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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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aus welchem sich die Helden der Geschichte in ihren Thaten und Leiden heraus-
heben, das Gemüth und die Culturverhältnisse deS Volkes selbst, weiß er über-
all, soweit unser Wissen reicht, lebendig zu machen, ja er hat grade für diese
Seite unserer Geschichtschreibung besondere Neigung und Verständniß und
die herzliche Freude an der Verwerthung kleiner charakteristischer Züge, welche
wir bei dem Verfasser einer politischen Geschichte nicht für die Hauptsache halten,
aber ebenso für die schöne Begabung des Historikers, wie gute Farbentechnik
bei dem Maler. Auch sein episches Erzählertalent ist ungewöhnlich, er weiß
gut zu berichten, einem deutschen Historiker leider immer noch seltne Eigenschaft-,
ohne jede Schönrederei schildert er, die Mosaiksteinchen des erhaltenen Details
sorgfältig zusammenfügend, anschaulich und so reichlich, als die Quellen ge-
Währen. Was aber am meisten seinem Buche befreundet, das ist die sichere
Weise, in welker er da" Regierungsprincip der Hohenstaufen, die menschlichen
Motive ihres Handeln" ihr geschichtliches Recht und Unrecht, Blüthe und Unter,
gang des allen römischen Reiches deutscher Nation betrachtet. Hinter der
Mäßigung deS Historikers empfindet man überall den patriotischen Herzschlag
einet freien Deutschen, und zuweilen die liebevolle Combinationskraft deS
Dichters, welche dem ernsten Geschichtschreiber unentbehrlich ist, um vor fremd"
artigen Gestalten ihren menschlichen Inhalt verständlich zu machen.

Seit lange gilt Geschichte und Schicksal deS hohenstaufischen Hauses für
die größte Geschichtstragödie unserer Nation, in jedem der starken Fürsten , welche
nach einander ein Jahrhundert lang daS Schicksal Mitteleuropas bestimmen,
sind bei aller Verschiedenheit in Anlage und Bildung gewisse Grundzüge deS
Charakters, derselbe Idealismus, dieselben politischen Forderungen erkennbar.
Auch derselbe Fülstenstolz, welcher die eigene Größe darin sucht, die alte Idee der
kaiserlichen Oberherrlichkeit wieder lebendig zu machen, ein ähnlicher ritterlicher
Hochsinn, Neigung zum gewaltthätigen Durchdringen und daneben eine schlaue
italienische Politik, die sich zuweilen zäher erweist, als die der italienischen
Gegner; endlich bei allen eine ähnliche Freude an verfeinerten Lebensgenuß,
die doch keinem den rastlosen Ehrgeiz und die Thatkraft verringert. Sie alle
vergingen in einem Kampf, der ihnen übermenschlich wurde, weil ihr Leben
nicht ausreichte, den Sieg, welchen sie mehr als einmal in Händen hatten,
zu sichern.

ES ist eine sehr müßige Frage, ob eS zur Hohenstaufenzeit noch möglich
gewesen wäre, die Kaisermacht und die Idee der deutschen Neichseinheit gegen
Papstthum und die Territorialmacht der Fürsten durchzusetzen. Denn wenn wir,
die Möglichkeit annehmend, aus dem Geflecht der Ereignisse einen Faden heraus¬
gezogen denken, können die Vertreter der entgegengesetzten Auffassung ebensogut
andere Fäden ablösen oder dazu träumen. Für uns Nachfahren gingen die
Hohenstaufen unter, weil die Einheit des Reiches zu ihrer Zeit durch Menschenkraft


aus welchem sich die Helden der Geschichte in ihren Thaten und Leiden heraus-
heben, das Gemüth und die Culturverhältnisse deS Volkes selbst, weiß er über-
all, soweit unser Wissen reicht, lebendig zu machen, ja er hat grade für diese
Seite unserer Geschichtschreibung besondere Neigung und Verständniß und
die herzliche Freude an der Verwerthung kleiner charakteristischer Züge, welche
wir bei dem Verfasser einer politischen Geschichte nicht für die Hauptsache halten,
aber ebenso für die schöne Begabung des Historikers, wie gute Farbentechnik
bei dem Maler. Auch sein episches Erzählertalent ist ungewöhnlich, er weiß
gut zu berichten, einem deutschen Historiker leider immer noch seltne Eigenschaft-,
ohne jede Schönrederei schildert er, die Mosaiksteinchen des erhaltenen Details
sorgfältig zusammenfügend, anschaulich und so reichlich, als die Quellen ge-
Währen. Was aber am meisten seinem Buche befreundet, das ist die sichere
Weise, in welker er da» Regierungsprincip der Hohenstaufen, die menschlichen
Motive ihres Handeln« ihr geschichtliches Recht und Unrecht, Blüthe und Unter,
gang des allen römischen Reiches deutscher Nation betrachtet. Hinter der
Mäßigung deS Historikers empfindet man überall den patriotischen Herzschlag
einet freien Deutschen, und zuweilen die liebevolle Combinationskraft deS
Dichters, welche dem ernsten Geschichtschreiber unentbehrlich ist, um vor fremd«
artigen Gestalten ihren menschlichen Inhalt verständlich zu machen.

Seit lange gilt Geschichte und Schicksal deS hohenstaufischen Hauses für
die größte Geschichtstragödie unserer Nation, in jedem der starken Fürsten , welche
nach einander ein Jahrhundert lang daS Schicksal Mitteleuropas bestimmen,
sind bei aller Verschiedenheit in Anlage und Bildung gewisse Grundzüge deS
Charakters, derselbe Idealismus, dieselben politischen Forderungen erkennbar.
Auch derselbe Fülstenstolz, welcher die eigene Größe darin sucht, die alte Idee der
kaiserlichen Oberherrlichkeit wieder lebendig zu machen, ein ähnlicher ritterlicher
Hochsinn, Neigung zum gewaltthätigen Durchdringen und daneben eine schlaue
italienische Politik, die sich zuweilen zäher erweist, als die der italienischen
Gegner; endlich bei allen eine ähnliche Freude an verfeinerten Lebensgenuß,
die doch keinem den rastlosen Ehrgeiz und die Thatkraft verringert. Sie alle
vergingen in einem Kampf, der ihnen übermenschlich wurde, weil ihr Leben
nicht ausreichte, den Sieg, welchen sie mehr als einmal in Händen hatten,
zu sichern.

ES ist eine sehr müßige Frage, ob eS zur Hohenstaufenzeit noch möglich
gewesen wäre, die Kaisermacht und die Idee der deutschen Neichseinheit gegen
Papstthum und die Territorialmacht der Fürsten durchzusetzen. Denn wenn wir,
die Möglichkeit annehmend, aus dem Geflecht der Ereignisse einen Faden heraus¬
gezogen denken, können die Vertreter der entgegengesetzten Auffassung ebensogut
andere Fäden ablösen oder dazu träumen. Für uns Nachfahren gingen die
Hohenstaufen unter, weil die Einheit des Reiches zu ihrer Zeit durch Menschenkraft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/291>, abgerufen am 22.07.2024.