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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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gemacht wird, denen er eine tiefgreifende Einwirkung auf das Volk durch die
alten Cäsarenmittel seiner Familie unterbunden hat, gegen die er selbst in der
socialistischen Seite seines Princips für den Nothfall starke Waffen finden kann:
die Unterstützung der arbeitenden Classen und das Heer. Ist uns aus der
Ferne ein Urtheil über die Motive des Kaisers möglich, so müssen wir sie in
der Ueberzeugung finden, die ihm durch die preußischen Siege des vorigen
Jahres geworden ist. daß die Heerorganisation Frankreichs, wie sie zum Theil
durch ihn geformt wurde, nicht die Starke und zugleich nicht die persönliche
Anhänglichkeit an ihn selbst geschaffen hat, welcher er in der gegenwärtigen
Lage für sich und Frankreich bedarf. Es muß ein herber Eindruck auf seine
Natur gewesen sein, daß ihm das Heer im Fall eines Krieges mit Preußen
acht genügende Garantie bot. Diese Sorge, welche von einem Theil seiner
militärischen Führer getheilt wurde, gab ihm die Empfindung von der Noth¬
wendigkeit, den militärischen Geist zu stärken und sich aufs neue zu Verbunden
bruns eine Neuorganisation und durch die Aussicht auf eine kriegerische Politik.
Aber ein solches Neubeleben des kriegerischen Geistes ist ein gefährliches Unter¬
nehmen. Kriegerische Organisationen, auf Veranlassung einer auswärtigen Ver¬
wickelung unternommen, erzeugen auch Kncgseifer, Ansprüche und Gelüste, zu¬
letzt eine Stimmung im Heere und Volke, welche selbst wieder ein einflußreicher
Factor für die Entschlüsse einer sorglich balancurenden Regierung werden muß.
Der Kaiser hat durch einige Wochen rinläugbar zum Kriege trommeln lassen,
er ist jetzt wieder ebenso bemüht, die Aufregung zu dämpfen. Ob dieses Spiel
ihm gelingen und dle Franzosen durch den warmen Sonnenschein über ihren
Ausstellungsgebäuden von dem Ruf nach der Nheingrenze für die Dauer zurück¬
kommen werden, müssen wir avwcuten. Es wird nicht unvorsichtig sein, wenn
wir trotz aller Friedensaduessen zur Zeit daran zweifeln. Die unverhüllten und
großartigen Rüstungen des Kaisers, welche weit über Maß und Bedürfniß einer
Fricdensorganisativn hinausgehen und ungeachtet der Konferenz unablässig
sortgesetzt werden, zeigen, daß der Kaiser ebenfalls daran zweifelt, ob Volk
und Heer auf die Dauer der Bildung des deutschen Staates ruhig zusehen
werben.

Darin liegt das Unbequeme unserer Lage. Die Gegner haben es in der
Hand, und voraussichtlich in unserer nächsten Zukunft zahlreiche Handhaben,
die Zeit des Angriffs zu wählen. Die Sicherheit, welche festgegründete Staats¬
verhältnisse und das ruhige Alte gegen die Nachbarn bietet, haben wir auf¬
gegeben.

Dafür haben wir etwas Anderes, ein frisches Kraftgefühl, wie es uns
seit Jahrhunderten nicht vergönnt war, den gerechten Stolz, daß wir auf gutem
Wege sind, im Frieden und Krieg die Tüchtigkeit unserer Art zur Geltung zu
bringen. Wir erheben unsere Forderungen nicht mit dem heißen Enthusiasmus


gemacht wird, denen er eine tiefgreifende Einwirkung auf das Volk durch die
alten Cäsarenmittel seiner Familie unterbunden hat, gegen die er selbst in der
socialistischen Seite seines Princips für den Nothfall starke Waffen finden kann:
die Unterstützung der arbeitenden Classen und das Heer. Ist uns aus der
Ferne ein Urtheil über die Motive des Kaisers möglich, so müssen wir sie in
der Ueberzeugung finden, die ihm durch die preußischen Siege des vorigen
Jahres geworden ist. daß die Heerorganisation Frankreichs, wie sie zum Theil
durch ihn geformt wurde, nicht die Starke und zugleich nicht die persönliche
Anhänglichkeit an ihn selbst geschaffen hat, welcher er in der gegenwärtigen
Lage für sich und Frankreich bedarf. Es muß ein herber Eindruck auf seine
Natur gewesen sein, daß ihm das Heer im Fall eines Krieges mit Preußen
acht genügende Garantie bot. Diese Sorge, welche von einem Theil seiner
militärischen Führer getheilt wurde, gab ihm die Empfindung von der Noth¬
wendigkeit, den militärischen Geist zu stärken und sich aufs neue zu Verbunden
bruns eine Neuorganisation und durch die Aussicht auf eine kriegerische Politik.
Aber ein solches Neubeleben des kriegerischen Geistes ist ein gefährliches Unter¬
nehmen. Kriegerische Organisationen, auf Veranlassung einer auswärtigen Ver¬
wickelung unternommen, erzeugen auch Kncgseifer, Ansprüche und Gelüste, zu¬
letzt eine Stimmung im Heere und Volke, welche selbst wieder ein einflußreicher
Factor für die Entschlüsse einer sorglich balancurenden Regierung werden muß.
Der Kaiser hat durch einige Wochen rinläugbar zum Kriege trommeln lassen,
er ist jetzt wieder ebenso bemüht, die Aufregung zu dämpfen. Ob dieses Spiel
ihm gelingen und dle Franzosen durch den warmen Sonnenschein über ihren
Ausstellungsgebäuden von dem Ruf nach der Nheingrenze für die Dauer zurück¬
kommen werden, müssen wir avwcuten. Es wird nicht unvorsichtig sein, wenn
wir trotz aller Friedensaduessen zur Zeit daran zweifeln. Die unverhüllten und
großartigen Rüstungen des Kaisers, welche weit über Maß und Bedürfniß einer
Fricdensorganisativn hinausgehen und ungeachtet der Konferenz unablässig
sortgesetzt werden, zeigen, daß der Kaiser ebenfalls daran zweifelt, ob Volk
und Heer auf die Dauer der Bildung des deutschen Staates ruhig zusehen
werben.

Darin liegt das Unbequeme unserer Lage. Die Gegner haben es in der
Hand, und voraussichtlich in unserer nächsten Zukunft zahlreiche Handhaben,
die Zeit des Angriffs zu wählen. Die Sicherheit, welche festgegründete Staats¬
verhältnisse und das ruhige Alte gegen die Nachbarn bietet, haben wir auf¬
gegeben.

Dafür haben wir etwas Anderes, ein frisches Kraftgefühl, wie es uns
seit Jahrhunderten nicht vergönnt war, den gerechten Stolz, daß wir auf gutem
Wege sind, im Frieden und Krieg die Tüchtigkeit unserer Art zur Geltung zu
bringen. Wir erheben unsere Forderungen nicht mit dem heißen Enthusiasmus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/248>, abgerufen am 26.06.2024.