf die kleine Abhandlung hat Ihr Brief
mich sehr gedemüthigt. Ich habe das was Sie, mein verehrter Gönner, Lobes¬
erhebungen nannten, weggelassen, aber da ich doch von Ihnen sprechen und
wahr sprechen mußte, laufe ich Gefahr, daß Ihnen das was ize dasteht, eben
so misfällt. Verzeihen Sie es mir, und sehen Sie es an, als wenn es nicht
geschrieben wäre.

Ihre Aufforderungen wegen der Blüthensammlungen aus dem Talmud hab'
ich Friedländern und Euchel mitgetheilt. Die Folge derselben war in Rücksicht
des erster», daß die Proben ravbinischer Weisheit im 3. Theile von Engels
Philosophen fortgesetzt werden: aber Friedländer ist durch Schwindel, Gicht und
Hypochondrie und, was schlimmer ist als alles dieses, durch überhäufte merkan-
tilische Geschäfte für die Literatur getödtet. Euchel hingegen hat sich ernstlich
vorgenommen, wirklich eine solche Sammlung zu verfertigen und ist wirklich
schon damit beschäftigt. Beide haben mir oft aufgetragen, Sie ihrer unbeschränkten
Hochachtung zu versichern.

Gegenwärtig leb' ich in Potsdam in dem Hause meines Freundes, der dar¬
auf bestand, daß ich mein gemiethetes Logis verlassen und zu ihm ziehen sollte.
Es ist der Consul Lecoq, ein wohlhabender Kaufmann, der sich aus Hamburg
Hieher zur Ruhe begeben hat, übrigens ein junger Mann von sehr Hellem
Kopfe. Die köstliche Gegend, das paradiesische Sans-souci, vor allem die
liebenswürdige Gastfreiheit meines Freundes und seiner Frau und der frohe
Zirkel von Franzosen, in dem ich hier lebe, machen mir diesen Frühling zu
dem glücklichsten, den ich noch verbracht habe. Erst am Ende des Junius denk
ich Potsdam zu verlassen, um nach Freienwalde zu gehn: denn ein Badeort ist
es vorzüglich, was mir noch zu meinen Ansichten fehlt. Mit jeder neuen, ich


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[0294] im vorigen Winter beehrten und für die gütigen Gesinnungen und einsichts- vollen Rathschläge, die er enthält. Er hat mich stolz gemacht, obgleich ich mich lange Zeit nicht ruhig genug fühlte, Ihnen meine Erkenntlichkeit zu bezeugen. Ich habe diesen Winter viel gelebt, nehmlich in einem schnellen und lebhaften Wechsel von Wünschen, Plänen, Versuchen. Ungeachtet er mir vielen Genuß gewährt hat, möchte ich keinen zweiten von der Art verbringen, aber ich glaube, daß ich einen solchen auch nicht mehr zu fürchten oder vielmehr zu hoffen habe. Lagen, die mich in mich selbst zurück drückten, machten mich in meinem 23. Jahre zu einem verschlossenen, festen Manne. Frohere Lagen haben mich im dreißig¬ sten Jahre zum Jünglinge gemacht: aber ich habe meine Assiette wieder gewon¬ nen und nun hoffentlich auf immer. Doch verzeihen Sie, daß ich so viel von mir selbst spreche. Mir ist, wenn ich mit Ihnen rede, als wenn ich Ihren scharfen Blick in meiner Seele lesen fühlte und da fange ich eine Beichte an, ehe ich mich dessen versehe. Beigehend habe ich die Ehre. Ihnen meine Völkergemälde zu übersenden. Ich gestehe es Ihnen, in Rücksicht auf die kleine Abhandlung hat Ihr Brief mich sehr gedemüthigt. Ich habe das was Sie, mein verehrter Gönner, Lobes¬ erhebungen nannten, weggelassen, aber da ich doch von Ihnen sprechen und wahr sprechen mußte, laufe ich Gefahr, daß Ihnen das was ize dasteht, eben so misfällt. Verzeihen Sie es mir, und sehen Sie es an, als wenn es nicht geschrieben wäre. Ihre Aufforderungen wegen der Blüthensammlungen aus dem Talmud hab' ich Friedländern und Euchel mitgetheilt. Die Folge derselben war in Rücksicht des erster», daß die Proben ravbinischer Weisheit im 3. Theile von Engels Philosophen fortgesetzt werden: aber Friedländer ist durch Schwindel, Gicht und Hypochondrie und, was schlimmer ist als alles dieses, durch überhäufte merkan- tilische Geschäfte für die Literatur getödtet. Euchel hingegen hat sich ernstlich vorgenommen, wirklich eine solche Sammlung zu verfertigen und ist wirklich schon damit beschäftigt. Beide haben mir oft aufgetragen, Sie ihrer unbeschränkten Hochachtung zu versichern. Gegenwärtig leb' ich in Potsdam in dem Hause meines Freundes, der dar¬ auf bestand, daß ich mein gemiethetes Logis verlassen und zu ihm ziehen sollte. Es ist der Consul Lecoq, ein wohlhabender Kaufmann, der sich aus Hamburg Hieher zur Ruhe begeben hat, übrigens ein junger Mann von sehr Hellem Kopfe. Die köstliche Gegend, das paradiesische Sans-souci, vor allem die liebenswürdige Gastfreiheit meines Freundes und seiner Frau und der frohe Zirkel von Franzosen, in dem ich hier lebe, machen mir diesen Frühling zu dem glücklichsten, den ich noch verbracht habe. Erst am Ende des Junius denk ich Potsdam zu verlassen, um nach Freienwalde zu gehn: denn ein Badeort ist es vorzüglich, was mir noch zu meinen Ansichten fehlt. Mit jeder neuen, ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/294>, abgerufen am 02.10.2024.