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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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blick der Niedertracht der kleinen Leute auf dem Parnaß, als das Ergebniß
eines öffentlichen Zustandes, der alle denkenden und strebsamen Kräfte von der
Bethätigung an den vaterländischen Zustände" ausschloß und auf ein Gebiet
drängte, in das sie nicbt hineingchörten, weil es zur Heimath der niederen
Sterblichen nicht bestimmt war. Gegenüber den Klagen über die Kannegießerei
und den politischen Dilettantismus unserer Zeit kann es nicht genug betont
werden, daß die Bethätigung an den vaterländischen Interessen ein tieibegrün-
detes Bedürfniß des Volksgeistes ist, dessen Beeinträchtigung mit Nothwendigkeit
zu dem ästhetischen Dusel und der philiströsen Verdumpfung führt, denen jene
unausbleibliche sittliche Fäulniß auf dem Fuße folgt, die das Deutschland von
1805 und 1806 dem französischen Eroberer zu Füßen legte.

Will man sich der entnervenden Wirkung bewußt werden, welche die Ab¬
wendung vom wirtlichen Leben und seinen Forderungen ausübte, so muß man
die Gegenstände seiner Betrachtung außerhalb und an den Grenzen des ge¬
weihten Künstlertreiseö suchen, der ein wirkliches Recht auf Vertiefung in die
selbstgeschaffene Idealwelt besaß. War man sich seiner großen Zwecke so genau
bewußt, wie die Weimarer Dioskuren, so bedürfte es keines Freibriefs dazu, um
sich selbst und die eigene Kunst und Lebensauffassung rücksichtlos durchzusetzen,
und nichts nach der äußeren Welt und ihren Ansprüchen, nichts nach der rela¬
tiven Berechtigung der Gegner zu fragen. Ganz anders gestaltet sich die Sache
aber, wenn die Merch rniuorum göirtium die gleiche Ausnahmsstellung be¬
anspruche", wenn jeder Recensent, jeder Dichterling sich selbst und das eigene
ästhetische Bedürfniß zum Mittelpunkt seines Strebens machen will und dem
Wahne lebt, von den Pflichten gegen das wirkliche Leben emancipirt zu sein,
wenn er an die Verpflichtung glaubt, sich selbst durchsetzen zu müsse". Die
Bcgiisfsverwechselung, die diesem Irrthum zu Grunde lag, ist heute, wo die
bleibenden Erscheinungen der Kunst von den ephemeren scharf geschieden er¬
scheinen, leicht nachzuweisen: so lange sich das feste Land von den Wassern noch
nicht geschieden hatte, war es aber erklärlich, wenn die Nichtberechtigten sich der
Grenze nicht bewußt waren, die sie von den Berechtigten schied. Es ist das
ungeheure Verdienst unserer Zeit, das Verhältniß umgekehrt und die Unter¬
ordnung unter objective Normen, die Hingabe an die "ge"?eine Sache" als
oberstes Gesetz aufgestellt zu haben, von dem nur in einzelnen Fällen abgesehen
werden kann. Das "sich selost Durchsetzen" hat die Präsumtion gegen sich!
Ein schärferer Gegensatz läßt sich kaum denken als der zwischen dem maßlosen
, Subjcctivismus und der auf kleinlicher Eitelkeit beruhe"den Cotcrienwirthschaft
des Schriftstellcrgeschlcchts am Wendepunkte des Jahrhunderts und jener ernsten
Hingabe an objective Menschheitszwecke, in welcher alle ernsteren Leute unserer
Vielgeschmähten Zeit ihre Ehre suchen. Wer irgend Gelegenheit gehabt hat, von
dem literarischen Treiben jener Zeit des exclusivm Literaturklatsches mehr zu


blick der Niedertracht der kleinen Leute auf dem Parnaß, als das Ergebniß
eines öffentlichen Zustandes, der alle denkenden und strebsamen Kräfte von der
Bethätigung an den vaterländischen Zustände» ausschloß und auf ein Gebiet
drängte, in das sie nicbt hineingchörten, weil es zur Heimath der niederen
Sterblichen nicht bestimmt war. Gegenüber den Klagen über die Kannegießerei
und den politischen Dilettantismus unserer Zeit kann es nicht genug betont
werden, daß die Bethätigung an den vaterländischen Interessen ein tieibegrün-
detes Bedürfniß des Volksgeistes ist, dessen Beeinträchtigung mit Nothwendigkeit
zu dem ästhetischen Dusel und der philiströsen Verdumpfung führt, denen jene
unausbleibliche sittliche Fäulniß auf dem Fuße folgt, die das Deutschland von
1805 und 1806 dem französischen Eroberer zu Füßen legte.

Will man sich der entnervenden Wirkung bewußt werden, welche die Ab¬
wendung vom wirtlichen Leben und seinen Forderungen ausübte, so muß man
die Gegenstände seiner Betrachtung außerhalb und an den Grenzen des ge¬
weihten Künstlertreiseö suchen, der ein wirkliches Recht auf Vertiefung in die
selbstgeschaffene Idealwelt besaß. War man sich seiner großen Zwecke so genau
bewußt, wie die Weimarer Dioskuren, so bedürfte es keines Freibriefs dazu, um
sich selbst und die eigene Kunst und Lebensauffassung rücksichtlos durchzusetzen,
und nichts nach der äußeren Welt und ihren Ansprüchen, nichts nach der rela¬
tiven Berechtigung der Gegner zu fragen. Ganz anders gestaltet sich die Sache
aber, wenn die Merch rniuorum göirtium die gleiche Ausnahmsstellung be¬
anspruche», wenn jeder Recensent, jeder Dichterling sich selbst und das eigene
ästhetische Bedürfniß zum Mittelpunkt seines Strebens machen will und dem
Wahne lebt, von den Pflichten gegen das wirkliche Leben emancipirt zu sein,
wenn er an die Verpflichtung glaubt, sich selbst durchsetzen zu müsse». Die
Bcgiisfsverwechselung, die diesem Irrthum zu Grunde lag, ist heute, wo die
bleibenden Erscheinungen der Kunst von den ephemeren scharf geschieden er¬
scheinen, leicht nachzuweisen: so lange sich das feste Land von den Wassern noch
nicht geschieden hatte, war es aber erklärlich, wenn die Nichtberechtigten sich der
Grenze nicht bewußt waren, die sie von den Berechtigten schied. Es ist das
ungeheure Verdienst unserer Zeit, das Verhältniß umgekehrt und die Unter¬
ordnung unter objective Normen, die Hingabe an die „ge»?eine Sache" als
oberstes Gesetz aufgestellt zu haben, von dem nur in einzelnen Fällen abgesehen
werden kann. Das „sich selost Durchsetzen" hat die Präsumtion gegen sich!
Ein schärferer Gegensatz läßt sich kaum denken als der zwischen dem maßlosen
, Subjcctivismus und der auf kleinlicher Eitelkeit beruhe»den Cotcrienwirthschaft
des Schriftstellcrgeschlcchts am Wendepunkte des Jahrhunderts und jener ernsten
Hingabe an objective Menschheitszwecke, in welcher alle ernsteren Leute unserer
Vielgeschmähten Zeit ihre Ehre suchen. Wer irgend Gelegenheit gehabt hat, von
dem literarischen Treiben jener Zeit des exclusivm Literaturklatsches mehr zu


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[0272] blick der Niedertracht der kleinen Leute auf dem Parnaß, als das Ergebniß eines öffentlichen Zustandes, der alle denkenden und strebsamen Kräfte von der Bethätigung an den vaterländischen Zustände» ausschloß und auf ein Gebiet drängte, in das sie nicbt hineingchörten, weil es zur Heimath der niederen Sterblichen nicht bestimmt war. Gegenüber den Klagen über die Kannegießerei und den politischen Dilettantismus unserer Zeit kann es nicht genug betont werden, daß die Bethätigung an den vaterländischen Interessen ein tieibegrün- detes Bedürfniß des Volksgeistes ist, dessen Beeinträchtigung mit Nothwendigkeit zu dem ästhetischen Dusel und der philiströsen Verdumpfung führt, denen jene unausbleibliche sittliche Fäulniß auf dem Fuße folgt, die das Deutschland von 1805 und 1806 dem französischen Eroberer zu Füßen legte. Will man sich der entnervenden Wirkung bewußt werden, welche die Ab¬ wendung vom wirtlichen Leben und seinen Forderungen ausübte, so muß man die Gegenstände seiner Betrachtung außerhalb und an den Grenzen des ge¬ weihten Künstlertreiseö suchen, der ein wirkliches Recht auf Vertiefung in die selbstgeschaffene Idealwelt besaß. War man sich seiner großen Zwecke so genau bewußt, wie die Weimarer Dioskuren, so bedürfte es keines Freibriefs dazu, um sich selbst und die eigene Kunst und Lebensauffassung rücksichtlos durchzusetzen, und nichts nach der äußeren Welt und ihren Ansprüchen, nichts nach der rela¬ tiven Berechtigung der Gegner zu fragen. Ganz anders gestaltet sich die Sache aber, wenn die Merch rniuorum göirtium die gleiche Ausnahmsstellung be¬ anspruche», wenn jeder Recensent, jeder Dichterling sich selbst und das eigene ästhetische Bedürfniß zum Mittelpunkt seines Strebens machen will und dem Wahne lebt, von den Pflichten gegen das wirkliche Leben emancipirt zu sein, wenn er an die Verpflichtung glaubt, sich selbst durchsetzen zu müsse». Die Bcgiisfsverwechselung, die diesem Irrthum zu Grunde lag, ist heute, wo die bleibenden Erscheinungen der Kunst von den ephemeren scharf geschieden er¬ scheinen, leicht nachzuweisen: so lange sich das feste Land von den Wassern noch nicht geschieden hatte, war es aber erklärlich, wenn die Nichtberechtigten sich der Grenze nicht bewußt waren, die sie von den Berechtigten schied. Es ist das ungeheure Verdienst unserer Zeit, das Verhältniß umgekehrt und die Unter¬ ordnung unter objective Normen, die Hingabe an die „ge»?eine Sache" als oberstes Gesetz aufgestellt zu haben, von dem nur in einzelnen Fällen abgesehen werden kann. Das „sich selost Durchsetzen" hat die Präsumtion gegen sich! Ein schärferer Gegensatz läßt sich kaum denken als der zwischen dem maßlosen , Subjcctivismus und der auf kleinlicher Eitelkeit beruhe»den Cotcrienwirthschaft des Schriftstellcrgeschlcchts am Wendepunkte des Jahrhunderts und jener ernsten Hingabe an objective Menschheitszwecke, in welcher alle ernsteren Leute unserer Vielgeschmähten Zeit ihre Ehre suchen. Wer irgend Gelegenheit gehabt hat, von dem literarischen Treiben jener Zeit des exclusivm Literaturklatsches mehr zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/272>, abgerufen am 22.07.2024.